Mit Ihrer Ausstellung wollen Sie die Geschichte jüdischer Kontingentflüchtlinge sichtbar machen. Warum wurde dieser Geschichte bisher so wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt?
Freidzon: „Wir sind ja gar nicht so viele. Und auch gar nicht so laut. Ich tippe, dass in den letzten 30 Jahren etwa 200.000 Menschen hierherkamen. Es hat sich nicht jeder registriert, alle waren ja beschäftigt mit ihrem eigenen Leben, ihren Kindern – damit, unabhängig und frei zu sein.“
Wenn Sie an Ihre damalige Situation in der Sowjetunion zurückdenken: Wie hängen die Themen Sicherheit und Freiheit für Sie zusammen?
Freidzon: „Da muss ich eine Geschichte erzählen: Als ich mit sieben Jahren in die Schule ging, hat mein Vater mir gesagt: ‚Du bist Jüdin, du musst besser lernen. Du musst so lernen, dass du jeden Widerstand überwinden kannst. Weil du Steine in den Weg gelegt bekommen wirst.‘ Das war das einzige Mal, dass wir darüber gesprochen haben.
Antisemitismus war alltäglich. Es gab Witze über jüdische Nachnamen, das war ganz normal für mich. An den Hochschulen durfte nur ein gewisser Prozentsatz der Studierenden jüdisch sein. Auch das war ganz normal für mich. Dass wir durchgekommen waren, verdanken wir nur dieser Einstellung: ‚Du bist Jüdin? Lerne!‘
Ein Freund von mir hat mir einmal gesagt: ‚Wenn du vergisst, dass du Jüdin bist, dann wirst du dich daran erinnern – und zwar hart.‘ Er hatte Recht. Meine Familie hat alles erlebt: Ghetto, KZ, Stalin-Lager, Verfolgung durch den KGB – wir sind ein Beispiel dafür, was jüdisches Schicksal bedeutet.
Was ich sagen will: Ein Gefühl von Sicherheit gab es nicht. Man gewöhnte sich einfach daran. Und welche Freiheit? Mein Verständnis von Freiheit ist: Du kannst tun und lassen, was du willst – aber bitte trage die Verantwortung dafür. So etwas gab es damals nicht. Es gab nur Glück. Und Hoffnung. Dass wir rausgekommen sind, das war einfach nur Glück.“
Welche Bedeutung hatte es für Jüdinnen und Juden, auf der Suche nach Freiheit nach Deutschland zu kommen?
Freidzon: „Wir kamen 1992 aus der damaligen UdSSR hierher und waren überglücklich, dass wir das durften. Unsere Familie durfte vorher nirgendwo hin, nicht einmal innerhalb der ehemaligen UdSSR. Wir saßen – und ich übersetze hier wörtlich – ‚unter der Käseglocke‘.
Wissen Sie, was ich dann gemacht habe? Ein Jahr nach unserer Ankunft in Deutschland bin ich nach Paris gefahren. Denn es gab einen Witz in der ehemaligen UdSSR: ‚Ach, Sie wollen nach Paris fahren? Ganz schnell?‘. Das war der Witz. Wenn ich Ihnen heute sage ‚Ich will nach Paris.‘, antworten Sie mir ‚Es fährt ein Zug’. Das ist Ihr Verständnis von Freiheit – für uns war das ein Witz.“
Welchen Herausforderungen begegneten Sie bei Ihrer Ankunft in Deutschland?
Freidzon: „Zuallererst die Sprache. Wenn mich heute jemand fragen würde, was man auf der Flucht mitnehmen muss, dann ist es Sprache. Wir wussten nicht, mit wem wir auf welcher Sprache sprechen sollten oder konnten. Das war ein Kuddelmuddel.
Ansonsten waren es ganz alltägliche Dinge: Wir wussten nicht, dass wir einen Knopf drücken mussten, um aus dem Bus auszusteigen. Aber wir haben so viel Hilfe bekommen. Von der Gemeinde, von den Leuten, von der Tagesmutter für meinen Sohn – völlig fremde Menschen, mit denen wir im Nachhinein Freundschaften geschlossen haben. Das ist so rührend, so nett gewesen. Heutzutage kennt jeder jeden aus der jüdischen Community hier. Wir helfen uns gegenseitig, da gibt es einen wirklich festen Zusammenhalt.“