Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Lesekultur im Wandel

Welche Zukunft hat das Buch?

Die Digitalisierung von Medien macht uns dumm! Wir lesen keine Bücher mehr! Mit solchen und ähnlichen Bedenken räumt Dr. Mercedes Bunz auf. Sie erläutert in ihrem Blogbeitrag, wie das Buch sich wandeln wird – und warum seine digitale Zukunft golden ist.

In einer Bibliothek steht ein Laptop.
Werden wir bald nur noch am Bildschirm lesen? (©photogl/iStock)

Ein Blogbeitrag von Mercedes Bunz

Als Kulturwissenschaftlerin und Journalistin verfolge ich aufmerksam, wie sich Wissen und Öffentlichkeit durch die Digitalisierung verändern. Das Interessanteste dabei? Überraschender Weise sind das nicht neue Technologien, sondern die Reaktionen von uns Menschen.

Eigentlich sollte man ja annehmen, dass eine größere Verbreitung von Wissen gesellschaftlich willkommen geheißen würde. Dem ist aber nicht so. Der Tatsache, dass eine Information heute Dank der Digitalisierung durch einfache Suche gefunden werden kann, begegnen wir viel eher mit Skepsis und sprechen von „Informationsüberflutung“. Wir Menschen haben den Eindruck, dass das Wissen durch Google seichter geworden ist und machen uns Sorgen, nicht mehr zu überblicken, was denn die tatsächlichen Fakten sind. Das einfach zugängliche Wissen erzeugt damit einen Effekt, den ich in meinem Buch „Die Stille Revolution“ (Suhrkamp 2012) eingehend untersucht habe: Ein Mehr an Informationen führt offensichtlich nicht zu einem Mehr an Wissen. Wie kann das sein? Müssen wir uns jetzt ernsthaft Sorgen machen, da die Digitalisierung nun auch noch eine weitere traditionelle Medienform angreift: das gute alte Buch? Für das Land der Dichter und Denker, als das sich Deutschland gerne sieht, sind diese Veränderungen natürlich brisant.

Digitalisierung der Geisteswissenschaften

An der Leuphana Universität erforscht das Hybrid Publishing Lab, das ich derzeit leite, welche Auswirkungen die Digitalisierung des Buches mit sich bringt. Einen besonderen Blick werfen wir dabei auf die Veränderungen jenes Wissensfeldes, in dessen Zentrum traditionell das Buch, das Dichten und das Denken stehen: die Geisteswissenschaften. Dort finden sich allerhand interessante Verwerfungen, beispielsweise spielen Veröffentlichungen in der Karriere junger Geisteswissenschaftler heute eine weitaus wichtigere Rolle als früher. Zugleich ertönt die Klage, dass die Bücherflut in dem Bereich unüberschaubar geworden sei und soviel gar nicht gelesen werden könne. Und jetzt soll das Wissen auch noch umsonst zur Verfügung gestellt werden, weil im Verlagsbereich der digitale Vertrieb neue Einsparungen möglich macht. Auch wenn die Produktionskosten eines Buches bestehen bleiben, können so zumindest die Zustellungskosten für ein Buch massiv gesenkt werden. Genau dadurch aber entstehen neue Möglichkeiten wie beispielsweise „Open Access“, also der offene Zugang zu Kultur und Wissen.

Bücher für die Massen

Die weltweite Bewegung des Open Access folgt dem Credo, dass öffentlich finanzierte Forschung der Öffentlichkeit auch kostenfrei zur Verfügung gestellt werden sollte. Gewichtige Wissenschaftsinstitutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützen diese Forderung und Verlage wie DeGruyter oder transcript testen bereits das Modell. Ist die Zukunft des gedruckten Buches damit besiegelt? Lesen Geisteswissenschaftler bald nur noch am Bildschirm? Kann das für Denken und Dichten gesund sein? Wie beeinflussen die digitalen Medien unser Wissen? Mit Recht werden diese Fragen bei uns im Lab und an vielen anderen Universitäten untersucht. Dabei sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, dass wir uns schon einmal Gedanken über die Gefährlichkeit des Lesens gemacht haben: um das Jahr 1800, als sich das Buch als Massenartikel durchsetzte. Damals verdächtigten wir allerdings nicht den Bildschirm uns zu verdummen, sondern eben gedruckte Bücher.

Drei Frauen sitzen auf einer Wiese und lesen.
Früher wären diese Damen der "Lesesucht" beschuldigt worden. (© hui-buh/photocase.de)

Lesegewohnheiten ändern sich

Das selbständige Lesen von Büchern, mit dem ein Abrücken von der älteren Lehrtradition des Auswendiglernens einherging, war im 19. Jahrhundert vielen suspekt. Man sorgte sich um die „Lesesucht“. Sie drohte, den Kopf schädlich zu verrücken und wurde als Zeitverschwendung verstanden. Ähnliche Sorgen sind geblieben: Heute gibt es die populäre These, dass das Verstehen von Texten am Bildschirm schwieriger sei und die Konzentrationsfähigkeit mindere. Bald schon seien wir gar nicht mehr fähig, ganze Bücher zu lesen, heißt es. Aus wissenschaftlicher Perspektive sind Studien, die zu solchen Ergebnissen kommen, jedoch oft fragwürdig. Die Testpersonen haben das Lesen und Schreiben mit Papier und Stift gelernt und empfinden deshalb das digitale Buch auf dem Bildschirm als schwer zu bedienen und ungewohnt – das wirkt sich natürlich nachteilig auf die Lesekonzentration aus. Unbestritten ist aber, dass sich im digitalen Umfeld die Lesegewohnheiten ändern: Neben das Lesen des Buches tritt die Möglichkeit, Bücher zu durchsuchen. Um große, digitale Textmengen zu organisieren, mit denen wir heute in einer globalen, digitalisierten Welt nun einmal konfrontiert sind, ist es für junge Forscher essentiell, präzise nach Begriffen und Textstellen suchen zu können. Es hilft zu sondieren, was wirklich gelesen werden muss.

Damit ist klar: Das Lesen des Buchs wandelt sich. Es scheint, dass sich hier – genau wie damals im 19. Jahrhundert – wieder einmal zwei divergente Wissens-Regime ins Gehege kommen und für Unruhe sorgen. Bücher können zwar heute einfach digital durchsucht werden, aber das muss nicht unbedingt heißen, dass nicht mehr gelesen wird. Vielmehr wird „geblättert“, um zu entscheiden, wo sich das Konzentrieren wirklich lohnt. Kein anderes Format ist allerdings so einfach und präzise nach Information zu durchsuchen wie das digitale Buch. Es hat eine goldene Zukunft.

Foto von Mercedes Bunz
Foto: Thomas Lohr

Dr. Mercedes Bunz, Journalistin und Kulturwissenschaftlerin, lehrt und schreibt über digitale Medien. Sie leitet das Hybrid Publishing Lab am Zentrum für Digitale Kulturen, an der Leuphana Universität und forscht zu akademischem Publizieren im digitalen Zeitalter. Ihr neustes Buch „Die stille Revolution - Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen“ ist im Suhrkamp Verlag erschienen. Außerdem wurde Mercedes Bunz von der Gesellschaft für Informatik – im Rahmen des Wissenschaftsjahres – als einer von Deutschlands digitalen Köpfen  ausgezeichnet.