„Wir brauchen ein besseres Verständnis der biologischen Grundlagen“

Professor Frank Schneider Professor Frank Schneider ist Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Aachen und früherer Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN).

Professor Frank Schneider, Leiter der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Aachen, über die Fortschritte der Gesundheitsforschung und das zunehmende Verständnis der Gesellschaft für seelische Erkrankungen.

Herr Professor Schneider, warum werden neurologische und psychiatrische Erkrankungen immer in einem Atemzug genannt? Sind sie nicht alle sehr unterschiedlich - auch was die Heilungsmöglichkeiten anbelangt?

Prof. Frank Schneider: Psychiatrische und neurologische Erkrankungen haben viele Gemeinsamkeiten. Oft liegen ähnliche Ursachen vor, wie beispielsweise ein gestörter Stoffwechselprozess. Einige Erkrankungen, wie etwa die Demenz, lassen sich auch nicht exklusiv einer der beiden Fachrichtungen zuordnen, sondern können nur im Zusammenspiel der beiden „Schwesterdisziplinen" behandelt werden. Aus diesen Gründen verbringen die Assistenzärzte auch ein Jahr ihrer Facharztausbildung in der jeweils anderen Abteilung. Wir glauben, dass Patienten von dieser Zusammenarbeit zwischen Neurologie und Psychiatrie besonders profitieren.

Warum nimmt die Zahl der Erkrankten stetig zu?

Prof. Frank Schneider: Obwohl Studien zeigen, dass die Prävalenzraten, das meint die Angaben, wie viele Menschen an einer Krankheit erkrankt sind, ansteigen, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Zahl der Erkrankten zunimmt. Es kann auch darauf zurückzuführen sein, dass die Betroffenen eher Hilfe in Anspruch nehmen, als noch vor einigen Jahren. Dies hat auch mit dem Bild der psychiatrischen Versorgung in der Bevölkerung zu tun. Wir sehen, dass die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung zugenommen hat und Betroffene weniger stigmatisiert werden.

Ist es nicht immer noch so, dass ein depressiver Mensch in der Gesellschaft als schwach und undiszipliniert gilt?

Prof. Frank Schneider:
Ich glaube, dass sich hier in den vergangen Jahren schon einiges verändert hat. Dies hat man auch an der großen Anteilnahme am Tod Robert Enkes gesehen. Wir haben im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde ein eigenes Referat mit dem Thema „Sportpsychiatrie“ gegründet, bei dem wir auch eng mit der Robert-Enke Stiftung zusammen arbeiten. Gerade im Spitzensport ist Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen noch stark verbreitet. Desweiteren gibt es bundesweit verschiedene Initiativen, die durch Öffentlichkeitsarbeit, also vor allem durch Aufklärung, versuchen mehr Akzeptanz von psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung zu schaffen.

Hilft es, über die Erkrankungen zu reden – oder muss man nicht konkret etwas tun?

Prof. Frank Schneider: Es ist wichtig, offen über Ursachen psychischer Erkrankungen zu sprechen. Betroffene werden oft selbst verantwortlich gemacht, ihnen wird fehlender Wille zur Gesundheit unterstellt. In Wirklichkeit sind psychische Erkrankungen aber in der Regel auf eine Kombination biologischer und sozialer Faktoren zurückzuführen. Das heißt, Vererbung spielt eine Rolle, aber auch ein kritisches Lebensereignis. In diesen Fällen ist die Möglichkeit der Betroffenen sich selbst zu helfen sehr begrenzt.

Wie kann die Gesundheitsforschung dazu beitragen, die Lebenssituation der betroffenen Menschen zu verbessern?

Prof. Frank Schneider: Die öffentliche Aufmerksamkeit liegt derzeit vor allem auf der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen, wie der Alzheimer Demenz. Dies sind auf jeden Fall Störungsbilder, bei denen wir uns erhebliche therapeutische Fortschritte erhoffen, wenn es uns gelingt, die Erkrankungen früher zu diagnostizieren. Momentan werden Demenzen in der Regel erst hinreichend diagnostiziert, wenn bereits erhebliche Symptome auftreten.

Im Bereich der psychischen Erkrankungen können die Erkrankten oft schon sehr gut behandelt werden. Ist damit schon alles erreicht?

Prof. Frank Schneider: Eine Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie führt bei psychischen Erkrankungen oft zu guten Ergebnissen. Leider ist der Fortschritt in der medikamentösen Entwicklung bedroht, da sich zunehmend die großen Pharmafirmen aus diesem Geschäft zurückziehen. Wir glauben, dass ein deutlich besseres Verständnis der biologischen Grundlagen psychischer Störungen einen ganz neuen Impuls für die Weiterentwicklung von Diagnostik und Therapie einleiten könnte. Und das ist unser Ziel.