Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Roadmap für eine neue Gründerzeit

Startups aus Deutschland müssen auch im Online-Wettbewerb an die Weltspitze kommen können

Ob E-Commerce im Einzelhandel, Robotereinsatz in der Altenpflege, Online-Marktplätze für Handwerker, Social Media-Plattformen zur Kundengewinnung oder Geo-Daten für die Landwirtschaft: Die Digitalisierung unserer Wirtschaft durchdringt alle Betriebe, Branchen und Geschäftsmodelle. Die Grenzen zwischen Online- und Offline-Unternehmen können kaum noch gezogen werden. Dies stellt für das Industrieland Deutschland eine gewaltige Herausforderung dar. Die Botschaft dabei ist klar: Wer nicht digital mitspielen kann, wird bald gar nicht mehr mitspielen.

Elbphilharmonie und die Hamburger Hafencity
Neue Gründerzeit in Deutschland: Aller Anfang ist schwer
(© nicolasberlin)

Ein Blogbeitrag von Prof. Dr. Tobias Kollmann

Die Wirtschaft in Deutschland muss sich der digitalen Transformation so schnell wie möglich stellen. Zum einen sollten die klassische Industrie und der Mittelstand in Deutschland für dieses Thema weiter sensibilisiert werden, zum anderen müssen wir die Startups in diesem Bereich stärker fördern. Startups tragen entscheidend zur zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit bei. Hier ist noch viel aufzuholen. Ein Beispiel: Der größte Online-Shop in Deutschland wird von einem US-Unternehmen betrieben. Amazon hat zudem zusammen mit den anderen vier US-Internetriesen - Apple, Facebook, Google, eBay - den gleichen Börsenwert wie fast alle deutschen DAX30-Unternehmen zusammen. Dabei waren alle diese Unternehmen vor nicht so langer Zeit noch Startups. Dieses Verhältnis wird sich durch den erfolgreichen Börsengang von Twitter zusätzlich verstärken. Bis auf SAP gibt es hingegen kein deutsches IT/IKT- oder Internet-Unternehmen mit weltweiter Bedeutung. In letzter Zeit taucht immerhin Zalando hier und da in internationalen Rankings auf, einen digitalen Weltmarktführer "made in Germany" gibt es allerdings immer noch nicht.

Andocken an klassische Industrie

Zwar gibt es eine substantielle Gründerszene in Deutschland, auch mit ein paar aussichtsreichen Online-Startups. Aber die weitere Unterstützung dieser junge Innovationstreiber muss unabhängig von kurzfristigen Trends und Prognosen sein. Zudem sollte sie sich mehr in die Breite ausdehnen. Berlin ist derzeit unser wichtigster Standort für Online-Startups. Doch auch in Hamburg, München oder Köln kann der Internetriese von Morgen entstehen. Wir haben eine bessere Basis, wenn wir uns nicht zu sehr auf einzelne Regionen konzentrieren und sich die Gründerszene robust an mehreren Standorten entwickelt. Dies ist auch die Stärke unserer klassischen Industrie. Die Gründerszene in Berlin, Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart steht zudem in einem massiven internationalen Wettbewerb. Wir sollten deshalb anderen Standorten für digitale Startups nicht zu sehr nachlaufen oder gar das Silicon Valley als alleiniges Vorbild nehmen. In Deutschland gibt es viel eher Chancen für Startups, die mit ihren digitalen Geschäftsideen direkt an die vorhandene und starke Industrie andocken. Die Zusammenarbeit zwischen der klassischen Industrie und innovativen Startups könnte zum zentralen Wettbewerbsvorteil für die digitale Wirtschaft in Deutschland werden.

Köpfe für den Digitalen Wandel

Was konkret passieren müsste, damit Deutschland den Anschluss an die digitale Transformation nicht verpasst, hat der Beirat Junge Digitale Wirtschaft im Bundeswirtschaftsministerium in seinem ersten und zweiten Bericht bereits ausgearbeitet. Die Vorschläge könnten den Rahmen für eine erfolgreiche Digitale Wirtschaft 2020 bilden. Folgende Schritte wären demnach erforderlich:

1. Wir brauchen in den Schulen ein Fach "Medien" und "Computing", um die reale und digitale Basiskompetenz für das Anwendungsgebiet zu schaffen. Dabei müssen auch Inhalte aus den Bereichen Betriebswirtschaft, Informatik und Wirtschaftsinformatik vermittelt werden.

2. Wir brauchen an den Hochschulen mit den Studienfächern Betriebswirtschaftslehre, Informatik oder Wirtschaftsinformatik ein Fach "E-Entrepreneurship", um das Grundwissen für die digitale Wirtschaft fest zu verankern. Nur aus einer entsprechenden Breite können die benötigten Fachkräfte sowie die zukünftigen Gründer wachsen.

3. Da Schritt 1 und 2 vor allem eine mittel- bis langfristige Perspektiven haben, brauchen wir so schnell wie möglich auch eine neue Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte und Gründer der digitalen Wirtschaft. Der internationale Wettbewerb ist auch ein Wettbewerb um die kreativsten Köpfe. Derzeit versuchen wir vor allem deutsche Gründer ins Valley zu bringen. Sinnvoller wäre es, zu versuchen, Gründer aus den weltweit führenden Standorten nach Deutschland zu holen. Dazu benötigen wir eine schlanke Bürokratie, finanzielle Anreize und einfache steuerliche und rechtliche Regularien in den ersten drei Jahren eines Startups.

hausfassade in der hafencity
Wachstumsfonds könnten helfen (© almogon)

Mehr Wachstumskapital bereitstellen

Zudem fehlen hierzulande noch generelle Anreizsysteme für Investitionen in die Startup-Szene. Das gilt für privates und institutionelles Kapital ebenso wie für die Industrie, die Infrastruktur und Kapital für Startups bereitstellen möchte. Entsprechend brauchen wir hier Instrumente, um die notwendigen höheren Summen an Wachstumskapital stemmen zu können. Nationale Wachstumsfonds mit einem Volumen von 400 bis 500 Millionen Euro könnten hierfür ein Mittel sein, bis sich der deutsche Venture-Kapital-Markt entsprechend entwickelt hat. Zudem bräuchten wir auch ein funktionierendes Börsensegment für die Startup-Szene – und zwar sowohl als Exitkanal als auch als Quelle für die Aufnahme von Wachstumskapital.

Deutschland hat mit seiner starken Industrie und seinem breiten Mittelstand im Rücken und in Kombination mit den vorhandenen IT- und IKT-Unternehmen sowie einer signifikanten Steigerung von zugehörigen Startups der digitalen Wirtschaft gute Chancen, die zukünftigen Herausforderung der globalen digitalen Ökonomie zu meistern. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verzahnung zwischen Industrie, Mittelstand und Startups für digitale Geschäftsmodelle und -prozesse gelingt und wir ausreichend gut ausgebildete Fachkräfte und Gründer als Basis für diese Zusammenarbeit auf allen Seiten haben - damit in Zukunft der eine oder andere digitale Weltmarktführer auch aus Deutschland kommt.

Porträt prof. kollmann

Prof. Dr. Tobias Kollmann ist Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen. Seit 1996 befasst er sich mit wissenschaftlichen Fragestellungen rund um die Themen Internet, E-Business und E-Commerce. Kollmann ist Mitgründer von AutoScout24 Autor zahlreicher Publikationen aus den Bereichen E-Entrepreneurship, E-Business und Marketing für neuen Medien. 2013 wurde er als Kernmitglied in den neu geschaffenen Beirat Junge Digitale Wirtschaft des Bundeswirtschaftsministeriums berufen und auch zu dessen Vorsitzenden ernannt.