Zum Wissenschaftsjahr 2018
Die Eroberung der Tiefsee

Die Eroberung der Tiefsee

Ein Porträt von Dr. Henry Ruhl

Die Eroberung der Tiefsee

Ein Porträt von Dr. Henry Ruhl, National Oceanography Center in Southampton

Meeresbiologinnen und -biologen fühlen sich oft, als hätten sie nur eine Taschenlampe zur Verfügung, um einen ganzen Kontinent zu erkunden. Das Problem: Hochaufgelöste Bilder lassen sich unter Wasser nur aus kurzer Entfernung schießen. Sichtbares Licht, vor allem der rote Bereich, wird in der Tiefsee schnell absorbiert. Auch die Bewegung des Wassers verzerrt das Bild. „Schon bei einer Entfernung von wenigen Metern Entfernung sinkt die Auflösung erheblich“, berichtet Henry Ruhl.

Der Biologe vom britischen National Oceanography Center (NOC) in Southampton arbeitet daran, die Bewohner der Tiefsee endlich systematisch zu erforschen. Sein Plan: In Zukunft sollen autonome Unterwasservehikel (AUV) über dem Meeresboden schweben und kontinuierlich Fotos schießen. Dass diese Methode funktioniert, hat ein britisches Team um Ruhl kürzlich bei einer Expedition des Forschungsschiffes Discovery in der Porcupine-Tiefsee-Ebene im Nordost-Atlantik demonstriert. Seit 1989 betreibt das NOC dort, 500 Kilometer westlich von Cornwall, ein Observatorium, das die gesamte Wassersäule von der Oberfläche bis zum fast 5000 Meter tiefen Boden überwacht. Welche Tiere am Meeresboden leben, ermittelten die Forscherinnen und Forscher lange vor allem mit Schleppnetzen.

Wie wirkt sich der Klimawandel auf das Leben in der Tiefsee aus? Dieser Frage widmet sich der Meeresbiologe Henry Ruhl vom britischen National Oceanography Center in Southampton. Er leitet ein Projekt zur autonomen Erkundung der Tiefsee und trägt dazu bei, die Arbeit europäischer Unterwasser-Observatorien zu koordinieren.

Doch autonome Roboter wie das torpedoförmige Vehikel Autosub6000 des NOC sind nun in der Lage, die Tiefsee-Fauna direkt in ihrem Lebensraum zu beobachten, ohne sie zu stören – und das auf weiten Flächen. Insgesamt 160 Kilometer legte Autosub6000 bei fünf Tauchgängen im Atlantik zurück und bildete dabei einen jeweils zwei Meter breiten Streifen des Meeresbodens ab.

Mehr als hunderttausend Fotos erhielten die Forscherinnen und Forscher als Ergebnis. Darauf sind neben dem schlammigen Meeresboden zum Beispiel stachelige Seegurken, zarte Seesterne, aasfressende Grenadierfische oder geflügelte Tintenfische zu sehen. „Um die Fotos auszuwerten, arbeiten wir mit Experten für maschinelles Lernen an der Universität Bielefeld zusammen“, berichtet Henry Ruhl. Er und seine Kolleginnen und Kollegen fanden mit Hilfe der automatischen Bildauswertung heraus, dass es zehn- bis fünfzigmal so viele Tiere am Meeresboden gibt wie Abschätzungen aus der Schleppnetzforschung ergeben hatten. Zudem stellte sich heraus, dass der Gipfel eines untersuchten Hügels, der nur 80 Meter höher lag als die umliegende Ebene, wesentlich dichter bevölkert war als erwartet. Das Team vermutet, dass die unregelmäßige Topographie an dieser Stelle die Strömungsgeschwindigkeit und damit die Nährstoffzufuhr erhöht.

Ähnliche Untersuchungen könnten in Zukunft durchgeführt werden, bevor in einem Meeresgebiet Rohstoffe abgebaut werden – um den Ausgangszustand zu dokumentieren.

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