Wissenschaftsjahr 2014 - Die Digitale Gesellschaft

Surfen in der Wissensflut

Warum sich Forscher besser online vernetzen müssen

ein Experiment im Labor
Über den Tellerrand der eigenen Forschung hinausschauen. (©Tonhom1009/shutterstock)

Das World Wide Web wurde für die Forschung geschaffen. Doch das geriet bald in den Hintergrund. Jetzt entdeckt die Wissenschaft das Web mit neuen Werkzeugen für sich wieder und tritt in eine neue Ära des Wissensmanagements ein.

Ein Blogbeitrag von Dr. Ijad Madisch

 

In der Forschung muss sich etwas ändern. Zu dieser Gewissheit bin ich gekommen, als ich mit einem Experiment allein nicht weiter kam und einen Experten brauchte. Das war im Jahr 2007 und das World Wide Web schon 17 Jahre alt. Dennoch bot das Netz noch keine einfache Möglichkeit einen Experten zu finden.

Warum nicht? Eine nicht unwesentliche Frage, denn schließlich hatte Sir Tim Berners Lee das Web 1989 für die Forschung ins Leben gerufen. Er wollte, dass die Mitarbeiter der Forschungseinrichtung Cern ihr Wissen miteinander teilen und weitergeben. Es sollte nichts verloren gehen, wenn ein Doktorand das Institut verließ oder ein Wissenschaftler in Rente ging. Vier Jahre später öffneten sich dann die Tore zum Web für Jedermann. Seitdem wird das Netz von immer mehr Menschen auf immer vielfältigere Weise genutzt – nur die Wissenschaft hinkt hinterher.

Unser Wissen expandiert

Der Grund dafür ist ein bequemer Status quo. Das Verlagswesen ist in der Forschung seit langen fest etabliert. Schließlich haben Fachmagazine jahrhundertelang gute Dienste geleistet. Mit ihnen konnte ein Wissenschaftler in Heidelberg auch schon im Zeitalter der Postkutsche erfahren, was sein Kollege in Göttingen trieb. Doch dieser Status quo entspricht den heutigen Anforderungen nicht. Wissen wächst in unserer Zeit schneller, als es sich auf Papier drucken ließe. Würde man das gesamte Wissen der Menschheit auf CDs brennen, könnte man sie in fünf Türmen bis zum Mond aufstapeln. Das Web aber bietet unendlich viel Platz und zahllose Möglichkeiten, um diese Informationsflut intelligenter und effizienter zu verwalten.

Alzheimerforscher sucht MS-Experten

Zwei Wissenschaftler am Mikroskop
Gemeinsam können Wissenschaftler oft mehr erreichen.(©Dragon Images/shutterstock)

Das gilt besonders für die Forschung. Ich glaube, dass wir heute schon viel mehr wissen, als uns eigentlich bewusst ist. Was wir übersehen, sind die Zusammenhänge. Denn das vorhandene Wissen ist auf Fachmagazine, lokale Speicher und versteckte Webseiten verteilt und so fragmentiert. Forscher müssen wissen, wonach sie wo suchen müssen, und erfahren nur das, was sie dort finden. So lesen Alzheimerforscher in einem Alzheimerfachmagazin über neue Entwicklungen in der Alzheimerforschung. Dabei könnten sie womöglich auch von neuen Erkenntnissen der Multiple-Sklerose-Forschung lernen. Wenn diese aber in einem wenig gängigen Journal erscheinen, stehen die Chancen schlecht, dass der Alzheimerforscher über sie stolpert.

Finden lassen statt selber suchen

Niemand hat heute mehr die Zeit, Universalgelehrter zu werden. Deswegen müssen wir online Lösungen anbieten, die es Wissenschaftlern ermöglichen, genau das zu erfahren, was ihre Forschung weiterbringt. Das gelingt, wenn wir alle Wissenschaftler und ihr Wissen an einem Ort im Web versammeln. Automatisierte Empfehlungssysteme können dann große Datenmengen schnell durchkämmen und diese relevanten Zusammenhänge – wie etwa zwischen Alzheimer und Multipler Sklerose – erkennen. Jeder erfährt so das, was er braucht, ohne danach suchen zu müssen.

Vernetzte Forschung für den Fortschritt

Das können auch Dinge sein, die traditionell nicht publiziert werden. Online steht es Wissenschaftlern frei, welche Informationen sie teilen. Sie können ihre gesamte Forschung abbilden, und Forschungsdaten, Tagungsberichte oder Poster veröffentlichen. Hier haben sie die Möglichkeit, auch Erfahrungen darüber zu teilen, was in ihrer Forschung nicht funktioniert. So lernen sie aus den Fehlern anderer und machen schneller Fortschritte. Das ist nicht nur Vision, sondern zunehmend Wirklichkeit. Die Menge an Informationen, die Wissenschaftler online teilen, steigt exponentiell und niemand sucht heute mehr vergeblich den passenden Experten im Web (für beides habe auch ich, als Mitgründer von ResearchGate, gesorgt). Durch diese vernetzte Forschung entsteht Fortschritt, von dem wir alle profitieren.

Foto von Dr. Madisch

Dr. Ijad Madisch ist Arzt, schrieb seine Doktorarbeit in der Virologie und studierte nebenbei Computerwissenschaften. Gemeinsam mit seinen Freunden, dem Arzt Dr. Sören Hofmayer und dem Informatiker Horst Fickenscher, gründete er 2008 ResearchGate. Mittlerweile nutzen über vier Millionen Wissenschaftler aus 193 Ländern das Netzwerk. Nun wurde er von der Gesellschaft für Informatik - im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2014 - als einer von Deutschlands digitalen Köpfen ausgezeichnet.