Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Die digitale Zivilgesellschaft ist auf Twitter. Alle anderen sind bei Facebook.

Wieso die organisierte Netzpolitik ein Problem hat

Menschen laufen in unterschiedliche Richtungen
Netzpolitische Bewegungen schaffen es oft nicht die Menschen zu erreichen © stockwerk23 / photocase.de

Ein Blogbeitrag von Prof. Dr. Leonhard Dobusch

Spätestens seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden weiß jeder, dass Netzpolitik ein Thema ist, das alle angeht. Doch die netzpolitische Zivilgesellschaft schafft es nicht, die breite Öffentlichkeit zu erreichen - auch im Internet nicht. Denn während sich immer mehr Menschen über Facebook informieren, lässt die organisierte Netzpolitik diesen Kanal weitestgehend außer Acht.

Twitter hinkt Facebook bei den Nutzerzahlen in Deutschland immer noch weit hinterher: Ende 2013 zählte Facebook in Deutschland 25 Millionen monatliche Nutzer, von denen 19 Millionen sogar täglich aktiv sind. Die letzten Daten zur Twitternutzung wurden 2012 erhoben und verweisen auf gerade einmal 2,4 Millionen aktive User. Selbst bei einem optimistisch geschätzten Wachstum von 50 Prozent seit 2012 dürfte es damit in Deutschland heute immer noch knapp neun Mal mehr Facebook- als Twitter-Nutzer geben. Für die netzpolitische Zivilgesellschaft in Deutschland sind diese Zahlen ein Problem: Ihre wichtigsten Akteure sind nämlich auf Facebook gar nicht zu finden oder kaum präsent - sie tummeln sich oft ausschließlich auf Twitter.

Verteilung des Nutzungsverhaltens von Twitter (Blau) und Facebook (Rot) in der digitalen Zivilgesellschaft und in der deutschen Bevölkerung (Schätzung).

Entscheidend für den Erfolg politischer Mobilisierungsprozesse im Allgemeinen und für soziale Bewegungen im Besonderen ist es, Dritte für ein Anliegen zu interessieren und schließlich zu Engagement zu bewegen. Schafft es eine soziale Bewegung dauerhaft nicht, über den harten Kern an überzeugten Aktivisten hinauszuwirken, wird ihr Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklung eng begrenzt bleiben. Um Außenstehende für eine Sache zu gewinnen, ist es unabdingbar sie dort abzuholen, wo sie sich befinden. Das bedeutet, Themen so aufzubereiten, dass sie auch für jene anschlussfähig sind, die sich zuvor kaum mit ihnen auseinandergesetzt haben. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dort hinzugehen, wo die potentiellen Unterstützer sich aufhalten.

Aus Perspektive der digitalen Zivilgesellschaft ist die Situation deshalb ernüchternd: Zwar ist mittlerweile die Mehrheit der deutschen Bevölkerung im Internet potentiell ansprechbar. Allerdings gelingt es zentralen Akteuren der digitalen Zivilgesellschaft nicht, diese auch zu erreichen. Das ist besonders bitter, weil mit Sascha Lobo Deutschlands prominentester Blogger bereits 2011 auf die enorme Bedeutung von Facebook im Vergleich zu allen anderen Webseiten hingewiesen und dies mit einer anschaulichen Infografik (PDF) illustriert hatte.

Im Glaubwürdigkeitsdilemma

© sör alex / photocase.de

Seit damals ist nicht viel passiert; netzpolitische Mobilisierung läuft immer noch kaum über Facebook. Nur was sind die Ursachen dafür, dass die Akteure Facebook seit Jahren ignorieren? Eine Vermutung liegt nahe: Es lässt sich nicht vereinen, glaubwürdig für Datenschutz einzutreten, zugleich aber eine Plattform zu nutzen, deren Geschäftsmodell es ist, mit den Daten ihrer Nutzer Geld zu verdienen. Es sind Überlegungen wie diese, derentwegen Organisationen wie der Chaos Computer Club oder Digitalcourage Facebook aus Prinzip meiden.

Aber auch kompromissbereitere Akteure wie netzpolitik.org oder der Digitale Gesellschaft e. V., die Facebook nutzen, verfügen dort nur über einen Bruchteil von Fans verglichen mit Twitter. Es hat also den Anschein, als sei die digitale Zivilgesellschaft in Deutschland schlichtweg nicht in der Lage, Facebook gekonnt einzusetzen. Mitverantwortlich dafür ist wahrscheinlich auch der geringe Professionalisierungsgrad der netzpolitisch tätigen Vereine in Deutschland - die parallele und professionelle Bespielung verschiedener Social-Media-Kanäle mit gezielt-differenzierten Botschaften lässt sich als "Hobby-Lobby" einfach nicht bewerkstelligen.

Prof. Dr. Leonhard Dobusch ist Juniorprofessor für Organisationstheorie am Management-Department der Freien Universität Berlin und forscht u.a. zum Management digitaler Gemeinschaften und transnationaler Urheberrechtsregulierung.

Weitere Informationen

Mehr zu diesem Thema gibt es in einem Netzpolitik-Podcast von Prof. Dr. Dobusch und dem Blogger Markus Beckedahl sowie in einer Kurzstudie zur digitalen Zivilgesellschaft in Deutschland, die Prof. Dobusch für die Stiftung Bridge verfasst hat.