Gehirntransporter Quelle: MPI für Psychiatrie

 

Mit personalisierter Medizin gegen Depressionen

 

„Organisch hat der Patient nichts“ – das sagen Mediziner oft über Patienten mit Depressionen – und das ärgert Florian Holsboer. Denn auch seelische Leiden haben organische Ursachen, davon ist der Naturwissenschaftler überzeugt. Der Direktor des Münchener Max-Planck-Instituts für Psychiatrie setzt sich bereits Jahren dafür ein, dass Depressionen besser als bisher behandelt werden. „Antidepressiva wirken nur bei etwa 70 Prozent der Patienten. Bei rund einem Drittel und brauchen sie oft Monate, um zu wirken“, sagt Holsboer. Diese Situation will der Forscher ändern. Anfang Dezember 2010 hat er gemeinsam mit dem ehemaligen AWD-Chef Carsten Maschmeyer eine Biotech-Firma gegründet: die HolsboerMaschmeyer Neurochemie GmbH (HMNC). Das Unternehmen ist mit zunächst vier Mitarbeitern am Münchener Max-Planck-Institut angesiedelt und soll die Ergebnisse des Max-Planck-Forschers in maßgeschneiderte Therapien zur Behandlung von Depressionen umsetzen.

Wenn es um Depressionen geht, ist Florian Holsboer für viele die erste Adresse. So ließ sich unter anderem der Münchner Fußballprofi Sebastian Deisler beim Neurowissenschaftler behandeln. Der Max-Planck-Direktor gilt als internationaler Experte und setzt sich vor allem dafür ein, die organischen Ursachen für psychiatrische Erkrankungen dingfest zu machen. Für viele Mediziner noch immer Tabuthema, aber für Forscher wie Holsboer die Ursache dafür, dass bisherige Medikamente noch zu ineffektiv sind. „Antidepressiva wirken bei zu wenig Patienten, brauchen zu lange, bis sie wirken und haben zu viele Nebenwirkungen. Damit können wir nicht zufrieden sein“, sagt Holsboer. Der Forscher setzt deshalb auf die individuelle Medizin. Er und seine Kollegen wollen jede Behandlung auf den einzelnen Patienten maßschneidern. Dafür nehmen die Forscher unter anderem die Gene unter die Lupe, denn inzwischen konnten sie herausfinden: Menschen mit bestimmten Genvarianten sind anfälliger für das Volksleiden Depression als andere. Trotz der Erkenntnisse zur Erblichkeit ist die Depression als komplexe Erkrankung nur schwer zu fassen. „Die heutige Diagnose von Depressionen hat keinen Bezug zur Pathophysiologie. Die Betrachtung ist immer noch sehr holzschnittartig“, beklagt Holsboer.

Die Zukunft der Depressionsbehandlung liegt für ihn in der Berücksichtigung von biologischen Anzeigern, sogenannten Biomarkern.„Wenn es uns gelingt, Gentests mit bestimmten Biomarkern zu paaren, dann haben wir eine gute Chance, die Diagnose und damit die Behandlung von Depressionen entscheidend zu verbessern“, erläutert der Experte. In der Onkologie hätten bereits genetische Marker neue Behandlungs- und Diagnosewege eröffnet, in der Behandlung von Depressionen fehle das bisher völlig. „Die Onkologen haben es relativ einfach. Sie entnehmen Gewebe, färben es an und sehen dann ob ein Antikörper bindet oder nicht. In der Psychiatrie ist das sehr viel schwieriger“, betont Holsboer. Doch er und seine Kollegen haben in den vergangenen Jahren bereits etliche vielversprechende Ansätze entwickelt, die eine zielgerichtere Diagnose von Depressionen erlaubt. So konnten die Forscher zum Beispiel bei depressiven Patienten Varianten in drei Genen aufspüren, die sich in Tests als sehr zuverlässige molekulare Indikatoren für den Verlauf einer Depression erwiesen haben.

Für MPI-Direktor Holsboer werden Biomarker wie diese langfristig nicht nur die Diagnose von Depressionen, sondern auch die Medikamentenentwicklung verbessern. Denn sie ermöglichen es, für klinische Studien nur die Patientengruppen auszuwählen, die auch wirklich auf ein maßgeschneidertes Medikament ansprechen werden. Im Kern geht es darum, die Patientengruppen je nach Ursache und Mechanismus der Depression unterschiedlichen Klassen zuzuteilen. Für jedes Patientenkontingent werden dann kleine chemische Wirkstoffmoleküle erforscht, die zu einem späteren Zeitpunkt an Pharmaunternehmen auslizenziert werden könnten. Die Forschung in einem Institut ließe sich jedoch nur bis zu einer bestimmten Grenze betreiben: „Wenn es darum geht, sogenannte Lead-Strukturen für künftige Medikamente zu entwickeln oder klinische Studien durchzuführen, dann braucht man einen externen Partner“, so Holsboer.

Aus diesem Grund hat der Wissenschaftler nun die Biotechnologie-Firma HMNC gegründet. Finanziert wird sie vom Multimillionär Carsten Maschmeyer. „Der intellektuelle Input stammt von mir, der finanzielle von Herrn Maschmeyer. Beides ist gleich wichtig. Daher besitzt jeder die Hälfte“, sagt Holsboer. Um die geeignete Medikamentenkandidaten zu entwickeln, kann sich Holsboer unter anderem eine Zusammenarbeit mit dem Lead Discovery Center (LDC) in Dortmund vorstellen. Dieses von der Max-Planck-Innovation GmbH gegründete Zentrum zielt darauf ab, Ergebnisse aus der Grundlagenforschung der Max-Planck-Gesellschaft so voranzutreiben, dass sie schneller zum Patienten kommen. Das LDC ist Teil eines Konsortiums, dass vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Dach der Biopharma-Initiative mit rund 20 Millionen Euro gefördert wird.

 

Mehr Informationen:

Kurzfilm zum Thema „Mit personalisierter Medizin Depressionen behandeln“

HolsboerMaschmeyer-NeuroChemie GmbH

 

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