Zum Wissenschaftsjahr 2018
Zwischen Hoffen und Bangen: Das Meer in der bildenden Kunst

Zwischen Hoffen und Bangen: Das Meer in der bildenden Kunst

Ein Expertenbeitrag von Eva-Maria Bongardt

Zwischen Hoffen und Bangen: Das Meer in der bildenden Kunst

Ein Expertenbeitrag von Eva-Maria Bongardt vom Deutschen Schiffahrtsmuseum in Bremerhaven, Leibniz-Institut für deutsche Schifffahrtsgeschichte

„Meer, Wasser und Strand, Häfen und Schiffe haben seit jeher eine große Tradition als Motive in der Kunst, denn sie symbolisieren gleichermaßen Sehnsucht und Aufbruch, Naturgewalt und Harmonie.“ Mit diesen Worten wirbt ein Onlineshop derzeit für maritime Kunst. Spätestens seit der Romantik wird das Meer in der Kunst nicht nur als Raum für Ereignisse, wie z.B. Seeschlachten als Motive der Historienmalerei, aufgefasst und abgebildet, sondern symbolisch aufgeladen, künstlerisch verklärt und zur bildlichen Metapher für den menschlichen Lebensweg umgedeutet. Der Schiffbruch, eigentlich Folge katastrophaler Einwirkung von Naturgewalten, avanciert zum Synonym für ein gescheitertes Leben oder enttäuschte Hoffnung.

Auch interessant
Klima, Stürme, Tourismus – Berühmte Gemälde erzählen ihre Geschichte

Klima, Stürme, Tourismus – Berühmte Gemälde erzählen ihre Geschichte

Mehr erfahren

Dabei taucht das Meer nicht immer als eigenständiges Bildthema in der maritimen Kunst auf, wie die Gemälde zum Thema „Auswanderung“ im Bestand des Deutschen Schiffahrtsmuseums (DSM) zeigen.
Im Bild scheinbar ausgeklammert, wird das Meer hier über das Schiff visualisiert. Bremerhaven gehörte spätestens ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Auswandererhäfen für die Migration nach Übersee. Zwischen den Auswanderinnen und Auswandern und der ersehnten neuen Heimat lag eine lange und oftmals gefährliche Fahrt über das offene Meer, die eine einschneidende Zäsur in ihrem Lebensweg darstellte. Diese Gefahr findet jedoch keinerlei Niederschlag in der bildenden Kunst. Die Künstler spielen vielmehr mit den Themen von Sehnsucht und Hoffnung. Synonym dafür wird das im alten Heimathafen vor Anker liegende Schiff kurz vor der Einschiffung oder das in den neuen Heimathafen einlaufende Schiff. Es dominieren die Motive von Abschied und Ankunft, die zwischen Hoffen und Bangen oszillieren, jedoch immer von Sehnsucht begleitet werden.

So auch in der Darstellung der neuen Wartehalle des Norddeutschen Lloyd (NDL) von Carl Fedeler. Zu sehen ist auf der rechten Seite die neue, überdimensioniert dargestellte Wartehalle des NDL, der, ebenfalls überdimensioniert, die Flotte von NDL-Dampfseglern auf der linken Bildseite gegenübergestellt ist. Massen von Menschen in verkleinertem Maßstab strömen aus der Wartehalle in Richtung der Schiffe. Das offene Meer ist nicht zu sehen, dennoch ist es dieser Darstellung immanent. Der übermächtig dargestellte NDL mit seiner modernen und großen Flotte wirbt für eine sichere Überfahrt.

Eva-Maria Bongardt ist Kunsthistorikerin und promovierte 2015 mit einer Arbeit zur Kirche St. Maria zur Höhe in Soest und ihrer Bildausstattung. Seit 2016 ist sie als Postdoktorandin für die wissenschaftlichen Erschließung und kunsthistorische Erforschung der Bildbestände im Deutschen Schiffahrtsmuseum verantwortlich. Ihr Ziel ist es, die maritime Kunst in den Fokus der Kunstgeschichte zu rücken und dadurch neue Forschungsfelder zu erschließen.

Charakteristisch für Gemälde mit Auswandererthematik ist, dass die Abfahrt vom alten Heimathafen stets von der Landseite gezeigt wird. Der Betrachter wird vom Künstler „zurückgelassen“. Dies bietet Raum, über die eigenen Wünsche und Sehnsüchte nachzudenken, die durch den Aufbruch des Schiffes ausgelöst werden. Die Ankunft im Zielhafen wird dagegen von der Wasserseite aus dargestellt, so auch bei Antonio Jacobsen, der von Dänemark nach New York auswanderte.

Die immanente Darstellung des Meeres über das Schiffsmotiv wird auch im Gemälde „Auswanderer“ deutlich. Eine Familie im Halbporträt schaut nach links in eine vermeintliche Ferne, die außerhalb des Sichtfeldes des Betrachters liegt. Das eigentliche Thema erschließt sich erst über die im Hintergrund sichtbaren Segel mehrerer Schiffe: Es handelt sich um eine Auswandererfamilie kurz vor der Einschiffung. Während die jungen Leute dem neuen Leben, das mit der Seereise beginnt, sehnsüchtig entgegenblicken, betrauert die ältere Generation den Verlust der alten Heimat.

Das Themenfeld „Auswanderung“ ist nur ein Beispiel für die vielfältige thematische und künstlerische Darstellung des Meeres in der Kunst, die in den umfangreichen Bildbeständen des DSM zu finden ist und als symptomatisch für die maritime Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts gelten kann. Aufgabe ist es, die musealen Bestände, und somit auch die maritime Kunst in ihrer gesamten Bandbreite, wissenschaftlich zu erforschen und diese innerhalb der Kunstgeschichte neu zu verorten. Dass dies nicht nur auf nationaler Ebene geschehen kann, zeigte der internationale Workshop „Ship Ahoy for Maritime Art“, der in Kooperation mit der Universität Basel vom 11.– 13. Oktober 2017 im DSM stattgefunden hat und der einen wichtigen Meilenstein auf diesem Weg darstellt.

Metadaten zu diesem Beitrag

Schlagworte zu diesem Beitrag:

Mehr zum Themenfeld: