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Leben im Licht eines Leuchtturms

Leben im Licht eines Leuchtturms

Wann die Ostsee auch mal bedrohlich wirkt

Walter Hoerenz arbeitete auf Hiddensee als Deutschlands letzter hauptamtlicher Leuchtturmwärter

Sein Licht strahlt rund 40 Kilometer über die Ostsee. Bei klarem Wetter können sogar die Menschen in Dänemark das Feuer vom Leuchtturm Dornbusch auf Hiddensee erkennen. Wo heute Techniker vom Wasser- und Schifffahrtsamt in Stralsund für einen störungsfreien Betrieb sorgen, hatte 37 Jahre lang der Leuchtturmwärter Walter Hoerenz (84) seinen Arbeitsplatz. Hoerenz und seine Frau Ingeborg leben jetzt wieder auf dem Festland – in Prohn an der Ostseeküste, nördlich der Hansestadt Stralsund. Als er 1998 in Rente ging, war er Deutschlands letzter hauptamtlicher Leuchtturmwärter. Seitdem reiste das Ehepaar immer wieder von Prohn aus auf die Insel Hiddensee, zuletzt 2015.

Die Erinnerungen an lauschige Sommernächte und stürmische Winterwinde – in Hoerenz’ Gedächtnis leben sie weiter. Kaum ein Zweiter kennt die Ostsee und ihre Besonderheiten so gut wie der Wärter vom Leuchtturm Dornbusch: „Bedrohlich kann die Ostsee nur bei hohem Wasserstand und starken Stürmen werden.“ So grausam wie manchmal die Nordsee, sei die Ostsee nicht, sagt Hoerenz. „Das liegt daran, dass die Ostsee ein Binnenmeer ist.“

Leuchtturm 1888 in Betrieb genommen

Hiddensee im Jahr 1961: Mit zwei der vier Söhne ziehen die Hoerenz’ auf die Insel. Seinen Job als Schlosser und Schweißer auf einer Werft hat Walter Hoerenz zuvor aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. Die Familie bezieht eine Wohnung im Wärterhaus 400 Meter entfernt vom Schluckswiek, einem 70 Meter hohen Hügel, auf dem der Leuchtturm 1887 bis 1888 erbaut und anschließend in Betrieb genommen wurde.

Daneben steht ein Maschinenhaus mit den Notstromaggregaten und der Nebelsignalanlage. Fließend Wasser gibt es zu dieser Zeit noch nicht auf Hiddensee. Weil die Insel bis in die 80er Jahre über eine einzige Trasse mit Strom versorgt wird, sind Blackouts nicht selten.

Den Drehapparat schmieren, über 400 Einzellinsen warten, die Fensterscheiben reinigen – wenn Hoerenz die 82 Treppenstufen bis in die Wachstube hochsteigt, erwarten ihn immer umfangreiche Aufgaben. Und bis in den 80er Jahren die Automatik Einzug hält, ist der Leuchtturm auch in der Nacht besetzt.

Hoerenz teilt sich die Arbeit mit einem Kollegen, dessen Frau und seiner Frau Ingeborg, der ersten Leuchtturmwärterin in der DDR. Drei Personen arbeiten je acht Stunden täglich – einer der Wärter ist immer im Einsatz. Die Nachtschicht muss die Sichtverhältnisse prüfen. Ansonsten setzt sich Hoerenz nachts in seinen Lehnstuhl, hört Radio und liest. Ein Kollege nimmt ein Spinnrad mit auf den 27,5 Meter hohen Turm.

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„Wir waren nicht einsam“

Waren Leuchtturmwärter eigentlich einsam? Hoerenz weist das Klischee zurück: „Wir waren nicht einsam. Anfangs kamen die Nachbarn zu uns, weil sie noch keinen Fernseher hatten. Außerdem spielte ich Akkordeon, und Musiker waren immer gerne gesehen.“

Der Leuchtturm Dornbusch ist heute eine Besucherattraktion. Bis zu 15 Menschen gleichzeitig können von der Aussichtsgalerie auf 20 Metern Höhe den weiten Blick über die Ostsee und zur Nachbarinsel Rügen genießen. Geschlossen wird der Turm erst bei Windstärke 6, aus Sicherheitsgründen.

Walter Hoerenz kennt Winde dieser Stärke zur Genüge. Er musste selbstverständlich auch bei Windstärke 8 arbeiten: „Der Sturm riss mir manchmal den Boden unter den Füßen weg, und ich kam erst nach mehreren Metern wieder zum Stehen. Oder auch zum Liegen.“

In 37 Jahren hat Hoerenz allen Stürmen standgehalten. Seit er in Rente ging, gibt es in Deutschland keinen hauptamtlichen Leuchtturmwärter mehr. Die Deutschen seien Meister darin, sich schnell von Traditionen zu trennen, findet Hoerenz. Wichtig sei, dass die Leuchttürme noch ihr Licht rhythmisch in die Dunkelheit senden.

22.12.2017

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