Zum Wissenschaftsjahr 2018
Rostbomben in der Ostsee – Umweltmonitoring der Munitionsaltlasten

Rostbomben in der Ostsee – Umweltmonitoring der Munitionsaltlasten

Ein Expertenbeitrag von Dr. Anja Eggert

Rostbomben in der Ostsee – Umweltmonitoring der Munitionsaltlasten

Ein Expertenbeitrag von Dr. Anja Eggert, Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

Unmittelbar nach Kriegsende 1945 fuhren Fischer in Norddeutschland im Auftrag der Siegermächte mit Kriegsmunition hinaus aufs Meer, um diese über Bord zu versenken. Die alliierten Streitkräfte wollten die beschlagnahmten Kampfmittel schnellstmöglich entsorgen. Schätzungen sprechen heute von 1,6 Millionen Tonnen konventioneller Kriegsmunition allein in der deutschen Nord- und Ostsee.

Die versenkte Munition wurde in Deutschland jahrzehntelang ignoriert, drängt nun aber verstärkt ins öffentliche Bewusstsein – wegen anhaltender Munitionsfunde beim Bau von Kabeltrassen und Offshore Windparks, in den Netzen der Fischer oder wegen Sprengstoff-Funden am Strand. Expertinnen und Experten von Bund und Küstenländern verständigten sich 2011, dass die in deutschen Meeresgewässern befindliche Munition eine „latente Gefahr“ für Mensch und Umwelt darstelle, welcher auf der Grundlage einvernehmlicher Empfehlungen begegnet werden muss. Genau dieser juristische Zungenschlag bildete den notwendigen politischen Rahmen, um die Forschung voranzutreiben. So entwickeln Ingenieurinnen und Ingenieure im Projekt RoBEMM (Robotisches Unterwasser-Bergungs- und Entsorgungsverfahren inklusive Technik zur Delaboration (d.h. Bombenentschärfung) von Munition im Meer) ferngesteuerte Roboter, die zukünftig die Beseitigung von Munition vor Ort (Unterwasser) vollautomatisiert (ohne den Einsatz von Tauchteams) und ohne Sprengung durchführen können.

Dr. Anja Eggert ist promovierte Meereswissenschaftlerin. Sie hat zunächst 10 Jahre an der Universität Groningen (Niederlande) und an der Universität Rostock die Auswirkungen von Umweltstress auf Meeresalgen im Labor und im Freiland untersucht. Seit 2009 arbeitet sie am Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und nutzt numerische Computermodelle, um die Auswirkungen von Klimawandel und Meeresverschmutzung auf das Ökosystem Meer zu untersuchen.

Am Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde untersuchen wir im interdisziplinären Forschungsprojekt UDEMM (Umweltmonitoring für die Delaboration von Munition im Meer) die Gefahren für die Umwelt, die durch das Austreten giftiger Schadstoffe aus den verrosteten Munitionsaltlasten entstehen können. Die Sprengstoffe der konventionellen Munition basieren auf hochtoxischen Verbindungen, wie zum Beispiel 2,4,6-Trinitrotuluol (TNT) und enthalten in den Zündsystemen außerdem Schwermetalle wie Blei und Quecksilber. Schaut man sich Unterwasseraufnahmen an, erkennt man ganz deutlich, dass die Metallgehäuse der Munitionskörper durchrosten und Sprengstoffbrocken frei im Wasser liegen.

Ziel des UDEMM-Projektes ist es, im Rahmen von Grundlagenforschung ein Verfahren für ein Umweltmonitoring zu entwickeln, um damit künftig die Umweltauswirkungen versenkter Munition zu überwachen. Wir brauchen dringend bessere Schätzungen der Menge der versenkten Munition, müssen bessere chemische Analytik entwickeln, um die Konzentration der Schadstoffe im Ostseewasser messen zu können, wir müssen untersuchen, wie die Schadstoffe im Ökosystem umgesetzt und akkumuliert werden und müssen toxische Grenzwerte für Umwelt und Mensch bestimmen. Mit einem hoch-aufgelösten physikalischen Modell der Ostsee können wir dann die räumliche Ausbreitung der Schadstoffe erfassen, wodurch eine Gefahrenanalyse möglich wird, die etwa auch bei der Delaboration von Munition angewendet werden soll.

Nicht zuletzt wird durch die zu entwickelnde automatische Entsorgung von Munition im Projekt ROBEMM auch die großflächige Sanierung von Versenkungsgebieten möglich werden. Damit verringert sich langfristig auch die Gefahr für den Schiffsverkehr auf Nord- und Ostsee sowie die weitere Verteilung durch z. B. Fischereitätigkeit. Vorfälle wie eine treibende Seemine in einem Windpark im Frühjahr 2017 in der Nordsee oder das Auffischen von Munition durch Fischer werden dann hoffentlich bald der Vergangenheit angehören. Auch die immer noch im Fahrwasser der Kieler Förde vermuteten 600 scharfen englischen Grundminen könnten auf diese Weise jedenfalls mittelfristig ohne Sprengung unschädlich gemacht werden.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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