Krank am Arbeitsplatz

„Psychische Probleme? Wir haben hier nur harte Jungs.“ Solche Aussagen hörte Werner Kissling vom Centrum für Disease Management der TU München früher regelmäßig – insbesondere im produzierenden Gewerbe. Heute begegnet Werner Kissling zunehmend Unternehmern, die die psychischen Belastungen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ernst nehmen und mehr über den Umgang mit diesen Problemen erfahren wollen.

Kein Wunder: 22 Prozent der Berufstätigen leiden im Lauf eines Jahres an einer psychischen Erkrankung wie Depression, Angstzuständen, Psychosen oder Essstörungen. Neben dem Leid der Betroffenen und ihrer Familien entstehen auch für Unternehmen hohe Kosten durch Fehlzeiten und Frühberentung. Um ein Mehrfaches höher werden die Fehlkosten noch durch den so genannten Präsentismus eingeschätzt, also der krankheitsbedingt verminderten Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz.

„Das ist schlicht ein Kostenfaktor für die Firmen“, sagt Kissling, deshalb werde das Problem jetzt zunehmend von den Unternehmen angegangen und auch von den Medien aufgegriffen. „Da hat sich in den vergangenen beiden Jahren wirklich was geändert, denn bis vor kurzem spielten psychische Störungen im gesellschaftlichen Diskurs kaum eine Rolle.“

Allerdings wissen immer noch zu wenig Menschen Bescheid über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. Und während Bluthochdruck als ganz normale Krankheit betrachtet wird über die man sich am Arbeitsplatz austauscht, sind die meisten Betroffenen von Stimmungserkrankungen dabei weitaus zurückhaltender. An der Seele Erkrankten wird Überempfindlichkeit unterstellt, Suchtkranken wird mangelnde Disziplin vorgworfen.

Das Centrum für Disease Management an der TU München bietet Unternehmen Schulungen an, in denen Vorgesetzte und Personalverantwortliche den richtigen Umgang mit Betroffenen lernen können. Drei Ziele stehen dabei im Vordergrund: Die Teilnehmer sollen rechtzeitig erkennen, wenn ein Kollege oder eine Kollegin überlastet ist. Sie lernen, diese Person dann in der richtigen Weise anzusprechen und gemeinsam eine Lösung zu finden. Laut Werner Kissling fällt dies Führungskräften nicht immer leicht, da sie nicht ausreichend geschult sind: „Sie haben Scheu, solche scheinbar privaten Themen anzusprechen. Es gibt Fälle, da weiß die ganze Abteilung um das Suchtproblem eines Kollegen, aber keiner sagt was“. Dabei gelte auch hier: Je früher man solche Dinge anspreche, desto besser könne dem Mitarbeiter geholfen werden. Und im dritten Schritt geht es um die Wiedereingliederung – nach Kissling „mit das Schwierigste“: Wie gehe ich mit dem Rückkehrer um? Und wie mit dem Team? Diese Fragen sind nicht leicht zu beantworten. „Wenn diese Phase nicht richtig begleitet wird, kann es sein, dass die betroffene Person schnell wieder krank wird“, hat Werner Kissling beobachtet.

Psychiatrische wie auch neurologische Erkrankungen sind Krankheiten wie die bekannten Volksleiden auch. Das Wissenschaftsjahr Gesundheitsforschung will dazu beitragen, dass dies anerkannt wird, denn es stellt eine wichtige Herausforderung an die Gesellschaft dar.