Zum Wissenschaftsjahr 2018
Wer hat Angst vorm Caesium? –  Radioaktive Stoffe in Meeresorganismen

Wer hat Angst vorm Caesium? – Radioaktive Stoffe in Meeresorganismen

Ein Expertenbeitrag von Dr. Marc-Oliver Aust

Wer hat Angst vorm Caesium? – Radioaktive Stoffe in Meeresorganismen

Ein Expertenbeitrag von Dr. Marc-Oliver Aust, Thünen-Institut für Fischereiökologie

Radioaktive Stoffe haben das Leben auf der Erde seit dessen Entstehung begleitet, allerdings waren ihre Mengen – global gesehen – noch nie so niedrig wie heute. Der Grund dafür ist einfach: Radioaktive Stoffe zerfallen entsprechend ihrer Halbwertszeit. Das am häufigsten in Organismen nachgewiesene Radionuklid ist das natürlich vorkommende Kalium-40. Seine Halbwertszeit beträgt 1,3 Milliarden Jahre. Kalium-40 ist das einzige Strahlung emittierende Isotop des Kaliums und mit einem Massenanteil von 0,012 Prozent in natürlichem Kalium enthalten. Kalium ist ein essentielles Spurenelement, das unter anderem beim Zellwachstum und der Blutdruckregulation eine Rolle spielt. Dadurch liefert das Kalium-40 einen wesentlichen Beitrag zur Strahlendosis des Menschen durch Ernährung.

Gegenstand des öffentlichen Interesses ist allerdings ein ganz anderes Radionuklid: das Caesium. Es ist aus Sicht des Menschen das Gegenstück zu Kalium, weil es sich nach der Aufnahme in den Organismus ähnlich verhält. Der menschliche Organismus ist also grundsätzlich fähig mit radioaktiven Substanzen umzugehen, so lange ihm nicht zu viel davon zugemutet wird.

Dr. Marc-Oliver Aust leitet die Arbeitsgruppe Radioökologie am Thünen-Institut für Fischereiökologie. Die Arbeitsgruppe ist gleichzeitig Leitstelle des Bundes zur (großräumigen) Überwachung der Umweltradioaktivität in Fischen, Fischereiprodukten, Krusten- und Schalentieren sowie Meereswasserpflanzen.

Radioaktive Caesium-Isotope (Cs-137, Halbwertszeit von 30 Jahren, und Cs-134, Halbwertszeit von zwei Jahren) entstehen durch Kernspaltung, zum Beispiel im Zuge von Kernwaffentests oder bei der Energiegewinnung in Kernkraftwerken. Deshalb stehen sie auch speziell im Fokus der Radioaktivitätsüberwachung; diese ist in Deutschland im Strahlenschutzvorsorgegesetz bzw. dem gerade verabschiedeten Strahlenschutzgesetz und den nachfolgenden Rechtsverordnungen geregelt. Danach prüfen die Messstellen der Bundesländer stichprobenartig diverse Produkte, meist Lebensmittel, auf radioaktive Stoffe, während die Leitstellen des Bundes die großräumige Verteilung radioaktiver Stoffe in der Umwelt überwachen.

Werden plötzlich höhere Konzentrationen an Caesium-Isotopen in der Umwelt nachgewiesen, ist die Überwachung auf andere Radionuklide auszuweiten. Durch die oberirdischen Kernwaffentests der 1950er und 60er Jahre gelangte die größte jemals durch menschliche Tätigkeit freigesetzte Menge an Caesium in die Weltmeere. Doch auch durch die Unfälle in den Kernkraftwerken Tschernobyl und Fukushima sowie durch Emissionen aus den Wiederaufbereitungsanlagen im englischen Sellafield und dem französischen La Hague werden seine Isotope freigesetzt und gelangen so direkt oder indirekt in die Meeresumwelt.

Die weltweit am stärksten mit Radionukliden kontaminierten Meeresgebiete sind die Irische See (nach dem deutlichen Rückgang der Einleitungen jetzt Freisetzung der in Sedimenten gespeicherten Altlasten aus Sellafield) und die Ostsee (durch ihren geringen Wasseraustausch erfolgt kaum Verdünnung des Fallouts von Tschernobyl).

Doch wie leben die Meeresorganismen damit? Zuweilen werden in den Medien bei Massensterben von Fischen und anderen Meerestieren radioaktive Stoffe als mögliche Ursache genannt, und zwar oft auch dann noch, wenn wissenschaftliche Untersuchungen längst zu völlig anderen Befunden gekommen sind. Bis heute konnten aber weder in der Irischen See noch in der Ostsee erhöhte Krankheits- oder Sterberaten von Meerestieren mit dem Auftreten erhöhter Radioaktivität in Beziehung gesetzt werden. Mögliche Gefahren durch künstliche radioaktive Stoffe für den Menschen, die sich aus dem Verzehr vor Meerestieren ergeben, werden nach derzeitigem Kenntnisstand als gering eingestuft. Die Strahlendosis, die ein durchschnittlicher Konsument von Fisch und Fischereiprodukten (Verzehr von 5,6 kg Fisch und je 0,55kg Krusten- und Weichtieren im Jahr) durch künstliche Radioaktive erhält, beträgt etwa 0,05 µSv im Jahr, was etwa 0,0022% der mittleren natürlichen Strahlenexposition entspricht.


Bitte konsumieren Sie möglichst nur nachhaltig gefischte Bestände von Fisch und Meeresfrüchten. Informieren Sie sich dazu beispielsweise in den einschlägigen Fischratgebern.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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