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„Minus zehn Grad sind schon okay“

„Minus zehn Grad sind schon okay“

Dr. Linda Duncker war 13 Monate lang Stationsärztin in der Antarktis

„Minus zehn Grad sind schon okay“

Pinguinkolonien sind toll anzusehen, besonders im Winter. Dann stehen die Tiere dicht an dicht, um sich zu wärmen und bewegen sich von innen in den äußeren Kreis und stellen sich abwechselnd den eisigen Windböen.

Dass dieses Schauspiel einzigartig ist, muss man Linda Duncker glauben. Sie könnte zwar ein Video mit dem Handy machen, aber wer die Handschuhe bei minus 45 Grad auszieht, braucht etwa eine halbe Stunde, bis die Finger wieder einsatzfähig sind. Und bis sie das Video dann hochgeladen und verschickt hätte, wäre bei der Internetbandbreite auch ein ganzer Tag verstrichen.

Auf der Neumayer-Station III in der Antarktis lässt man also solche Spielereien. Als einen Verzicht sieht die Stationsärztin und -leiterin Linda Duncker das nicht. Während andere Menschen von der ewig weißen Landschaft mit der Zeit angeödet wären und ein störfreies YouTube-Video wünschen würden, hat die 54-Jährige sich neugierig den Weißschattierungen gewidmet. Die Kontraste in der Landschaft, die Wolkenbildung, Schneedrift und Sichtweite – das sind alles Faktoren, die für meteorologische Observationen wichtig sind. Um ein Mal eine Überwinterung auf dem nun mehr einzigen fast unberührten Kontinent zu erleben, hat sich die Allgemeinmedizinerin und Chirurgin die Stelle als Stationsleiterin ausgesucht.

13 Monate lebte sie in der Antarktis – neun Monate davon mit nur acht anderen Personen isoliert von der Außenwelt, denn nach dem Wintereinbruch kann kein Flugzeug mehr landen. Wegen der Langzeitforschungen muss auch in den Wintermonaten eine kleine Besatzung 14.000 Kilometer von Deutschland entfernt die Stellung halten. Das setzt ein gewisses Gemüt voraus: „Offenheit, Hilfsbereitschaft und Interesse für andere Fachgebiete sollte man haben“, sagt Duncker. Der entlegenen Enge mit den anderen Einsiedlern gewinnt sie nur Positives ab: „Man fragt viel, erfährt viel, das ist spannend.“

Nur mit Filz, Fell und Skibrille in die Kälte

Ihr Team bestand aus einer Ingenieurin, einem Elektriker, einem IT-Funker, dem Koch, zwei Geophysikern, einer Meteorologin und einem Luftchemiker. Alle arbeiteten eng zusammen und halfen, wenn Not am Mann war. „Das ist auch notwendig, denn wenn zum Beispiel die Heizungsanlage kaputt ist, betrifft das alle.“ Gleichzeitig geht jeder seinem Alltag mit spezifischen Aufgaben nach, unterbrochen nur durch klassische häusliche Tätigkeiten, die auch hier natürlich erledigt werden müssen.

So musste etwa die Meteorologin alle drei Stunden ins Freie, Daten notieren und in das Programm zur weltweiten Wetterbeobachtung eintragen. Duncker assistierte. Aus Sicherheitsgründen durfte bei Schlechtwetter niemand die Station alleine verlassen. Dick eingepackt nach der Zwiebeltaktik, mit Polaroverall, Gesichtsmaske, Skibrille und Handschuhen stapften sie zur Messstation. „In der platten, flachen Weite ohne Orientierungspunkt fühlt man sich wie in der Wüste.“ In der Abgeschiedenheit findet Duncker ihre berufliche Herausforderung.

Zehn Kilometer von der Station entfernt, in der Bucht, wo sie Meereisdicken gemessen haben, waren neben den Pinguinen auch Robben unterwegs, die die Ärztin gerne beobachtete. Aber lieber im Sommer, denn da war es wärmer: „Bei minus zehn Grad ist das dann schon okay“, sagt Duncker, die zehn Berufsjahre in Schweden gegen Kälte wohl abgehärtet haben.

Gemeinsam an einem Strang ziehen

Blessuren und Krankheiten behandelte die Ärztin im Stationshospital. Und monatlich unterzog sie diesen einer technischen Überprüfung. Dazu gehörte auch der Telemedizintest. Hier ging ihr das Team zur Hand. Der IT-Funker hielt dann als Proband zum Test des Narkosegerätes her. Wegen eines medizinischen Notfalls kam die Telemedizin sogar zum Einsatz. Die Stationsärztin war während der Operation via Headset mit der Partnerklinik in Bremerhaven verbunden. In Deutschland überwachte eine Anästhesistin die Bildschirme und konnte Duncker Tipps für die Narkose geben. Die Geophysikerin und die Meteorologin haben dabei assistiert.

„Wir sind hier komplett aufeinander angewiesen.“ Von der Heizung, zur Forschung bis hin zu Operationen und natürlich beim Tischfußball: Vieles geht eben nicht allein.

Ein Mal am Tag wurde gemeinsam gegessen. Hauptsächlich Haltbares. Frisches Obst war Mangelware. „Die letzten Äpfel haben wir im August gegessen, danach gab es nur noch Tiefgefrorenes.“ Mit dem Wintereinbruch Ende Februar macht auch das letzte Versorgungsflugzeug die Runde. Danach heißt es warten bis November. Der Koch hat aber offenbar gut kalkuliert, denn „wir sind mit dem Essen gut durchgekommen“. Wirklich vermisst hat Linda Duncker in den 13 Monaten nur ihre Familie. Nach ihrer Ankunft vor einigen Wochen in Hamburg war das Familienheim ihre erste Anlaufstelle und ihr vorläufiger Ruhepol.


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