Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Sind wir auf dem Weg zur digitalen Demenz?

Von Prof. Dr. Manfred Spitzer (Universitätsklinikum Ulm)

Die Benutzung neuer Medien, so hört man überall, sei eine Kulturtechnik wie etwa das Lesen, weswegen man den richtigen Umgang mit den digitalen Medien nicht früh genug lernen könne. Diese Meinung entpuppt sich jedoch bei genauerem Hinsehen als schwerer Irrtum. Kinder und Jugendliche sind keine Erwachsenen: Ihre besonders lernfähigen Gehirne brauchen bestimmte Erfahrungen, um sich überhaupt erst bilden zu können. Denn das Gehirn bildet sich durch seinen Gebrauch.

Das Bild zeigt einen kleinen Roboter, der neben den Füßen eines am Boden liegenden Menschen steht
© complize / photocase.com

Betrachten wir Beispiele: Wer sprechen lernt, braucht den Umgang mit sprechenden Menschen; sitzen kleine Kinder hingegen vor Bildschirmen und Lautsprechern, bleiben sie in ihrer Sprachentwicklung zurück. Wer Kinder im Vorschulalter mathematisch besonders fördern will, der sollte Fingerspiele mit ihnen machen, denn Zahlen werden vom Gehirn über die Finger erworben, nicht durch Daddeln an einem Computer. Ebenso müssen die Gegenstände in der Welt mit den Händen buchstäblich begriffen und durch dieses Begreifen gelernt werden, wenn man möchte, dass die Kinder nach diesem Lernen besonders gut über die Welt nachdenken können sollen.

Wer glaubt, ein Zweijähriger, der über ein iPad wischt, beherrsche schon die moderne Informationstechnik und werde dadurch besonders schlau werden, der irrt fundamental: Diese Bewegung ist immer dieselbe und führt daher gerade nicht zur besseren Gehirnbildung sondern behindert diese. Das Töten von Monstern an der Spielekonsole trainiert die Aufmerksamkeit - in Richtung einer Aufmerksamkeitsstörung. (Dieser wichtige Zusatz wird meist weggelassen.)

Eine halbe Million Menschen in Deutschland sind internet- und computersüchtig.

Darüber hinaus machen Internet und Computer süchtig, wie die halbe Million internet- und computersüchtigen Menschen allein in Deutschland dokumentieren (Zahlen der Suchtbeauftragten der Bundesregierung von 2013). Je mehr Bildschirmmedien ein Jugendlicher benutzt, desto weniger empathisch bzw. sozial ist er gegenüber Freunden und Eltern eingestellt. Eine Playstation bewirkt Schulprobleme und schlechte Noten.

Dies sind nur einige wenige der vielen wichtigen Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung, der medizinischen, pädagogischen und psychologischen Forschung zu den Auswirkungen moderner Bildschirmmedien. Computer haben also nicht nur Wirkungen, sondern bergen auch Risiken und Nebenwirkungen, insbesondere was ihre Anwendung während der Zeit der Gehirnentwicklung anbelangt. Daher ist bei Kindern und Heranwachsenden eine Konsumbeschränkung notwendig, um die Gehirnbildung nicht zu beeinträchtigen. Alles andere ist nichts als Marktgeschrei der weltweit reichsten Konzerne, denen Profitstreben wir unser höchstes Gut, die Gehirne der nächsten Generation, definitiv nicht überlassen dürfen!

Zur Person

Porträtbild Prof. Dr. Manfred Spitzer

Prof. Dr. Manfred Spitzer ist ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm. Dort gründete er 2004 das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL).  Er ist Autor mehrerer neurowissenschaftlicher Bücher und Publikationen.

 

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