Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Kleine Fibel der Netzdemokratie

Fünf Regeln für sinnvolle politische Beteiligung im Internet

Bundestag bei Nahct
Netzdemokratie ja, aber nach klaren Regeln (© kallejipp/ photocase)

 

Ein Blogbeitrag von Dr. Alexandra Borchardt

 

Das Netz und die Demokratie - vor nicht allzu langer Zeit glaubten viele, beides verhielte sich zueinander etwa so wie der Sommer und die Eisdiele: Ist der eine erst einmal da, wird die andere schon aufmachen. Einen missglückten arabischen Frühling und eine NSA-Affäre später ist die Zahl der Internet-Enthusiasten zwar deutlich geschrumpft. Dennoch halten viele das Netz nach wie vor für das ideale Vehikel, um Bürger zum Mitbestimmen zu bewegen und auf diese Weise die "Herrschaft des Volkes" zu stärken oder überhaupt erst zu etablieren. Die Idee: Jeder kann mitregieren, ein Smartphone genügt. Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn ohne Zweifel lässt sich politische Beteiligung mit Hilfe des Netzes unterstützen. Aber zur Demokratie gehören klare Regeln, die jeder kennen muss, der sie in die digitale Welt transportieren möchte.

Regel Nummer eins: In der Demokratie muss jede Stimme gleich viel zählen. Ob arm oder reich, klug oder dumm, engagiert oder ignorant: Bei Wahlen oder Volksabstimmungen hat jeder Staatsbürger das gleiche Recht aufs Mitreden. Wer Beteiligung im Netz vorantreiben will, muss also dafür sorgen, dass jeder das Netz kennt, Zugang dazu hat und es auch nutzen kann. Sonst werden benachteiligte Gruppen ausgeschlossen, andere bekommen zu viel Macht.

Frau vor Laptop in Bib
Repräsentaten nehmen Arbeit ab (simonthon/photocase)

Regel Nummer zwei: Demokratie ist Repräsentation. Weil die meisten Menschen im Alltag anderes tun müssen als sich zum Beispiel mit den Tücken eines Gemeinde-Haushalt auseinanderzusetzen, das Für und Wider von Auslandseinsätzen zu studieren oder die Vor- und Nachteile neuer Schnellstraßen auszuloten, wählen sie Vertreter, denen sie genau das zutrauen und zumuten. Ist das einzige Mandat für Mitbestimmung ein selbst ausgestelltes, wird aus der Herrschaft der Besser-Wissenden eine Herrschaft der Besserwisser – im Netz kein ganz seltenes Phänomen.

Daraus folgt Regel Nummer drei: Demokratie macht einigen viel Arbeit. Wer sich ernsthaft politisch engagiert, verwendet unzählige Stunden oft auch an Abenden und Wochenenden darauf, sich in Themen einzulesen, in Parlamenten zu behaupten oder in Bürgerinitiativen an Konzepten zu feilen. Das im Netz so beliebte Click-and-Go – mal schnell auf der Website drei Kreuze machen oder „Gefällt mir“ anklicken – macht noch lange keinen Politiker.

Arbeitsraum mit Computern
Politik kostet Zeit, auch im Netz (wubwien/photocase)

 

Für alle, die sich nicht aktiv einbringen, gilt Regel Nummer vier: Mitbestimmung darf nicht überfordern. Wahlen und andere Abstimmungen sind relativ kostengünstige Methoden der breiten Volksbeteiligung. Sie muten den Menschen ab und an einen Urnengang zu, ansonsten dürfen die Bürger getrost Autos verkaufen, Maschinen entwickeln oder Kinder großziehen, ohne dass sie in ihren Rechten zu kurz kommen. Digitale Plattformen sind deshalb zwar äußerst nützlich zur politischen Meinungsbildung oder Mobilisierung. Man muss aber einkalkulieren, dass sie sehr ungleich genutzt werden. Eine E-Petition mit hoher Beteiligung zum Beispiel bedeutet noch lange nicht, dass das Thema wirklich eine breite Schicht oder gar die Mehrheit der Menschen bewegt. Sie kann auch Folge einer starken Kampagne von Minderheitsinteressen sein.

Was zu Regel Nummer fünf führt: Manipulation muss verhindert werden. So wie die geheime Wahl nach strengen Standards organisiert ist, müssen auch für digitale Abstimmungen sichere Schranken entwickelt werden. Allzu leicht können sonst mächtige Interessen die Themen und Prozesse kapern. Das ist nicht immer das Ende der Demokratie, wohl aber eines ihrer schlimmsten Leiden.

 

Dr. Alexandra Borchardt ist Chefin vom Dienst bei der Süddeutschen Zeitung und dort seit 2005 als leitende Redakteurin in verschiedenen Funktionen tätig. Sie arbeitete zuvor für die Financial Times Deutschland und die Deutsche Presse-Agentur. Borchardt hält einen Ph. D. in Political Science der Tulane University, New Orleans. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Umland von München.