Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Didaktische Revolution mit kleinem Haken

Erfahrungsbericht zum Einsatz eines MOOCs

Hundertausende Zugriffe, täglich neue Inhalte und Kursteilnehmer auf der ganzen Welt: Kostenlose Webseminare, sogenannte Massiv Open Online Courses (MOOCs), sind im Begriff, die globale Bildungslandschaft zu revolutionieren. Ist die klassische Präsensuniversität also ein Auslaufmodell? Professor Oliver Vornberger hat mit seinem Team das Potenzial von MOOCs in der Praxis getestet und ein Webseminar zur Erstsemestervorlesung Algorithmen und Datenstrukturen erstellt. Das Ergebnis macht Hoffnung auf mehr – auch wenn die Sache einen kleinen Haken hat.

Können MOOCs traditionelle Universitäten ersetzen?
(© wavebreakmedia/shutterstock)

Ein Blogbeitrag von Oliver Vornberger

Die Erstsemestervorlesung Algorithmen und Datenstrukturen ist ein Klassiker in der Informatik. Es geht praktisch um die Grundlagen für jedes Programmieren. Das Material wird normalerweise in vier Stunden Vorlesung und zwei Stunden Übungen pro Semesterwoche vermittelt. Für unseren MOOC haben wir diese Inhalte zunächst in 237 jeweils dreiminütige Videoclips und 132 Multiple Choice Quizzes zusammengefasst. Zu sehen war in den Clips der Screen eines Tablets und die Hand, die es bedient. Fragen konnten Teilnehmer über ein Diskussionsforum stellen und bekamen dort in der Regel innerhalb weniger Stunden eine kompetente Antwort von ihren Mitstreitern im MOOC. Gestartet haben wir das Seminar am 15. April über die Plattform iversity.

Software korrigiert Übungsaufgaben

Einmal pro Woche wurde eine Hausaufgabe freigeschaltet, welche schriftlich bearbeitet und hochgeladen werden musste. Dabei handelte es sich überwiegend um Programmieraufgaben, die anschließend automatisch korrigiert wurden. Eine an unserem Institut entwickelten Software prüfte dazu die Ergebnisse auf syntaktische Korrektheit und auf das geforderte Ein- und Ausgabeverhalten. Darüber hinaus wurde jede eingereichte Lösung an fünf zufällig ausgewählte Kursteilnehmer geschickt, die den Programmierstil kommentieren und bewerten mussten. So war es jedem Teilnehmer möglich, seinen Leistungsstand zu überprüfen und zudem die Analyse fremder Software zu trainieren. Wer sich am Ende des Kurses gut vorbereitet fühlte, konnte sich zu einer Präsenzprüfung anmelden. Diese wurde konventionell mit Papier und Kugelschreiber abgenommen. Angeboten haben wir dazu sieben Prüfungsorte in Deutschland. Bei erfolgreichem Bestehen erwarb der Student ein Zertifikat mit Note und Aufwandsnachweis (6 ECTS Credits).

Aufwand zahlt sich auf Dauer aus

Zusammenfassend lässt sich für den Lehrenden sagen, dass vor allem der Arbeitsaufwand nicht zu unterschätzen ist. Das Aufbereiten des Materials für eine Woche Online-Kurs hat inklusive Konzeption, Studioaufnahmen und Videoschnitt fast 30 Stunden gedauert. Das ähnelt eher dem Verfassen eines Lehrbuchs als dem Halten einer Vorlesungsreihe. Allerdings zahlt sich der Aufwand auf lange Sicht aus. Denn im Gegensatz zu Vorlesungen, die sich der Vortragende zu Beginn eines Semesters immer wieder neu verinnerlichen muss, benötigen MOOCs nur eine regelmäßige geringfügige Aktualisierung. Einmal erstellt, können sie mehrere Jahre eingesetzt werden.

Bleiben die Hörsäle zukünftig leer? (©bbernard/Shutterstock)

Campusleben unersetzbar

Auf Seite der Studierenden hat sich gezeigt, dass MOOCs für einige tatsächlich eine didaktische Revolution darstellen. Das Feedback aus dem Diskussionsforum und die Gespräche mit den nach Osnabrück zur Klausur angereisten Kursteilnehmern haben dies gezeigt. So berichteten viele Teilnehmer, das Lernen per MOOC sei für sie sehr viel intensiver als in einem klassischen Seminar zu sitzen. Vor allem der hohe Konzentrationsgrad wurde hervorgehoben. Doch nicht alle teilten diese Einschätzung. Auf Nachfragen zeigte sich, dass insbesondere der hohe Grad an Selbstdisziplin für einige Studierende eine Hürde darstellte, den Kurs bis zum Ende fortzuführen. Alleine vor dem Computer zu lernen ist nicht jedermanns Sache. So gaben die Kursteilnehmer auch zu bedenken, dass Onlinekurse auch das informelle Lernen einschränkten: Mitschriften im Auditorium austauschen, die Gespräche in der Mensa und Lerngruppen auf dem Campusgrün: Studierende lernen vieles nicht nur in den Seminaren, sondern auch im Austausch mit ihren Kommilitonen. MOOCs können schlussfolgernd demnach eine gute Ergänzung für den klassischen Lehrbetrieb darstellen. Ersetzen werden sie die Präsensuniversität mit Campus und persönlichen Kontakten aber wohl nie.

Oliver Vornberger ist Professor für Medieninformatik an der Universität Osnabrück und Vorstandssprecher von virtUOS, dem Zentrum zur Unterstützung der virtuellen Lehre an der Universität Osnabrück. Für sein Engagement in der Lehre erhielt er 2009 vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft auf Vorschlag der Hochschulrektorenkonferenz den "Ars Legendi Preis für exzellente Hochschullehre". Im selben Jahr zeichnete ihn das Land Niedersachsen mit dem Wissenschaftspreis aus, zusammen mit Prof. Dr. Karsten Morisse von der Hochschule Osnabrück für ihre gelungene Kooperation durch E-Learning-Projekte.

Im Wintersemester 2014/2015 wird er erneut auf der Internetplattform iversity kostenlos angeboten.