Forscher vorgestellt: Prof. Martin Melles
67°30' N 172°5' O – und dann 3,6 Millionen Jahre in die Tiefe. Im äußersten Nordosten Sibiriens liegt der Elgygytgyn, der Weiße See, wie die indigenen Tschuktschen ihn nennen. Er entstand vor schätzungsweise 3,6 Millionen Jahren durch den Einschlag eines Meteoriten auf der Erde. Weil der See auch während der Eiszeiten nicht von Gletschern bedeckt war, bilden die Ablagerungen am Grund des Sees ein aufschlussreiches Klimaarchiv. Diese wissenschaftliche Besonderheit des Sees wurde erst 1994 von der Russin Olga Glushkova entdeckt, als diese den See kartierte.
Das Bundesforschungsministerium fördert im Verbundprojekt „ICDP-Elgygytgyn“ die weitere Erforschung der Klima- und Umweltgeschichte der Arktis. Dazu arbeitet ein internationales Forscherteam an der Untersuchung von Seesedimenten. Beteiligt sind neben Prof. Martin Melles von der Universität Köln auch das GeoForschungsZentrum Potsdam, die Alfred-Wegener Institute Bremerhaven und Potsdam.
Herr Prof. Melles, zu welcher Fragestellung forschen Sie zurzeit?
Ich erforsche im Rahmen von verschiedenen Projekten, wie sich das Klima und die Umwelt auf der Erde in der jüngeren Erdgeschichte verändert haben, d.h. seit tausend bis wenige Millionen Jahre vor Heute. Als natürliche Archive der Bedingungen in der Vergangenheit nutze ich insbesondere die Ablagerungen am Grund von Seen, da Seesedimente in der Regel kontinuierlich, Jahr für Jahr gebildet werden und ihre Zusammensetzung die klimaabhängigen Bedingungen im Wasserkörper und im Einzugsgebiet der Seen sehr gut widerspiegeln. Mein wichtigstes Projekt ist aktuell die Bearbeitung eines 315 Meter langen Bohrkernes aus dem Elgygytgynsee in Tschukotka im nordöstlichen Russland, mit dem erstmals die Klima- und Umweltgeschichte der Arktis seit 3,6 Millionen Jahren lückenlos und mit einer sehr guten zeitlichen Auflösung rekonstruiert werden kann.
Wie könnten Ihre Forschungsergebnisse unser Leben verändern?
Ein besseres Verständnis der natürlichen, d.h. ohne menschlichen Einfluss erfolgten Klimaveränderungen, ihrer Ursachen und ihrer regional unterschiedlichen Auswirkungen auf die Umwelt kann wesentlich dazu beitragen, die natürlichen Einflussfaktoren auf das Klimageschehen in der Zukunft vorherzusagen und bei Prognosen angemessen zu berücksichtigen. Außerdem können aus Studien der Umweltreaktionen auf vergangene Klimaveränderungen wichtige Beiträge zu einem besseren Verständnis der Wechselwirkungen im Klima- und Umweltsystem geliefert werden.
Wie lange haben Sie gebraucht, um den Namen Ihres Forschungsobjekts, den Elgygytgyn-See, flüssig aussprechen zu können?
Ich spreche ihn inzwischen zwar flüssig aus, aber vermutlich nicht richtig! Elgygytgyn entstammt der tschuktschischen Sprache und steht für Weißer See - das ergibt Sinn, wenn man bedenkt, dass der See etwa neun Monate im Jahr eisbedeckt ist und die tschuktschischen Nomaden auf ihren Wanderungen mit den Rentieren im Frühjahr und Herbst den Elgygytgynsee möglicherweise nie eisfrei gesehen haben.
Fast jede unserer täglichen Aktivitäten kann auf ihre Nachhaltigkeit hinterfragt werden.
Bitte setzen Sie den folgenden Satz fort: Nachhaltigkeit bedeutet für mich …
... den Umgang mit den natürlichen Ressourcen in einer Form, die auch zukünftigen Generationen ein frei gestaltbares Leben auf der Erde ermöglicht. Dieses ist nicht mit dem Bestreben um Erhalt der heutigen Bedingungen gleichzusetzen, da Veränderungen nicht grundsätzlich negativ sind. Für die Anpassung an die sich verändernde Umwelt sind aber ein besseres Prozessverständnis und belastbarere Vorhersagen erforderlich, die der Menschheit Handlungsoptionen offen halten.
Haben Sie einen Tipp für nachhaltiges Verhalten im Alltag?
Fast jede unserer täglichen Aktivitäten kann auf ihre Nachhaltigkeit hinterfragt werden. Mülltrennung, energieeffiziente Geräte und vieles mehr erfahren in Deutschland heute eine große Akzeptanz. Ich fürchte aber, dass unser Verhalten noch deutlich größere Anstrengungen erfordert, um die erforderlichen Rahmenbedingungen für unser soziales, ökonomisches und politisches Gefüge nachhaltig zu erhalten. Aufklärung und Empfehlungen alleine werden nicht ausreichen.
Auf zur Bohrung!
Weitere Informationen:
Zum Forschungsprojekt ICDP-ELGYGYTGYNSEE:
Paläolimnologie des Elgygytgyn-Sees seit dem Pliozän
Das Elgygytgyn Drilling Project wird durch die Förderung vom ICDP, BMBF, DFG, NSF, RAS, dem BMWF sowie den Helmholtz-Zentren Alfred-Wegener-Institut und GeoForschungsZentrum ermöglicht.