Zwischen Umsicht und Übertreibung – der richtige Umgang mit Infektionen bei Kindern

Reinhard Berner

Das kindliche Immunsystem ist noch anfällig. Als lernendes System bedarf es verschiedener Erfahrungen und wird erst Schritt für Schritt stärker. Das führt bei Eltern nicht selten zu Gewissenskonflikten: Was ist besser – Vorsicht oder Vertrauen? Professor Reinhard Berner ist Experte für Infektionskrankheiten bei Kindern und sagt: beides – die Balance muss stimmen. An dieser Stelle gibt er nützliche Tipps, was es für Eltern dabei zu beachten gibt.

 

1. Starkes Immunsystem bester Schutz vor Erkältungskrankheiten
Eine gute Abwehr schützt am besten vor Infektionen und damit auch vor Erkältungskrankheiten. Sie bildet die Grundlage für einen gesunden Organismus, der verschiedene Erreger abwehren kann. Eine ausgewogene kindgerechte Ernährung mit Vitaminen und Eisen sowie körperliche Aktivität im Freien, die den Körper stärken und widerstandsfähig machen, sind die beste Voraussetzung für eine funktionierende Immunabwehr. Nahrungsergänzungsmittel oder Präparate zur Immunsystem-Stimulanz sind für ein ausgereiftes Immunsystem überflüssig.

 

2. Vorsicht beim Kochen
Einige Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Milchprodukte oder auch Babynahrung bieten Keimen und Bakterien die ideale Grundlage zur Vermehrung. Um damit einhergehende Infektionsrisiken zu vermeiden, ist eine gründliche Nahrungsmittelhygiene wichtig. Bewahren Sie angebrochene oder leicht verderbliche Lebensmittel im Kühlschrank auf oder frieren Sie diese ein. So können Sie die Vermehrung der meisten Keime stoppen. Vorsicht: Bestimmte Erreger wie Salmonellen können auch im Kühlschrank überleben. Säubern Sie daher die verwendeten Kochuntensilien gründlich. Insbesondere bei der Nahrungszubereitung für Neugeborene gilt: in den ersten Lebenswochen und -monaten nur abgekochtes Wasser verwenden!

 

3. Keine übermäßige Hygiene
Zahlreiche Studien belegen, dass Kinder heute in immer hygienischerem Umfeld aufwachsen, die Zahl der Allergien jedoch steigt. Nur wenn sich das Immunsystem von Beginn an mit verschiedenen Erregern auseinandersetzt, kann es Abwehrmechanismen gegen diese bilden und somit auch einer Fehlsteuerung des Immunsystems entgegenwirken, die zu Allergien und Asthma führen kann. Verzichten Sie daher soweit wie möglich auf den Gebrauch von chemischen Desinfektionsmitteln im Haushalt. Sofern Sie keimsensible Orte, wie Küche oder Bad, sauber halten und im Haushalt allgemein auf Hygiene achten – wie zum Beispiel auf regelmäßiges Händewaschen – ist der Einsatz von Desinfektionsmitteln überflüssig. Im Gegenteil: Er kann sogar negative Folgen haben. Im schlimmsten Fall entstehen durch übermäßigen Gebrauch Überempfindlichkeiten der Haut oder der Schleimhäute bis hin zu Allergien.

 

4. Impfempfehlungen einhalten
Auch Impfungen tragen zur Stärkung des kindlichen Immunsystems bei. Sie trainieren das Immunsystem gezielt,  indem der Organismus des Kindes schon frühzeitig – idealerweise bevor er mit dem Erreger in Kontakt kommt – Abwehrstoffe gegen die jeweilige Krankheit entwickelt. Eine Influenza-Impfung ist für Kinder in Deutschland im Regelfall nicht empfohlen. Ausnahmen sind Kinder, die aufgrund einer speziellen Erkrankung, zum Beispiel Asthma, der regelmäßigen ärztlichen Betreuung bedürfen. Typische Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps oder Windpocken müssen – entgegen weitläufiger Annahmen – heute nicht mehr durchgemacht werden. Der Rückgang dieser Krankheiten ist Fortschritten der Gesundheitsforschung in der Impfstoffentwicklung zu verdanken. Mittlerweile gibt es sogar gut verträgliche Impfstoffe gegen Erreger von Hirnhautentzündung und Sepsis („Blutvergiftung“) bei Kindern, wie Meningokokken, Pneumokokken und Haemophilus. Die Entwicklung dieser Impfungen zählt zu den größten Fortschritten der modernen Medizin.

 

5. Fieberhafte Erkrankungen richtig einschätzen
Zu Kinderkrankheiten zählen nicht nur Masern, Röteln oder Windpocken, sondern auch die überaus häufigen fieberhaften Erkrankungen in den ersten Lebensjahren. In der Regel handelt sich um „banale“ Virusinfektionen, von denen die Kinder sich selbst erholen. In den ersten zwei Lebensjahren ist eine eventuell hoch erscheinende Anzahl fieberhafter Erkrankungen normal: Bis zu zehn fiebrige Krankheiten pro Jahr sind keine Ausnahme. Denn das noch unreife Immunsystem des Kindes muss sich zum ersten Mal mit zahlreichen Erregern auseinandersetzen. Fieber hilft dem Körper bei der Abwehr von Keimen und Bakterien. Nicht immer muss das Kind bei Fieber sofort zum Arzt. Falls Sie aber beunruhigt sind, Ihr Kind zu wenig trinkt oder andere Krankheitssymptome hinzukommen, sollten Sie ärztlichen Rat einholen. Ebenso ratsam ist ein Arztbesuch, wenn das Fieber länger als drei Tage andauert oder das Kind sich trotz sinkendem Fieber nicht besser fühlt.

 

Zum Autor:

Professor Reinhard Berner ist Leiter der Sektion Pädiatrische Infektiologie, Immunologie und Vakzinologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg. Von 2005 bis 2009 war er Erster Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI).

 

Informationen zu Vorsorgeuntersuchungen für Kinder:
Die Vorsorgeuntersuchungen U 1 – 11 stellen die ärztliche Begleitung für Kinder von der Geburt bis zum zehnten Lebensjahr sicher. Empfehlenswert ist außerdem die Untersuchung J 1, die im Alter von 13 Jahren stattfinden sollte: Durch ein persönliches Gespräch beurteilt der Arzt die psychische Verfassung des Kindes, seine altersgemäße Entwicklung und das Gesundheitsverhalten. Zudem wird die körperliche Gesundheit untersucht, um Entwicklungsstörungen, Haltungsschäden und andere Beeinträchtigungen ausschließen oder rechtzeitig behandeln zu können. Wichtiger Bestandteil der J 1 ist die Überprüfung des Impfschutzes für Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Polio sowie Hepatitis B, Meningokokken C, Windpocken, Masern, Mumps, Röteln und Gebärmutterhalskrebs. Sollte der Impfschutz nicht ausreichen, sind Auffrischungen ratsam.

 

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Weitere Informationen:

Bundesforschungsministerium
Alles zum Thema Gesundheitsforschung im Bereich Infektionskrankheiten und Entzündungen stellt das Bundesforschungsministerium bereit:
Infektionskrankheiten und Entzündungen

 

Bundesgesundheitsministerium / Robert Koch Institut
Allgemeine und aktuelle Informationen finden Sie unter: 
Allgemeine EHEC-Informationen
Aktuelle Empfehlungen

 

Biotechnologie.de
Unser Partner biotechnologie.de berichtet aktuell aus der Forschung, etwa vom Institut für Hygiene am Universitätsklinikum Münster: 
Infektionsforscher jagen das EHEC-Bakterium

 

Bundesinstitut für Risikobewertung
Das Bundesinstitut für Risikobewertung bietet zweierlei: 
Verbrauchertipps zum Schutz vor Infektionen mit enterohaemorrhagischen E. Coli (EHEC)
Informationsseite rund um EHEC
Empfehlungen des Bundesinstituts für Risikobewertung zu EHEC

 

Nationale Forschungsplattform für Zoonosen
Unser Partner, die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen bietet auf Ihrer Internetplattform zahlreiche Hintergrundinformationen:
Hintergrundinformationen zu den aktuellen EHEC-Infektionen

 

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Umfassende Hinweise zu Hygiene und Tipps zur Vermeidung von Infektionen mit EHEC bietet die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung:
EHEC-Infektionen: Hygiene beachten

 

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene
Das Institut hat gemeinsam mit Forschern des Beijing Genomic Institut das Erbgut des EHEC-Erreger entschlüsselt.
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