Zum Wissenschaftsjahr 2018
Wo Eis und Ozean aufeinandertreffen

Wo Eis und Ozean aufeinandertreffen

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Angelika Humbert

Wo Eis und Ozean aufeinandertreffen

Ein Expertenbeitrag von Prof. Dr. Angelika Humbert, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Der grönländische Eisschild ist an seinen Rändern in vielen Bereichen mit dem Ozean in Kontakt – und zwar dort, wo sich schwimmende Eiszungen bilden oder von zerklüfteten Gletscherfronten Eisberge abkalben. Gerade am Übergang zwischen dem auf dem Land aufliegenden Inlandeis und der schwimmenden Gletscherzunge, der sogenannten Aufsetzlinie, schmelzen die Wassermassen des Ozeans Eis. Wärmeres Wasser kann die Kalbungsraten erhöhen, welche dann wiederum direkt auf die Spannungen des Gletschers zurückwirken und zu einer Beschleunigung des Fließtempos und einem Ausdünnen des Gletschers führen. Die Folge: Die Gletscher verlieren an Masse und erhöhen den Meeresspiegel.

Im letzten Jahrzehnt haben sich viele grönländische Gletscher, die in das Meer münden, beschleunigt und ihre schwimmenden Eiszungen eingebüßt. Ein Beispiel ist der Jakobshavn Isbræ, dessen Fließtempo sich sich von rund zehn Kilometer pro Jahr im Jahr 2000 auf ungefähr 17 Kilometer pro Jahr im Jahr 2012 beschleunigt hat, nachdem seine Eiszunge zerbrochen war. Zusammen mit der Beschleunigung hat sich auch seine Aufsetzlinie zurückgezogen, sodass der Gletscher im Westen Grönlands heute nur noch in den Wintermonaten eine marginale Eiszunge aufweist.

Prof. Dr. Angelika Humbert leitet die Sektion Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Sie ist auf die Computermodellierung von Eisschilden, Eisströmen und Schelfeisen spezialisiert und erforscht die physikalischen Prozesse im Eis, darunter zum Beispiel das Fließverhalten. Ihr Ziel ist es, diese Prozesse so genau mit physikalischen Formeln zu beschreiben, dass sie in den Computermodellen passgenau abgebildet werden und somit Vorhersagen zur Zukunft der Gletscher und zum globalen Meeresspiegelanstieg möglich sind.

Wenn der Rückzug der Gletscher voranschreitet, dann werden sie irgendwann zu Gletschern, deren Front komplett auf dem Land aufliegt. Der Ozean reicht dann nicht mehr an die Eismassen heran und kann so auch kein Schmelzen an der Kalbungsfront mehr bewirken. Doch wird der Eisrückzug auf das Land den Massenverlust des grönländischen Eisschilds reduzieren? Das ist zu erwarten. Wie viel Eis wird bis dahin allein durch diesen Effekt der Eis-Ozean-Wechselwirkung zum Meeresspiegelanstieg beigetragen haben? Wie lange dauert es noch, bis Gletscher und Ozean den Kontakt verloren haben? Das sind die drängendsten Fragen, die aus Sicht eines Glaziologen damit verbunden sind.

Computermodelle der Gletscher und Eisschilde können hier wichtige Informationen liefern. Nur sie sind gerade an der Grenzfläche zwischen Eis und Ozean nicht hinreichend gut, um die Fragen heute schon mit akzeptabler Genauigkeit beantworten zu können. Ein Teil der Schwierigkeiten kommt daher, dass wir bisher sehr wenig Beobachtungen der Prozesse direkt an der Grenzfläche zwischen Eis und Ozean – also an der Unterseite der schwimmenden Zunge oder an der Kalbungsfront – zur Verfügung haben, um daraus das Prozessverständnis zu verbessern. Hier möchten wir nun mit einer Expedition weiter kommen, in deren Zuge wir die Schmelzraten an der Eisunterseite eines Gletschers im Nordosten Grönlands messen. Allerdings ist die mit Spalten durchzogene Region um die Aufsetzlinie kein ganz einfaches Gebiet und die Region logistisch nur schwer zu erreichen. Da der Nordosten Grönlands aber die Region ist, die in der Zukunft die stärkste Erwärmung erfahren wird, können wir hier den Rückzug eines Gletschers direkt beobachten. Unser neues Wissen über die verschiedenen Schmelzprozesse werden wir dann in Computersimulationen zur Entwicklung des grönländischen Eisschilds in der Vergangenheit einsetzen und auf diese Art auch die Modellprognosen für die Zukunft entscheidend verbessern.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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