„Wir lösen die molekulare Bremse“



Simone_Fulda

Als Direktorin des Instituts für experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie an der Universität Frankfurt hat Professorin Simone Fulda einen deutschlandweit einmaligen Lehrstuhl inne. Zusammen mit ihrem Team erforscht sie die molekularen Grundlagen von Krebserkrankungen im Kindesalter.

Frau Professor Fulda, warum haben Sie sich die Pädiatrische Onkologie für Ihre Forschung ausgesucht?
Simone Fulda: Weil mich die Kombination aus sehr interessantem Forschungsfeld und der großen Notwendigkeit, Dinge zu verändern, motiviert. Gerade in der pädiatrischen Onkologie ist noch sehr viel zu tun, weil Krebserkrankungen besonders bedrohlich sind. Bösartige Zellveränderungen sind bei Kindern zwar seltener. Dennoch ist Krebs die zweithäufigste tödliche Erkrankung im Kindesalter.

Aber er ist doch oft heilbar: Heute überleben bis zu 80 Prozent aller Kinder und Jugendlichen mit Krebserkrankungen.
Simone Fulda: Ja, aber zum Teil sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Krebsarten erheblich, so dass noch enormer Handlungsbedarf besteht, die Therapieoptionen weiter zu verbessern. Außerdem müssen wir die Spätfolgen der Behandlung möglichst gering halten, um die künftige Lebensqualität der jungen Patientinnen und Patienten zu schützen.

Welche Forschungsansätze verfolgen Sie an Ihrem Institut?
Simone Fulda: Wir wollen verstehen, warum Tumorzellen nicht, wie vorgesehen, den programmierten Zelltod, die so genannte Apoptose, eingehen. Wenn eine Zelle entartet, bekommt sie normalerweise ein Signal, sich selbst zu zerstören. Tumorzellen haben das verlernt. Wir versuchen herauszufinden, welche Mechanismen in den Zellen eingeschaltet sind, die eine solche Apoptose hemmen. Das kann man sich ähnlich wie bei einem Auto vorstellen, das nicht mehr fährt, weil die Bremse eingeschaltet ist. Es kann auch sein, dass bestimmte Moleküle fehlen, die notwendig sind, damit das gezielte Selbstzerstörungsprogramm ablaufen kann.

Sind diese Mechanismen immer gleich?
Simone Fulda: Leider nein. Die sind in der Regel Tumor-spezifisch. Das heißt, wir müssen die Mechanismen in den individuellen Tumoren jeweils einzeln untersuchen…

… um anhand dieser Erkenntnisse gezielte Therapien entwickeln zu können?
Simone Fulda: Ganz genau. Wenn wir zum Beispiel wissen, dass bestimmte Apoptose-hemmende Faktoren in Tumorzellen übermäßig vorhanden sind und die Apoptose bremsen, versuchen wir diese auszuschalten – und damit Tumorzellen wieder empfänglicher für den Zelltod zu machen. Auch konventionelle Chemotherapien wirken, indem sie Apoptose in Krebszellen auslösen. In vielen Fällen sind die aber nicht mehr so gut wirksam – eben, weil Tumorzellen diese Bremsen angelegt haben. Wenn wir die molekularen Bremsen entfernen, können Tumorzellen auch wieder empfindlicher gegenüber konventionellen Chemo- oder Bestrahlungstherapien werden.

Sie haben jetzt auch erste klinische Studien begonnen.
Simone Fulda: Ja, die Perspektive der Translation, also der Übertragung der Forschungsergebnisse aus dem Labor in eine klinische Anwendung, ist mir besonders wichtig, da ich selbst Kinderärztin bin und meine Motivation zur Forschung sich unter anderem aus der Erfahrung der Behandlung von krebskranken Kindern speist. Meine Doppelausbildung ist eine gute Voraussetzung dafür, diesen Ansatz umzusetzen. Denn man muss sowohl ein Verständnis für die molekularen Zusammenhänge im Labor haben als auch im Austausch mit den Kollegen in der Klinik stehen.

Wie funktioniert der Austausch zwischen Klinik und Labor genau?
Simone Fulda: Bei uns im Institut gibt es beispielsweise Rotationsstellen speziell für Mediziner. Das bedeutet, Ärzte in der Kinderklinik haben die Möglichkeit, in ihrer Ausbildung für ein Jahr in unserem Institut zu forschen. Es ist aber nicht so, dass der Transfer nur vom Labor in die Klinik erfolgt, sondern auch umgekehrt. Zum Beispiel untersuchen wir anhand von Tumormaterial aus der Klinik Resistenzmechanismen gegenüber neuen Therapien. Da brauchen wir Forscher natürlich die Informationen von den Ärzten aus der Klinik, dass es zu diesen Resistenzen kommt.

Wenn die Apoptose-Störungen tumorspezifisch sind, kommt Ihre Arbeit erst einmal nur kleinen Gruppen von Patienten zugute. Machen Sie sich darüber Gedanken, nicht allen Patienten sofort gleichermaßen helfen zu können?
Simone Fulda: Ja, aber das ist nichts, was mich irritiert. Im Gegenteil: Hierin liegt auch eine Vision der Zukunft! Gerade in der Onkologie wird individualisierte Medizin eine große Rolle spielen. Weil wir immer mehr verstehen, dass ein Tumor ein Sammelsurium von weiter zu unterteilenden Krebsarten ist. Und die sind sehr kleinteilig, weil die Natur diverser ist, als wir noch vor zwanzig Jahren dachten. Heute ist uns klar, dass wir eine Leukämie nicht bei jedem Patienten nach demselben Schema behandeln können. Meine Aufgabe sehe ich darin, das Wissen um die molekularen Besonderheiten von Tumoren so zu kanalisieren, dass es genau den richtigen Patienten zugute kommt.

 

Zur Person:
Prof. Dr. Simone Fulda ist seit Juli 2010 Direktorin des Instituts für experimentelle Tumorforschung in der Pädiatrie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Nach einer Facharztausbildung zur Kinderärztin, mehreren Forschungsaufenthalten im Ausland und einer Habilitation über „Apoptosemechanismen bei zytotoxischer Therapie“ forschte sie mehrere Jahre als Heisenberg-Stipendiatin der Deutschen Forschungsgemeinschaft auf dem Gebiet der Kinderkrebserkrankungen. Von 2007 bis 2010 hatte sie eine DFG-Forschungsprofessur für Pädiatrische Forschung an der Universität Ulm inne.