Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Nachrichten zum Anfassen

Wie Newsgames den Journalismus ins 21. Jahrhundert führen könnten

Die Zukunft sieht am Anfang immer ein bisschen albern aus. Egal ob es sich dabei um das erste Auto, das erste Telefon oder die erste Nachrichtenseite im Internet handelt. Es ist ungemein einfach, neue Errungenschaften zu belächeln, sie gönnerhaft abzulehnen - als absurde Spinnereien, als unnötig, als unbrauchbar oder schlicht als falsch. Manchmal liegen solche Prognosen aber auch daneben. Widmen wir uns also unvoreingenommen der Fusion von Computerspielen und Journalismus.

Bei Newsgames trifft Wissensvermittlung auf Interaktion und Spaß (©JoeEsco/photocase.com)

Die Idee, die mich seit einigen Jahren umtreibt, lässt sich mit einem recht schlichten zusammengesetzten Substantiv beschreiben: Newsgames. Ich verstehe das weder als Heilsbringer für den mäandernden Journalismus noch als Revolution für die Machart von Computerspielen. Aber es könnte den Journalismus um eine neue Facette bereichern, die im Laufe des 21. Jahrhunderts immer relevanter werden dürfte. Schließlich hat sich der Journalismus – und ich zitiere hier den Wikipedia-Eintrag Die Geschichte des Journalismus - "im Laufe seiner mehr als 2.000 Jahre währenden Geschichte jeweils der neuesten Technologien bedient".

Aber wie könnte das Ganze funktionieren? Computerspiele leben von der Interaktion mit den Nutzern. Dieses Prinzip wurde in den vergangenen Jahrzehnten perfektioniert. Ein Spiel, definiert durch ein Ziel, Regeln und Feedback muss dabei aber keinesfalls zwangsläufig ein schlichter Zeitvertreib sein. Im Gegenteil: Computerspiele bieten das Potential, alle möglichen Aussagen über die Welt zu treffen. Dabei müssen diese Aussagen allerdings nicht in Text oder Bild formuliert sein, wie beispielsweise in Tageszeitungen, sondern können über Prozesse vermittelt werden.

Als Pirat am Horn von Afrika

Das eigene Handeln und Entscheiden hat in Computerspielen konkrete Auswirkungen die mittel- und unmittelbar zu neuen Erkenntnissen führen: In der Rolle eines Piraten am Horn von Afrika kann ein Spieler beispielsweise lernen, was somalische Fischer dazu treibt, Schiffe anzugreifen und Gewalt anzuwenden. In der Rolle eines Finanzministers kann erfahren werden, wie begrenzt die Handlungsräume bei der Vergabe von staatlichen Geldern sind. Der Spieler könnte aber auch in Rolle des Ebola-Virus schlüpfen, um so zu erleben, wie sich die tödliche Krankheit ausbreitet, und wie sie sich weiterentwickeln könnte.

Möglich werden so ganz neue und unterschiedliche Einsatzszenarien im Journalismus. Angelehnt an die klassischen medialen Formate wie Bericht, Reportage, Kommentar sind ähnliche Formate im Kontext Interaktion denkbar. So kann beispielsweise das Spiel September 12th als spielerischer Kommentar auf die Antiterror-Politik der amerikanischen Regierung nach den 9/11-Anschlägen verstanden werden. Der Spieler kann in dem Spiel Raketen auf mutmaßliche Terroristen abfeuern. Dabei erzeugt er jedoch regelmäßig "kollateral Schäden", er tötet also unbeteiligte Zivilisten. Deren Angehörige entwickeln sich dadurch ebenfalls zu Terroristen, sodass am Ende die gesamte Spielwelt in Schutt und Asche liegt und von Terroristen wimmelt. Die Aussage: Gewalt erzeugt Gegengewalt.

Neue Blickwinkel, großes Potenzial (©silversun/photocase.com)

Ein Beispiel für die Weiterentwicklung der klassischen Reportage mit Computerspiel-Mechanismen firmiert unter dem Namen Immersive Journalism. Dabei können Nutzer mit einer Virtual-Reality-Brille nachrichtenrelevante Szenen nachleben, etwa die Explosion einer Bombe auf einer Straße in Syrien oder einen gewaltsamen Übergriff von Polizisten auf einen wehrlosen Jugendlichen.

Lernen übers eigene Handeln 

Auch das US-Militär misst Spielen eine immer höhere Bedeutung zu. Von der Rekrutierung über die Einsatzvorbereitung bis zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen: Es gibt keinen Bereich, indem das Pentagon keine Spiele und Simulationen einsetzt. Erreicht werden soll schließlich eine Zielgruppe, die mit Gameboys, Internet und Smartphones aufgewachsen ist. So setzen auch Museen, Kultureinrichtungen, Bildungsinstitutionen bei der Wissensvermittlung zunehmend auf Computerspiele. 

Spiele bieten sich vor allem an, um sich mit komplexen Systemen auseinanderzusetzen. So macht das Spiel SimCity beispielsweise Städtebau erfahrbar und hinterlässt mehr Eindruck als so manches Einführungswerk zum Thema Stadtplanung. Das ersetzt nicht zwangsläufig traditionelle Formen des Journalismus, kann diesen aber sinnvoll ergänzen. 

Zwingende Voraussetzung dafür ist allerdings Sorgfalt und Erfahrung im Umgang mit dem Design interaktiver Anwendungen und gutes journalistisches Handwerk. Auch Spielen wird es zwar nie gelingen, eine komplett wertneutrale, objektive Betrachtungsweise der Welt zu vermitteln - damit geht es ihnen wie allen anderen Medien auch. Was das Computerspiel aber besser als jedes andere Medium kann, ist dem Nutzer neue Blickwinkel erfahren zu lassen.

Portrait Bösch

Marcus Bösch ist Journalist und Geschäftsführer des Game Studios The Good Evil. Er publiziert, unterrichtet und berät in den Themenbereichen Digitaler Journalismus, Mobile Reporting und Newsgames. The Good Evil wurde 2013 als Kultur- und Kreativpilot der Bundesregierung ausgezeichnet. Bösch hat mit seinem Team Deutschlands erstes Newsgame PRISM konzipiert und umgesetzt. Im Mai 2014 veranstaltete Bösch Europas ersten Newsgames-Hackathon.