Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Kakophonie der Interessen

Digitale Werte am Beispiel Musik

(©dwphotos/shutterstock)

 

Sind im Zeitalter der digitalen Medien alle Werte verloren gegangen? Hört man die Klagen der Musikindustrie und der Verleger, könnte sich dieser Eindruck einstellen. Es wird kopiert, was das Zeug hält. Neue Firmen bauen ihre Geschäftsmodelle auf der Kannibalisierung vorhandener Dienste auf. Frei nach dem Motto: "Den Weg zum Kunden hat schon jemand bezahlt, dann können wir ja alles viel billiger anbieten". Was heißt hier billig? Kostenlos ist mittlerweile der richtige Preis für alle Inhalte. Alle, die Geld verlangen, sind böse, böse. Aber stimmt das wirklich?

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Dr. Karlheinz Brandenburg

Einerseits ist dieser Eindruck natürlich nicht ganz falsch. Andererseits, als jemand, der die Musikindustrie lange verteidigt hat, sage ich: Ihr habt es auch verschlafen! Der gesellschaftliche Konsens funktioniert nur, wenn ein fairer Preis vorhanden ist und auf die Bedürfnisse der Kunden Rücksicht genommen wird.

Es braucht fairen Nutzen für die, die für etwas zahlen. Es braucht klare Bedingungen. So sind scheinbar kostenlose Dienste nie wirklich ohne Gegenleistung und man gibt seine Daten für gezielte Werbung ab. Das muss allerdings transparent geregelt sein. Und es braucht mehr Phantasie. Ein "das war schon immer so" hilft nicht weiter. Schon lange gibt es den Wunsch, dass die Begegnung mit Musik mehr sein sollte als das Anhören konservierter Töne, sondern eher ein Treffen mit den Künstlern - ob live oder über das Internet. Früher war es das Cover einer Schallplatte, das uns viel bedeutet hat. Digitale Musik verfügt nicht über Cover. Aber die Funktion des Schauens und Begreifens kann auch anders hergestellt werden.

Zugang zu riesigen Musikdatenbanken (©sad444/shutterstock)

Konkret bedeutet dies für die Musikindustrie: Nehmt zur Kenntnis, dass die Liebe zur Musik nicht abgenommen hat. Nehmt zur Kenntnis, dass viele sich veralbert fühlen, wenn die Geschäftsmodelle nicht angepasst werden. Und nehmt zur Kenntnis, dass es eine Zukunft gibt. Sie ist anders, der Verkauf von Konserven hat die besten Zeiten hinter sich, aber es ist eine Zukunft, in der weiterhin gute Musik ihren Wert hat.

Wehret den Anfängen digitaler Radierer

An alle, die im Diskurs um Verwertung von Texten und Medien mitreden: Nehmt zur Kenntnis, dass das System widerspruchsfrei sein muss. Ich verstehe jeden, der sich beschwert, wenn seine Inhalte als kostenlose Basis für die Geschäftsmodelle anderer dienen sollen. Aber: Wer gefunden werden will, muss das unterstützen. Gefunden werden zu wollen und gleichzeitig dafür Geld zu verlangen - das verstehe ich nicht. Und nehmt zur Kenntnis, dass freier Zugang zu Informationen und deren Auffindbarkeit ein Grundpfeiler unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung sind.

Liebe zur Musik hat nicht abgenommen (©dubassy/shutterstock)

Die Idee, Dokumente wieder aus dem Internet "radieren" zu wollen und damit vollständig aus allen Archiven entfernen zu können, erinnert mich an das Buch "1984". Da wurden ja auch nach politischem Gusto Personen nicht nur zur Unperson erklärt, sondern jegliche Information über sie nachträglich aus den Archiven entfernt. Wer, aus welchen gutgemeinten Gründen auch immer, einem "digitalen Radiergummi" das Wort redet, der hilft nolens volens zukünftigen Diktatoren, dass sie die Unterdrückung noch besser organisieren können. Ich kann nur sagen: "wehret den Anfängen".

Eines macht mir immer noch viel Hoffnung: Nach allem, was ich höre, hat das Interesse am selber Musik machen - ob in Musikschulen oder am Lagerfeuer - nicht nachgelassen. Auch der Verkauf von Musikinstrumenten ist alles andere als Rückläufig. Ich finde es toll, dass wir in einer Zeit leben, in der wir einen breiten Zugang zu Musik haben - ob selbergesungen oder professionell gemacht, ob zu Hause oder überall auf Reisen.

Zur Person

Karlheinz Brandenburg gilt als einer der wichtigsten Informatiker in Deutschland. Er ist Direktor des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie IDMT und Leiter des Fachgebietes Elektronische Medientechnik an der Technischen Universität Ilmenau. Brandenburg studierte an der Universität in Erlangen Elektrotechnik und Mathematik und promovierte 1989 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema "Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung". Die in dieser Dissertation beschriebenen Techniken bilden die Grundlage für die Entwicklung des MPEG Layer-3 (mp3), des MPEG-2 Advanced Audio Coding (AAC) und vieler anderer moderner Verfahren der Audiocodierung.