Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen

Ist uns die allgegenwärtige Datensammelwut wirklich egal?

Frau steht in einem Archiv mit vielen Akten
Die Daten von allen Internetnutzern werden gespeichert und archiviert. (© Nikada / iStock)

Ein Blogbeitrag von Thomas Gutsche

Das Internet dringt in alle Lebensbereiche vor. Das klingt irgendwie bedrohlich. Und ja, das ist es auch. Die Bedrohung ist nur nicht für jeden offensichtlich: Neugier treibt die Menschen in Scharen zu Facebook, Instagram, Pinterest & Co. Langsam, aber unaufhörlich vertrauen sie ihnen ihre intimsten Bilder und Gedanken an. Müssten wir die Menschen nicht noch besser vor sich selbst schützen?

Es bleibt ein Trugschluss: Das Bild, welches wir von anderen durch soziale Netzwerke bekommen, ist nie vollständig. Es ist noch nicht einmal real. Wie auch? Wir können es ohne großen Aufwand manipulieren und nur das publizieren, was andere von uns wissen sollen. Aber können wir uns auch sicher sein, dass wirklich nur das veröffentlicht wird, was wir wollen? Wer weiß schon, was diese neuen Apps auf Smartphones und Tablets oder Webseiten im Hintergrund alles machen? Meinen Standort bekannt geben, automatisch Mitteilungen posten, wenn ich eine bestimmte Anwendung aufrufe oder sogar meine Gespräche aufzeichnen? All dies ist möglich, dessen sollten wir uns eigentlich bewusst sein. Jeder Mensch wird zukünftig eine Identität 2.0 haben, die nicht nur von uns selbst, sondern auch von anderen mit geprägt wird. Das sind alles Entwicklungen aus den letzten 10 bis 20 Jahren – verglichen zu der Menschheitsgeschichte ein geradezu winziger Moment. Also erst der Anfang? Hier passiert etwas, das das Leben der Menschen auf Dauer verändern wird. Das Internet ist dabei paradoxerweise Wohltäter und Brandstifter in einem.

Keine Fiktion mehr: der gläserne Mensch  

Das Internet lässt unser Leben immer schneller werden. Alles und jeder ist ständig verfügbar, immer online, immer da. Rechner fahren nicht mehr runter, sie sind höchstens in standby. Fahren wir mit der Bahn, kommt uns die Zeit ohne funktionierendes Internet geradezu grotesk langsam vor. Regionen ohne schnellen Internetanschluss sind plötzlich abgeschnitten – obwohl sie vielleicht verkehrsgünstig liegen. Jahrhunderte alte Kommunikationsmittel wie Briefe werden ersetzt durch E-Mails, SMS, Messages oder Tweets. Wer hat bei der Vielzahl an neuen Kommunikationskanälen und bei diesem Tempo noch die Zeit und Muße, alle Entwicklungen wirklich zu verstehen und zu verarbeiten. Das Leben mit dem Internet ist kompliziert. Viele sind froh, mit der Entwicklung auch nur annährend mithalten zu können – den Rechner, das Smartphone, das Tablet in ihren Grundfunktionen zu bedienen. Und jetzt auch noch die Diskussion um Datenschutz und Privatsphäre? Es ist keine bloße Ahnung vereinzelter Pessimisten: Unsere Daten im Internet ermöglichen detaillierte Persönlichkeitsprofile. Und wenn es nur dazu dient, dass große Internetkonzerne damit eine Menge Geld verdienen. Der gläserne Mensch ist keine Fiktion mehr.

Revolte gegen das Unsichtbare

Seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist zwar auch von den Leitmedien sehr viel darüber berichtet, gesprochen und diskutiert worden. Fakt ist aber auch, dass sich an der anlasslosen Massenüberwachung und den Geschäftsmodellen großer Internetkonzerne nichts verändert hat. Ist uns das wirklich alles egal? Oder sind wir nur nicht organisiert genug, um aus dieser Ohnmacht aufzuwachen? Eine intrinsische Motivation wird sich erst dann einstellen, wenn die gesammelten Daten so gegen uns persönlich verwendet werden, dass es dem Einzelnen wehtut. Wir müssen begreifen, dass das, was da gerade passiert, die freiheitlich demokratische Grundordnung ins Wanken bringen kann. Natürlich ist es unbequem, sich dagegen aufzulehnen. Es passt einfach nicht in eine Welt, in der unsere Kinder viel zu häufig allein vorm Fernseher und Monitor aufwachsen. Es ist doch alles so schön bunt. Alles? Nein, ein Blick in den Nahen Osten und darüber hinaus offenbart ganz andere Realitäten. Auch hier gibt es Abgründe. Doch es wird lieber weggeschaut und die nächste Soap eingeschaltet. Ist es vor dem Hintergrund eine Illusion, dass sich die Menschen gegen etwas einsetzen, von dem keine direkte Bedrohung zu spüren ist?

 

Im Internet der Zukunft

Unsere Daten werden zu einer Währung. Wir selbst müssen entscheiden, wie viel sie uns wert sind. Damit sich etwas ändert, muss Verschlüsselung zum Standard werden. Einfach so vorhanden sein, ohne zusätzlichen Aufwand. Und zwar in den Anwendungen, in denen wir vertrauliche Informationen mit unseren Freunden und Bekannten austauschen. Dort, wo wir privat sein wollen. Gleichzeitig sollten wir mit unseren Daten im Internet sparsam umgehen und darüber auch mit unseren Freunden, Bekannten und vor allem mit unseren Kindern sprechen. Ich wünsche mir im Internet der Zukunft, keine Schere im Kopf haben zu müssen. Jeder muss frei und privat zugleich sein dürfen. Ist das wertvoll genug, um genauer hinzusehen?

Foto: Martin Bühler

Thomas Gutsche ist einer der Gründer von Tutanota, einer leicht zu bedienenden Software zur Verschlüsselung von Emails. Zudem setzt er sich aktiv für mehr Privatsphäre im Netz ein. Nun wurde er von der Gesellschaft für Informatik - im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2014 - als einer von Deutschlands digitalen Köpfen ausgezeichnet.