Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Lasst die Roboter und Algorithmen malochen

Wie wir uns die Digitalisierung der Arbeitswelt zu nutzen machen können

Mann arbeitet entspannt in der Hängematte
Der Idealfall: die Digitalisierung schafft Raum für bessere Arbeit (©benicce / photocase.de)

Ein Blogbeitrag von Thomas Vašek (Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift "Hohe Luft")

Roboter ersetzen unsere Muskelkraft, Algorithmen unsere Denkleistungen: Die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt stellt die Menschheit vor riesige Herausforderungen. Sie bietet aber auch die einmalige Chance, dass wir uns endlich um die wirklich wichtigen Dinge kümmern können. Vorausgesetzt, wir kontrollieren die Maschinen - und nicht sie uns.

Die Digitalisierung wird die Arbeit in ihrem Kern verändern. Womöglich stehen wir sogar vor einem "zweiten Maschinenzeitalter", wie die Ökonomen Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee in ihrem Buch "The second machine age" meinen. Digitale Technologien könnten in Zukunft viele unserer kognitiven Fähigkeiten ersetzen, so meinen die Autoren - ähnlich wie die Dampfmaschine die menschliche Muskelkraft ersetzt hat. Die Automatisierung des menschlichen Geistes hat längst begonnen, von digital vernetzten Produktionsketten über softwaregesteuerte Logistik bis hin zu den vollautomatisierten Handelssystemen der Finanzwelt. Die digitale Transformation der Arbeit birgt allerdings nicht nur gewaltige Chancen. Sie könnte auch zu neuen gesellschaftlichen Verwerfungen führen, von technologisch bedingter Arbeitslosigkeit bis hin zu Formen "digitaler Entfremdung", deren psychosoziale Folgen wir noch gar nicht absehen.

Auch hochqualifizierte Berufe bedroht

Computeralgorithmen werden in immer mehr Bereichen das menschliche Urteil ergänzen oder gar selbständig Entscheidungen treffen. Bereits heute können Programme medizinische Diagnosen erstellen, Texte übersetzen und in bestimmtem Rahmen sinnvoll mit Menschen kommunizieren. Auch eine Reihe von höherqualifizierten Berufen, so glauben Brynjolffson und McAfee, könnten in Zukunft schlicht der Automatisierung zum Opfer fallen. Zugleich ermöglichen die digitalen Technologien eine weitere Entgrenzung der Arbeit. Es wird immer weniger Rolle spielen, wo und wann wir arbeiten. Arbeit und Freizeit fließen ineinander. Darin liegt zum einen die Chance, Arbeit und Familie besser zu integrieren, zum anderen bringt die ständige Verfügbarkeit auch neue psychische Belastungen. Die Digitalisierung eröffnet faszinierende Möglichkeiten, die Arbeit zum Besseren zu verändern. Sie kann allerdings auch zu einer Form von gestörter Selbst- und Weltbeziehung führen, die ich als "digitale Entfremdung" charakterisieren möchte. Unter digitaler Entfremdung verstehe ich, dass Menschen die kognitive Kontrolle über ihre eigene Arbeit verlieren - dass also Computeralgorithmen die Menschen nutzen statt umgekehrt.

Neue Arbeitswelt braucht neue Regeln  

Die digitalen Technologien erlauben es heute etwa, komplexe Tätigkeiten in kleine Teilschritte zu zerlegen, die auch von geringqualifizierten Mitarbeitern durchgeführt werden können. Es droht ein neuer "digitaler Taylorismus", verbunden mit hocheffizienten Formen der Mitarbeiterüberwachung, wie es etwa in Callcentern bereits zu beobachten ist. Wir müssen uns mit der Frage beschäftigen, was es für die Arbeit bedeutet, wenn Mitarbeiter Entscheidungen von Algorithmen unterworfen sind, die sie weder durchschauen noch beeinflussen können - oder wenn die Arbeit permanenter, softwaregestützter Überwachung unterliegt. Dazu müssen wir Arbeit jedoch als komplexe soziale Praxis betrachten, die nicht auf eine bloße Effizienzlogik - also gleichsam auf ihre "algorithmische" Dimension - reduziert werden darf. Wir brauchen eine Diskussion darüber, was "gute Arbeit" unter digitalen Bedingungen bedeutet. Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt werden entscheidend davon abhängen, ob es uns gelingt, normativen Ansprüchen Geltung zu verschaffen gegenüber der Macht der Algorithmen, die uns immer mehr ihre eigenen Gesetze diktieren. Um pathologische Entwicklungen zu verhindern, braucht es verlässliche soziale Praktiken, die durch Regeln und Standards abgestützt sind. Ein möglicher Anfang wäre etwa ein verbindlicher Code, um die Auswüchse der E-Mail-Kommunikation in Unternehmen und Organisationen einzudämmen. Ganz ähnlich wäre zu diskutieren, was eine "begrenzte Entgrenzung" der Arbeit sinnvollerweise bedeuten könnte. Die Diskussion über ein "Mail-Verbot" nach Feierabend ist nur ein Anfang.

Ein Mann liegt in der Hängematte
(benicce / photocase.de)

Im Idealfall profitieren alle

Die digitale Revolution bedeutet nicht das "Ende der Arbeit". Menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Risikobereitschaft und Innovation werden uns auch in Zukunft Vorteile gegenüber den Computerprogrammen verschaffen - und zugleich ermöglichen, mit den Algorithmen produktiv zusammenzuarbeiten. Diese Interaktion wird aber nur dann zu unserem Vorteil sein, wenn sie in menschengerechte Praktiken eingebettet ist - und nicht bloß in Software-Code. Zugleich werden wir einsehen müssen, dass es Bereiche gibt, in denen die Algorithmen besser sind als wir. Das sollten wir jedoch nicht als digitale Kränkung sehen, sondern als neue Form gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Was die Algorithmen besser können, das sollten in Zukunft auch die Algorithmen machen. Im Idealfall schafft die Digitalisierung Raum für bessere Arbeit, die unseren menschlichen Fähigkeiten entspricht. Von der digitalen Revolution sollten wir alle profitieren, und zwar nicht nur durch mehr Wohlstand. Wenn Computerprogramme einen immer größeren Teil unserer Arbeit machen, dann sollte es in Zukunft auch möglich sein, die menschliche Arbeitszeit deutlich zu reduzieren. Die Algorithmen und Roboter sollen ruhig ordentlich malochen, damit wir mehr Zeit haben für die wirklich wichtigen Dinge - in der Arbeit und außerhalb.

Thomas Vašek ist Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift "Hohe Luft" und Autor von "Work-Life-Bullshit. Warum die Trennung von Arbeit und Leben in die Irre führt." (Riemann, 2013)