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Ein Bündnis gegen Depression

 

Über psychiatrische Erkrankungen ist wenig bekannt. Dass viele Symptome bereits heute behandelbar sind, war die Botschaft einer ungewöhnlichen Kampagne in der Region Nürnberg. Das Vorhaben hatte Erfolg: die Suizidrate konnte deutlich gesenkt werden. Weitere Regionen haben das Konzept übernommen.

„Ob Millionär oder Hartz IV-Epfänger: Eine Depression kann jeden treffen“, sagt Ulrich Hegerl von der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Sprecher der Deutschen Bündnisse gegen Depression weiß, wovon er spricht: Zahlen aus Studien belegen, dass jeder fünfte Deutsche einmal im Leben eine mehr oder weniger schwere „depressive Störung" erleidet. Aktuell sind in der Bundesrepublik vier Millionen Menschen ernsthaft an depressiven Störungen erkrankt, nur eine Minderheit wird optimal behandelt.

„Eine Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung, das hat nichts mit einer zwischenzeitlichen Verstimmung zu tun“, sagt Hegerl. Zwar seien die Grenzen fließend, allerdings gebe es eindeutige Symptome: Die Menschen sind gedrückter Stimmung, ohne Antrieb und nicht in der Lage, auch nur kleinste Entscheidungen zu treffen. „Dazu kommen Konzentrationsstörungen, oft auch Schuldgefühle“, beschreibt der Forscher und betont, dass diese Erkrankung lebensbedrohliche Folgen haben kann. Fast alle Patienten mit einer schweren Depressionen haben zumindest Suizidgedanken: „Jeden Tag nehmen sich 30 Menschen in Deutschland das Leben.“

Dabei ist es nicht so, dass Betroffene einer Depression hoffnungslos ausgeliefert sind. Eine Depression ist behandelbar. Sie entsteht vor allem durch eine Störung des Stoffwechsels im Gehirn: die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin, die zur Übertragung von Impulsen zwischen den Nervenzellen wichtig sind, sind aus dem Takt geraten. Ergänzend spielen Stress, Belastungen und die genetische Disposition eine Rolle. Um die Störung in den Griff zu bekommen haben sich die ergänzende Kombination von Psychotherapie und speziellen Antidepressiva, die die Botenstoffe im Gehirn beeinflussen, bewährt. Dabei machen diese Arzneimittel – im Gegensatz zu Beruhigungs-oder Schlafmitteln – nicht süchtig.

Trotz der Häufigkeit von Depressionen und anderen neurologischen Störungen spielt die Problematik im gesellschaftlichen Diskurs bislang nur eine untergeordnete Rolle. Viele Menschen wissen wenig über psychische Erkrankungen, ihre Ursachen, Symptome und Behandlungsmöglichkeiten. Und während Herzkreislauf-Beschwerden oder ein zu hoher Cholesterinspiegel als ganz normal betrachtet werden, gelten beispielsweise depressive Menschen schnell als weinerlich und empfindlich. Oder einem Suchtkranken wird unterstellt, es fehle eben an Selbstdisziplin.

Diese negative Stigmatisierung psychologischer Erkrankungen macht aus der einzelnen Erkrankung ein gefährliches Tabu für die Betroffenen, mit der Folge, dass sie sich oft zu spät um ärztliche Hilfe bemühen. Die Angst, als „Psycho“ abgestempelt zu werden, sitzt immer noch tief. Und auch viele Ärztinnen und Ärzte erkennen Symptome, die auf eine depressive Störung hinweisen, erst relativ spät. Stigmatisierung gilt daher auch als „zweite Krankheit“. Sie kann eine frühzeitige Diagnose und Behandlung verhindern und den Heilungsprozess verlangsamen.

Im „Nürnberger Bündnis gegen Depression“ schlossen sich 2001 Ärztinnen und Ärzte, Psychotherapeutinnen und –therapeuten, Beratungsstellen, das Gesundheitsamt, das Klinikum Nürnberg Nord, die Stadt Nürnberg, die Kirchen und viele weitere Einrichtungen zusammen. Für Professort Ulrich Hegerl war das „ein ganz wichtiges Modellprojekt“. Um ein Bewusstsein für die Krankheit zu schaffen und es aus der Tabuzone zu holen, wurden Kinospots und Plakate entwickelt, Vorträge und Aktionstage organisiert. Außerdem schulten die Aktiven Fachkräfte aus medizinischen und sozialen Berufen zum Thema Depression, auch Hausärzte, Lehrer und Pfarrer besuchten Fortbildungsveranstaltungen. Das Projekt hat Erfolg: „Die Zahl der suizidalen Handlungen, der Begriff umfasst Suizide und Suizidversuche, ist in Nürnberg um mehr als 30 Prozent zurückgegangen“, sagt Hegerl. Die guten Erfahrungen haben auch andere Kommunen überzeugt. Bis heute haben sich 50 regionale Bündnisse gegründet, die das Konzept aus Nürnberg übernommen haben. Die Forschung innerhalb der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, die aus dem BMBF-geförderten Kompetenznetz entstand, befasst sich zugleich mit der Evaluation des Modelprojekts in Nürnberg.

 

Weitere Informationen:

Mehr Informationen zur Depressions-Forschung: Kompetenznetz Depression, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), seit Januar 2010 fortgeführt von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe

Zum Deutschen Bündnis gegen Depression

 

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