Aktueller Stand, Chancen und Herausforderungen der Demenzforschung in Deutschland

Portrait Michael Huell Michael Hüll, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, Universitätsklinikum Freiburg

Demenz ist die Bezeichnung für eine zunehmende Gedächtnisstörung, die meist auch mit Wortfindungs- und Orientierungsstörungen einhergeht. Mit zunehmender Lebenserwartung und aufgrund der Altersverteilung werden zwischen 1% und 3% der Wohnbevölkerung Deutschlands im Jahr 2025 an einer Demenz leiden. Damit wird eine Erkrankung im täglichen Leben deutlich präsent, deren Lasten zur Zeit noch hauptsächlich Ehepartner oder Kinder tragen. Die Alzheimer-Krankheit als Hauptursache einer Demenz ist dabei in den Mittelpunkt unserer Wahrnehmung von Gesundheitsrisiken im Alter gerückt.

Deutschland steht mit seinen grundlagenorientierten Forschungsinstituten, insbesondere mit dem im Jahr 2009 gegründeten Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), in einer Reihe mit den herausragenden internationalen Forschungsbemühungen zur Ursachenforschung für Demenzerkrankungen. Hier lassen sich auch Erfolge vermelden. Neue molekularbiologische Befunde vertiefen unser Verständnis von Demenzursachen – auch wenn die Entwicklung neuer Medikamente noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Ebenso haben die Kompetenznetzwerke der Universitätskliniken zur Weiterentwicklung der Früherkennung für Demenzerkrankungen beigetragen. Die Früherkennung erlaubt mittlerweile das Erfassen einer Alzheimer-Krankheit, ohne dass diese Krankheit bereits zu einer Demenz geführt hätte. Diese Frühdiagnostik bei nur geringen Krankheitssymptomen ist insbesondere dann berechtigt, wenn neue Medikamente die Alzheimer-Krankheit vor dem Fortschreiten zu einer Demenz stoppen können. Hierin liegen berechtigte Hoffnungen und die Zeiträume der Entwicklung lassen sich nur dadurch verkürzen, dass neben der Grundlagenforschung früh eine Übersetzung in die klinische Anwendung versucht wird. Dieser Bereich der klinischen Forschung, der nur in einem engen Patientenkontakt erfolgen kann, muss an den Universitätskliniken noch weiter ausgebaut werden.

Neuentwickelte Medikamente zur Behandlung von Demenzursachen sind zur Zeit leider noch Zukunftshoffnungen. Die Versorgungsforschung befasst sich weniger mit technologischen Zukunftsszenarien sondern vielmehr mit der Frage, was wir aus schon vorhandenen epidemiologischen und klinischen Daten lernen können und wie wir die verfügbaren Mittel am besten auf die heutigen Möglichkeiten verteilen können. Diesbezüglich scheint es wichtig zu sein, das bestimmte Risikofaktoren für eine Demenz, wie zum Beispiel Bluthochdruck, Bewegungsmangel oder Depression, bereits heute durch eine Verhaltensänderung oder eine Therapie beeinflussbar sind. Auch zeigen Ergebnisse der Versorgungsforschung, dass selbst längst eingeführte und in Leitlinien zusammengefasste einfache Methoden der Diagnostik bei weitem nicht in dem erwartbaren Maß in Deutschland umgesetzt werden. Das Gleiche gilt für den Einsatz von verfügbaren Therapien für Demenzerkrankte in der Versorgungsbreite. Hier wurde in den letzten Jahren wiederholt auf das Stigma und die Scham der Betroffenen und ihrer Angehörigen sowie teilweise das ausweichende Verhalten der Ärzte hingewiesen. In diesem Zusammenhang beschäftigt sich die Versorgungsforschung mit ganz praktischen Fragen, zum Beispiel mit der, wie Informationsbarrieren überwunden werden können. In diesem Zusammenhang sei auf ein Leuchtturmprojekt des Bundesgesundheitsministeriums hingewiesen: eine für Angehörige, Pflegekräfte und Ärzte konzipierte Webseite (www.demenz-leitlinie.de), die wissenschaftlich evaluiert wird. Patienten und Angehörige werden gerade in Zukunft zur Wahrnehmung ihres Beitrages zu einer Entscheidungsfindung in Gesundheitsfragen auf objektive und einfach zugängliche Informationsquellen angewiesen sein.

Während Deutschland im hohen Maße zu der internationalen biomedizinischen Forschung beiträgt und auch von den internationalen Ergebnissen mit profitieren wird, müssen wir unsere Hausaufgaben in der Versorgungsforschung selber machen. Nationale Eigenheiten des Versorgungssystems und Patientenpräferenz spielen dabei eine wichtige Rolle. So liegen die Kontaktraten zwischen einem Hausarzt und einem Patienten in Deutschland bis zu zehnmal höher als in manchen Nachbarstaaten. Dies ist weniger eine Frage eines objektiven Zuviels oder Zuwenigs, sondern weist auf eine länderspezifische Eigenart und Funktion dieser Kontakte hin. Im Unterschied zu anderen Ländern besitzt Deutschland auch eine gut entwickelte Gruppe von Heilberufen (z.B. Krankengymnasten, Ergotherapeuten), die zunehmend auch an Hochschulen ausgebildet werden. Gerade das Zusammenspiel der verschiedenen deutschen Gesundheitsprofessionen gilt es zu optimieren. Therapie muss nicht immer eine Tablette sein. In diesem Bereich fehlen allerdings finanzkräftige Interessensgruppen.

Doch auch die Weiterentwicklung und der Einsatz technischer Hilfsmittel (Orientierunghilfen, Sturzsensoren etc.) könnten in den kommenden Jahren für erkrankte Ältere wichtig werden. Neben der rein technischen Entwicklung, bei der das Technologieland Deutschland traditionell exzellent ist, spielt aber insbesondere auch die Akzeptanz durch die Betroffenen für die Versorgungsrelevanz eine wichtige Rolle. Verschiedenste Initiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben solche Ideen aufgenommen und in Forschungsförderungsprogramme verwandelt. Aktuell widmet sich auch das Wissenschaftsjahr 2011 – Forschung für unsere Gesundheit unter anderem diesem Thema. Denn die Bedürfnisse alternder Menschen nach Gesundheit, Selbstständigkeit und Beweglichkeit werden weltweit ein Motor für Neuentwicklungen sein. Laufende und zukünftige Forschungsinitiativen können hierfür Starthilfe geben. Die Versorgungsforschung im Bereich der Alzheimer Krankheit wird in diesem Zusammenhang vielleicht sogar feststellen, dass Neuentwicklungen und Therapieverbesserungen mit Blick auf den Gesamtaufwand von Angehörigen und Pflegekräften sogar nur eine mäßige finanzielle Aufwandssteigerung bedeutet.

Michael Hüll leitet das Zentrum für Geriatrie und Gerontologie des Universitätsklinikums Freiburg. Er beschäftigte sich mit Demenzerkrankungen auf der Ebene der Genetik, Molekularbiologie und Bildgebung. Als Facharzt für Psychiatrie gehören klinische Therapiestudien zu seinem Hauptaufgabengebiet. Nach einem Zusatzstudium zum Management im Gesundheitswesen leitet er auch Studien zur Versorgungsforschung bei Alterserkrankungen.

 

Weitere Informationen unter:

Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)

Demenz-Leitlinie

Universitätsklinikum Freiburg: Zentrum für Geriatrie und Gerontologie

 

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