Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Entmystifizierung der E-Partizipation

Was digitale Beteiligung leisten kann – und was nicht

Nur mitschwimmen oder sich aktiv online beteiligen? (©samuelschalch / photocase.de)

Ein Blogbeitrag von Dr. Oliver Märker

Alle reden von Beteiligung. Und doch ist die E-Partizipation mit vielen Vorurteilen belegt. Zahlreiche Missverständnisse erzeugen ein diffuses Bild. Mit Wahlen und Abstimmungen gleichgesetzt wird sie von vielen als demokratieschädigend verteufelt und von anderen als Allheilmittel gegen Politikverdrossenheit glorifiziert. Dabei geht es schlicht darum, möglichst unterschiedliche Bürgermeinungen in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen - nicht mehr aber auch nicht weniger. Was E-Partizipationsverfahren leisten können und was nicht, erläutert Dr. Oliver Märker, Mitbegründer der Agentur Zebralog, die Kommunen, Ministerien und Unternehmen bei der Konzeption und Umsetzung crossmedialer Beteiligungsprozesse unterstützt.

Wer E-Partizipation richtig einordnen will, muss erst einmal verstehen, was Bürgerbeteiligung in ihrem Kern ausmacht. Dabei handelt es sich um Verfahren, bei denen Politik und Verwaltung die Bürger als Ideen-, Vorschlags- oder Feedbackgeber einbeziehen - sei es im Rahmen einer Stadtentwicklungsplanung oder des kommunalen Haushaltsplanverfahrens (Bürgerhaushalt). Die so gewonnenen Hinweise oder Kritikpunkte fließen in den Abwägungsprozess bei der fachpolitischen Entscheidungsvorbereitung ein.

Bürgerbeteiligung - ob elektronisch oder nicht - ist daher kein direktdemokratisches Verfahren. Sie hat weder mit Wahlen und Volksentscheiden zu tun noch mit Mehrheiten, Quoten oder Quoren, wie häufig direkt oder indirekt unterstellt wird. Ziel ist stattdessen, möglichst viele unterschiedliche Meinungen und Expertisen in eine Fachplanung oder einen Gesetzesentwurf einzubringen. Es geht nicht darum, eine repräsentative Ja-Nein- oder Entweder-Oder-Entscheidung (zwischen zwei Planungsalternativen) zu erzielen. Daher stehen diese Verfahren nicht in Konkurrenz zu Wahlen beziehungsweise zu durch Wahlen legitimierten Strukturen wie parlamentarische Ausschüsse. Sie bieten stattdessen die Möglichkeit, Bürger zwischen den Wahlen - neben den üblichen Experten - als zusätzliche Impulsgeber miteinzubeziehen.

Der elektronische Mehrwert

Der klare Vorteil des E'-s vor der Partizipation ist der bessere Zugang: Interessierte Bürger können sich online einfacher einbringen als dies (nur) durch orts- und zeitgebundene Formate möglich ist. Multimediale Informations- und Beteiligungsangebote erleichtern es der interessierten Öffentlichkeit, sich in die Diskussion einzubringen, indem sie sich nicht nur umfassender über den Dialoggegenstand (Haushaltsplan, Verkehrsentwicklungsplan, Gesetzentwurf, städtebaulicher Entwurf oder ähnliches) informieren, sondern auch über den Planungs- und Beteiligungsprozess selbst informieren können. So wird klar, was in welcher Reihenfolge geplant und entschieden und wer wo genau zu welchen Zwecken und Zielsetzungen beteiligt wird. Zudem werden online alle Bürgerbeiträge und -ergebnisse dokumentiert und bleiben damit auch noch nach der Beteiligungsphase einsehbar. Mit Blick auf die Akzeptanz und Legitimation der Planung und Gesetzgebung entsteht dadurch ein wichtiges Verfahrens- und Beteiligungsgedächtnis. Ein wichtiger Beitrag dafür, Entscheidungsprozesse im Sinne des Open Government transparenter und zugänglicher zu gestalten - weg vom Hinterzimmer.

Ein Surfer am Strand
E-Partizipation: Nicht nur auf der digitalen Agenda surfen (Washbeer22/photocase)

Ein Bespiel aus der Praxis

Beispiel Köln: Als erste deutsche Großstadt hat die Stadtverwaltung versucht, ihre Bürger in die kommunale Haushaltsplanung auf elektronischem Wege miteinzubeziehen. Positiv war zunächst, dass die Menschen von Anfang an über das Netz und andere Kanäle crossmedial aufgeklärt wurden: Zahlreiche Informationsangebote machten sie mit der Thematik vertraut. Bei den ersten beiden Bürgerhaushalten informierten und beteiligten sich dann auch tausende Teilnehmer. In den Folgejahren ging die Teilnehmerzahl jedoch stark zurück. Offenbar brachten die Bürger so ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass die Hinweise aus den ersten beiden Verfahren nicht öffentlich nachvollziehbar in den Entscheidungsfindungsprozess eingeflossen waren. Es ist aber entscheidend, dass Ergebnisse von Bürgerbeteiligungen im weiteren Verfahren berücksichtigt und erkennbar in den Planungs- und Entscheidungsfindungsprozess eingebunden werden. Denn schließlich ist E-Partizipation nichts anderes als Partizipation: Wenn die Bürger sich nicht ernst genommen fühlen, wird eine Weiterentwicklung und Ausweitung der Bürgerbeteiligung letztlich nicht gelingen.

Beteiligungskultur verbessern

Am Kölner Beispiel wird deutlich, dass ein elektronisches Beteiligungsverfahren auch ein Umdenken seitens der politisch handelnden Akteure erfordert: Es reicht nicht aus "vorne" Partizipation zu digitalisieren, wenn "hinten", sprich in den Ausschüssen, nichts verändert wird. Es bedarf eines kulturellen Wandels, der nicht nur das Beteiligungsverfahren selbst erfasst, sondern auch die politisch-administrativen Strukturen.

Doch selbst wenn die Bürger für ein (elektronisches) Beteiligungsverfahren vorbildlich mobilisiert werden, das Angebot technisch und gestalterisch auf dem neusten Stand ist und die Ergebnisse ihren Weg unmittelbar in die Entscheidungsfindung einfließen: Elektronisch unterstützte Bürgerbeteiligungsverfahren haben ihre Grenzen. Um diese muss man wissen, will man keine falschen Erwartungen wecken beziehungsweise die Verfahren nicht überfordern. Denn wie bei anderen Partizipationsverfahren, die darauf setzen, dass sich die Teilnehmenden selbst mobilisieren, ist es schwer, damit bildungs- oder politikferne Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Das beutet: E-Partizipation kann nicht ausgleichen, was in den vergangenen 60 Jahren von der Politik in Punkto Bürgereinbindung versäumt wurde und was inzwischen zu einer generellen Politikferne oder -verdrossenheit geführt hat. Um diese Entwicklung zu stoppen, sind sozial- und bildungspolitische Schritte und ein Lernprozess auf allen Seiten erforderlich.

Konzeption vor Technik

Der Erfolg von E-Partizipation hängt also vor allem von Strukturen, Beteiligungskulturen und -kompetenzen sowie einem mobilisierungsfähigen Thema ab. Zwar bietet elektronische Unterstützung einen wichtigen Mehrwert, kann jedoch ohne den richtigen Rahmen nicht viel ausrichten. Ist der Rahmen gegeben, lohnt es sich hingegen, Partizipationsverfahren durch eine elektronische Säule crossmedial auszubauen. Dabei sollten jedoch nicht die technischen Details im Vordergrund stehen, sondern zunächst grundsätzliche Fragen geklärt werden: Was sind die Zielsetzungen? Was soll mit den Beteiligungsergebnissen passieren? Wie könnte eine Beteiligung sinnvoll in den übergeordneten Prozess eingebettet werden? Und wie sollen die Ergebnisse dokumentiert werden? Am Ende steht also ein Verfahren, dem die Technik dienen muss - und nicht umgekehrt.

Weitere Informationen

Dr. Oliver Märker ist geschäftsführender Gesellschafter von Zebralog mit Sitz in Berlin und Bonn. Er berät Kommunen, Ministerien und Unternehmen bei der Konzeption, Einführung und Umsetzung elektronisch unterstützter Beteiligungsangebote.