Zum Wissenschaftsjahr 2018
Die Evolution des Schiffs

Die Evolution des Schiffs

Ein Expertenbeitrag von Wilko C. Bruhn

Die Evolution des Schiffs

Ein Expertenbeitrag von Wilko C. Bruhn, Fraunhofer CML Hamburg

Wie in allen gesellschaftlichen und technischen Bereichen unterliegt auch die Schifffahrt einem fortwährenden Wandel. Innovationen verändern seit jeher das Wer, das Wie und das Was des Seeverkehrs. Dies wird umso offensichtlicher, je weiter der zeitliche Bogen gespannt wird.

Nachdem hölzerne Segelschiffe jahrhundertelang die Meere befuhren, werden sie seit der Industrialisierung aus Stahl gefertigt und von Verbrennungsmotoren angetrieben. Die Einführung des Standardcontainers im Überseetransport revolutionierte die bis dahin dominierenden Stückgutverkehre. Der Ausguck im Mast, das so genannte Krähennest, wurde durch das Radargerät und das automatische Identifikationssystem AIS ersetzt. Die Aufgabe des Rudergängers wurde von Selbststeueranlagen übernommen und aktuell werden die klassischen Papierseekarten zunehmend durch elektronische Kartendarstellungs- und Informationssysteme von den Schiffsbrücken verdrängt.

Diese technischen Innovationen haben die Schifffahrt nicht nur effizienter gemacht, sie haben sie auch sicherer gemacht. Denn trotz des zunehmenden Verkehrs auf den weltweiten Schifffahrtsrouten sind die Unfallzahlen insgesamt rückläufig.

Wilko C. Bruhn ist seit 2013 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer CML in Hamburg angestellt; der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in den Bereichen maritime Simulation, autonome Navigation und Seeverkehrssicherheit. An der Hochschule Bremen absolvierte er ein Studium zum Diplom-Wirtschaftsingenieur für Seeverkehr (Nautik) mit einem Schwerpunkt auf Schiffsmanagement und maritime Wirtschaft und verfügt damit auch über ein Befähigungszeugnis zum Nautischen Wachoffizier. Vor seiner Tätigkeit am Fraunhofer CML war Herr Bruhn in einem Schifffahrtsunternehmen sowie bei einer Klassifikationsgesellschaft beschäftigt und sammelte so umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen innerhalb der Branche.

Allerdings befeuert eine aktuelle technische Entwicklung die Diskussionen in Expertenrunden und an Stammtischen gleichermaßen: Die des autonom fahrenden, unbemannten Schiffs. Was noch vor wenigen Jahren von breiten Mehrheiten als ferne Zukunftsmusik abgetan wurde, scheint plötzlich in greifbare Nähe gerückt zu sein. In einer Welt, in der fahrerlose U-Bahnen täglich von mehreren hunderttausend Menschen genutzt werden, Autos selbstständig die Spur halten, bremsen und einparken können und Pakete von Robotern an der Haustür zugestellt werden, fällt es plötzlich wesentlich schwerer, das autonome und unbemannte Schiff in die Ecke der Märchen- und Science-Fiction-Literatur zu verbannen.

Heutige Navigations- und Steuersysteme an Bord sind in der Lage, einen vorgegebenen Kurs zu halten und dabei vertreibende Umwelteinflüsse wie Strömung, Seegang und Wind zu kompensieren. Auch Kursänderungen an Wegpunkten können sicher ausgeführt werden. Bereits eingesetzte Assistenzsysteme sind z.B. in der Lage bei der Routenplanung zu unterstützen und auf Kollisionsrisiken hinzuweisen. Hierauf aufbauend entwickeln sich aktuell Entscheidungsunterstützungssysteme für Brückenbesatzungen, die Handlungsempfehlungen für bestimmte Situationen geben. Erweisen sich solche Systeme im Praxiseinsatz als zuverlässig, so ist es bis zur direkten Ausführung der empfohlenen Maßnahmen nicht mehr weit.

Konkrete Beispiele, an denen aktuell geforscht wird, sind der Einsatz von autonomen Schiffen in küstennahen Gewässern und mit einem klar abgegrenzten Anwendungsprofil. So wird aktuell in Finnland an der Einrichtung eines autonomen innerstädtischen Fährbetriebs gearbeitet oder auch in Norwegen an einem Container-Feeder, der Produktions-und Logistikstandorte eines Chemikalien- und Düngemittelkonzern miteinander verbinden wird. Darüber hinaus werden auch weitere Anwendungsfälle, wie z.B. in der Binnenschifffahrt oder auch Bereich der Offshore-Industrie diskutiert.

Letztlich werden autonome oder sogar unbemannte Schiffe selbstverständlich nicht plötzlich in großer Zahl auf unseren Meeren und Ozeanen auftauchen. Vielmehr wird die Digitalisierung und Automatisierung im Schiffsbetrieb und in der Navigation weiter voranschreiten und so möglicherweise auch zu unbemannten Schiffen führen. Die aktuelle Entwicklung hin zu selbstständigen maritimen Transportsystemen ist im Kontext der allgemeinen technologischen Innovation also nichts anderes als der nächste logische und konsequente Schritt in der Evolution des Schiffs.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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