Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Supermarkt an Kühlschrank: Darf ich Deinen Kassenbon posten?

Datensicherheit im Internet der Dinge

Zwei Hochhäuser vor einer dystopisch wirkenden Stadt
Cyberphysical Systems kontrollieren schon heute unsere Infrastruktur (© revierhorst/photocase)

Das Internet der Maschinen und Dinge eröffnet der Bundesrepublik als klassisches Industrieland enorme Chancen. Die deutsche Sensibilität beim Thema Datensicherheit könnte sich dabei als Standortvorteil erweisen: Wenn vom Kühlschrank bis zum Herzschrittmacher alle Geräte online sind, wird eine Flut von empfindlichen Daten ins Netz schwappen und Vertrauen zur Währung der Stunde werden.

Ein Blogbeitrag von Prof Dr. Klaus Mainzer

 

Das Internet der Dinge stellt für Deutschland und Europa eine Chance dar, die sie nicht nutzlos verstreichen lassen sollten. IT-Netzwerke wachsen mit den physischen Infrastrukturen unserer Gesellschaft zusammen - etwa mit Fahrzeugen, Haustechniksystemen oder Supermarktregalen. Sogenannte Cyberphysical Systems organisieren sich weitgehend autonom über intelligente Schnittstellen, beispielsweise als Smart Grids oder Smart Citys. Schon heute sind die Infrastrukturaufgaben derartig gewaltig und komplex, dass wir ohne Cyberphysical Systems kaum mehr auskommen. Wir brauchen ihre Selbstorganisation und Automatisierung, um unsere Logistik-, Versorgungs-, Gesundheits- und Verkehrssysteme im Griff zu behalten. Zugleich wachsen aber auch die Risiken: Die hochkomplexen Systeme sind empfindlich gegenüber Störungen - lokale Unregelmäßigkeiten können sich im Sinn der Chaostheorie kaskadenhaft aufschaukeln.

Cyberphysical Systems befeuern auch den Wandel unserer Produktionswelt. Was für die erste industrielle Revolution die Dampfmaschine, die zweite Henry Fords Fließband und die dritte fixierte Industrieroboter waren, sind für die vierte industrielle Revolution Cyberphysical Systems. Mit dem Schlagwort Industrie 4.0 ist das "Internet der Dinge" in der Produktionswelt gemeint. Das Werkstück kommuniziert hier - mit Sensoren, RFID-Chips und Softwarefunktionen ausgestattet - mit Auftraggeber, Werkbank, Transport, Logistik, Vertrieb und Versand, um die eigene Produktion zu organisieren.

Damit wird eine neue kundenorientierte Produktion möglich: die sogenannte Tailored Production. Früher konnten sich nur wenige Wohlhabende maßgeschneiderte Anzüge leisten. Im Zeitalter der Industrie 4.0 wird dagegen on-demand produziert, jeweils nach Bedarf und Wunsch des Kunden. Der individuelle Produktionsprozess kann sich selbst organisieren. Dabei erfassen Sensoren gigantische Datenmengen ("Big Data"), mit denen die Arbeitswelt beobachtet und gesteuert wird. Eine entscheidende Frage der Zukunft wird sein, wie dabei die Speicherungs- und Zugriffsrechte geregelt sein werden.

Unsere Herausforderung der Stunde

Eine Antenne
Datenschutz: Konsequenz aus der NSA-Affäre (@re84/photocase)

Aus dem industriellen Internet erwächst für die Bunderepublik und die Europäische Union ein zentraler Standortvorteil. Deutschland ist seit dem 19. Jahrhundert ein klassisches Industrieland. Seine Motor-, Auto- und damit verbundene Zulieferungsindustrie ist weltweit führend. Wir produzieren Technologien, um Fabriken, Energie-, Verkehrs- und Datennetze miteinander zu verbinden. Doch dazu bedarf es nicht nur unternehmerischer Initiative, sondern massiver Forschungs- und Förderungsprogramme. Das zeigt das Erfolgsbeispiel Silicon Valley.

Europa ist aber nicht nur die Geburtsstätte der Industrie, sondern vor allem auch der Demokratie. Die parallele Entwicklung von Datenschutz und Sicherheitstechnologie ist die wichtigste Konsequenz aus der NSA-Debatte. Unsere ethische, rechtliche und strategische Herausforderung im Zeitalter von Big Data und Internet der Dinge lautet also: Wie können wir Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrechte im Netz wahren und stärken, ohne durch Überregulierung die Freiheit zu erdrücken? Im Zeitalter von Big Data können totalitäre Tendenzen schleichend und unmerklich die Fundamente der Demokratie verändern. Datensicherheit wird daher zu einem immer wichtigeren Qualitätskriterium.

Prof. Dr. Klaus Mainzer arbeitet als Wissenschaftsphilosoph über Grundlagen und Zukunftsperspektiven von Wissenschaft und Technik.  Seit 2008 ist er Ordinarius am Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie der TU München und Wissenschaftlicher Direktor der Carl von Linde-Akademie.

Weiterführende Informationen:

K. Mainzer, Die Berechnung der Welt. Von der Weltformel zu Big Data, C.H. Beck-Verlag: München 2014.