Zum Wissenschaftsjahr 2018
Ist das Meer als Rohstofflager und Energielieferant unerschöpflich?

Ist das Meer als Rohstofflager und Energielieferant unerschöpflich?

Ein Expertenbeitrag von Stephan Lutter

Ist das Meer als Rohstofflager und Energielieferant unerschöpflich?

Ein Expertenbeitrag von Stephan Lutter, WWF Deutschland

Diese Frage ist eher rhetorisch gestellt, da sich inzwischen herum gesprochen hat, dass Ressourcen wie Öl, Gas, Erze und Metalle zu Lande wie zu Wasser nicht endlos verfügbar sind und sich, zumindest in gesellschaftlich relevanten Zeiträumen, nicht regenerieren. Vielmehr ist es die beachtliche Größenordnung, in der die Ozeane Rohstoffe bereithalten, die bei Staaten und Industrien starke Begehrlichkeiten weckt.

Riskante Tiefseebohrungen wurden trotz des Rufs der Umweltorganisationen nach einem Moratorium ungehindert fortgesetzt und boomen vor den britischen Inseln ebenso wie vor Brasilien und Angola. Im Gegensatz zu anderen Branchen wie der Seeschifffahrt, geregelt durch die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO), fehlen für die Offshore-Öl-Branche globale Abkommen und Standards. Während Tanker-Reeder in einen weltweiten Ölhaftungsfond einzahlen müssen, ist dies für die Ölkonzerne nicht vorgesehen.

Anders freilich beim Tiefseebergbau: Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) hat ein detailliertes Reglement und Vorschriften für die Erkundung von metallhaltigen Manganknollen, Massivsulfiden und Kobaltkrusten und erarbeitet derzeit solche Vorschriften auch für die später vorgesehene Gewinnung (siehe auch Beitrag in dieser Rubrik). Das bedeutet, dass Tiefseebergbau eine der Meeresnutzungen ist, die noch gar nicht begonnen hat und die, zumindest auf der Hohen See – und damit in etwa zwei Dritteln der Ozeane – , noch verhindert werden könnte.

Stephan Lutter hat biologische Meereskunde in Kiel studiert und ist beim WWF „Policy Advisor Marine Protected Areas“. Er vertritt den WWF bei internationalen Organisationen wie z.B. OSPAR oder Arbeitsgruppen der EU, die sich mit dem Schutz der biologischen Vielfalt des Meeres befassen.

Wollen Küstenstaaten in ihren Ausschließlichen Wirtschaftszonen (AWZ) Tiefseebergbau betreiben, wie vielerorts im pazifischen Raum erwogen, sind sie zwar an die Standards der ISA gehalten, doch es gibt Schlupflöcher. Das System der globalen Meeresverwaltung und „ocean governance“ ist in sich nicht konsistent: Während Fischereiorganisationen und Küstenstaaten durch eine Resolution der UNO-Vollversammlung gehalten sind, Seeberg-Ökosysteme vor Schäden durch Bodenschleppnetze zu schützen, entwickelt die ISA Methoden, um die Kobaltkrusten an ihren Gipfeln abzutragen.

Je weiter wir uns von Land entfernen, desto weniger Meeresschutzgebiete gibt es, die empfindliche Lebensgemeinschaften des Meeresbodens effektiv vor industriellen Nutzungen schützen. Nach einem Beschluss des Übereinkommens zum Schutz der biologischen Vielfalt (CBD) sollen bis 2020 zehn Prozent der Meere unter Schutz gestellt werden, zur Zeit sind es erst gut vier. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler halten 30 Prozent für notwendig. Damit gelangen wir zum Kernproblem der globalen „ocean governance“ und ihrer größten Rechtslücke, dem Fehlen eines Abkommens zum Schutz der biologischen Vielfalt in Gebieten jenseits nationaler Rechtsprechung (BBNJ) beziehungsweise Zuständigkeit. Zum Glück haben nach jahrelangen Vorbereitungen in diesem Jahr konkrete Verhandlungen über ein solches Umsetzungsabkommen begonnen.

Wenn wir eine nachhaltige Nutzung von Rohstoffen aus dem Meer zum Ziel haben, kann es nicht nur darum gehen, wie „erschöpflich“ sie selbst sind. Vielmehr muss auch die biologische Vielfalt, die indirekt davon betroffen ist, Beachtung finden. Solange davon nicht ausreichend durch Meeresschutzgebiete und ähnliche Schutzmaßnahmen für zukünftige Generationen gesichert ist, sollten Nutzungen wie Öl- oder Metallgewinnung aus der Tiefsee unterbleiben. Staaten, die nach den Bestimmungen des Seerechtsübereinkommens ihren Festlandssockel über die 200 Seemeilengrenze hinaus erweitern, um Bodenschätze zu gewinnen, sollten auch verpflichtet werden, dort Gebiete unter Schutz zu stellen. Sonst erleben wir weiterhin einen ungleichen Wettlauf zwischen Schutz und Nutzung.

 

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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