Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Herrschaftswissen des 21. Jahrhunderts

Welche Gefahren Datenfusionen innewohnen

Datenfusionssysteme sind heute allgegenwärtig
(©Patrick Poendl/Shutterstock)

Ein Blogbeitrag von Yvonne Hofstetter

Die gesellschaftlichen Folgen einer weiten Verbreitung von Big-Data-Anwendungen werden oft noch unterschätzt. Wo kommen die Analysen überall zum Einsatz? Werden wir immer berechenbarer? Wird unsere Zukunft gar von intelligenten Maschinen determiniert? Wollen wir uns vor einem Übergreifen der Kontrolltechnologien schützen, müssen wir zu radikalen Strategien greifen.

Spätestens seit dem Fall der amerikanischen Einzelhandelskette Target, deren Datenanalyse schneller wusste, dass ihre minderjährige Kundin schwanger war, als ihr eigener Vater, ist klar: Hier passiert etwas, das einiges verändern wird. Eine Analysesoftware erkennt einen Lebenssachverhalt schneller als der Mensch. Der private Mensch scheint seine Privatheit verloren zu haben, während für den öffentlichen Menschen das, was er über sich selbst kommunizieren möchte, immer unkontrollierbarer wird. Big-Data-Analysen und -Prognosen rütteln an den Grundpfeilern unserer Kommunikation: Diese Erkenntnis trifft uns wie ein Blitz. Was ist da technologisch in den vergangenen Jahren bloß unbemerkt an uns vorbeigegangen?

Die Mathematik muss gefördert werden
(©hxdyl/Shutterstock)

Unsere Daten werden fusioniert

Zunächst muss festgestellt werden, dass die Big-Data-Analyse keine neue Technologie ist. Seit fast zwanzig Jahren werden ähnliche Anwendungen zur militärischen Aufklärung und Lageanalyse genutzt, etwa bei der Überwachung des Luftraums mittels Radar. Ist ein Objekt erfasst, wird dieses mit einem sich bewegenden Plot auf dem Radarbildschirm dargestellt. Doch die Information über den Standort des erfassten Flugzeugs allein genügt nicht: Ist es zivil oder militärisch, um welchen Flugzeugtyp handelt es sich, welche Bewaffnung führt es? Ein gut konstruiertes Aufklärungssystem findet Antworten auf all diese Fragen. Dazu fusioniert es die vorhandenen Rohdaten: Geschwindigkeit, Radarrückstrahlfläche und zivile Flugpläne. "Multi-Sensor-Datenfusion" heißen solche leistungsfähigen Algorithmen. Hat die Software nun etwa festgestellt, dass das erfasste Objekt ein ziviles, unbewaffnetes und befreundetes Flugzeug ist, fehlt nur noch der letzte Schritt im Prozess: die Entscheidung, was zu tun ist. In gut konstruierten Datenfusionssystemen wird auch diese Entscheidung von einer intelligenten Maschine automatisch überwacht. Das System kann so beispielsweise einen versehentlichen Freundbeschuss verhindern.

Mittlerweile haben auch kommerzielle Unternehmen Datenfusionssysteme für sich entdeckt und wenden das Prinzip auf Personen an - etwa um Konsumentscheidungen zu steuern. Das hat Werbung immer versucht, ließe sich nun einwenden. Doch dass die heutigen Entwicklungen einen Schritt weiter gehen, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 2012, das kürzlich bekannt wurde: Facebook hatte für ein Experiment mit seinen Algorithmen bewusst die Gefühle von 689.000 Nutzern manipuliert. Positive Meldungen wurden unterdrückt, negative Schlagzeilen beherrschten die Timelines. Die Nutzer blieben deprimiert zurück.

Die Freiheit des Menschen beginnt immer bei jedem Einzelnen
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Den Kontrollmechanismen Einhalt gebieten

 Der Schlüssel für derartige Anwendungen sind mathematische Gleichungen. Wer nicht über dieses Herrschaftswissen des 21. Jahrhunderts verfügt, wird auch nur schwer nachvollziehen können, wie wir beobachtet, ausgewertet, klassifiziert und manipuliert werden. Selbst das vielbeschworene Erlernen von Programmiersprachen hilft hier nur bedingt weiter. Programmierung und Mathematik sind doch sehr verschiedene Werkzeuge der digitalen Revolution. Deshalb stehen wir vor der Herausforderung, die Mathematik zu fördern, wo wir können.

Wer aber wirklich verhindern möchte, von einer intelligenten Kontrollstrategie manipuliert zu werden, dem sei Datenabstinenz empfohlen. Eine schlechte - also unvollständige oder veraltete - Datenbasis hat noch nie zu einer guten Kontrollstrategie geführt. Viele Data Scientists verzichten deshalb auf das Nutzen von Smartphones, Social Media oder auch Kreditkarten. Dabei wird diese Strategie immer schwieriger, weil persönliche Daten immer häufiger auch nicht-kooperativ erhoben werden. Doch solange die offenen Fragen um unsere Grundrechte in Zeiten von Big Data noch nicht geklärt sind, ist das immer noch die beste Strategie. Denn die Freiheit des Menschen beginnt immer zuerst bei jedem Einzelnen. Und die Dinge, die wir besitzen, sie besitzen auch uns. Das ist wahr, selbst wenn es sich dabei nicht um unser Smartphone handelt, diese digitale Wanze in unserer Tasche. Wenn aber doch, ist diese Lebensweisheit nur umso zutreffender.

Yvonne Hofstetter, Juristin und Essayistin, ist Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH. Das Unternehmen entwickelt Systeme künstlicher Intelligenz für Kunden aus der Politik, Wirtschaft und Industrie. Ihr Team ist seit mehr als 15 Jahren auf die Auswertung großer Datenmengen mit lernenden Maschinen spezialisiert. Frau Hofstetters Buch "Sie wissen alles" ist beim C. Bertelsmann Verlag erschienen.