Zum Wissenschaftsjahr 2018
Quo Vadis Stör?

Quo Vadis Stör?

Ein Expertenbeitrag von Dr. Jörn Geßner und Madeleine Ammar

Quo vadis Stör?

Ein Expertenbeitrag von Dr. Jörn Geßner und Madeleine Ammar, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei

Dieser Expertenbeitrag ist im Rahmen der Elbschwimmstaffel des Wissenschaftsjahrs 2016*17 – Meere und Ozeane entstanden. Hier gelangen Sie direkt zur größten Freiwasser-Schwimmstaffel Deutschlands.

Am 20. Juli 2017 zieht ein Elbfischer westlich von Blankenese einen urzeitlichen Fisch aus der Elbe: Es ist einer der fünfzehn Störe, die am 12. Juli von Teilnehmenden der Elbschwimmstaffel bei Geesthacht besetzt worden sind. Mit dieser Aktion hatten die Schwimmerinnen und Schwimmer nach 575 km zurückgelegter Strecke den symbolischen Staffelstab an die Störe überreicht, die die Reise flussabwärts damit fortsetzten. Mittlerweile sollten die Geesthachter „Staffel-Finalisten“ das Mündungsgebiet der Elbe bei Brunsbüttel erreicht haben. Ab März 2018 werden sie sich mindestens für die nächsten zehn Jahre in den Küstenregionen der Nordsee aufhalten, um anschließend zurück in die Elbe zu ziehen und selbst Nachkommen zu zeugen.

Madeleine Ammar ist Koordinatorin des Wanderfisch-Projektes am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Jörn Geßner ist Arbeitsgruppenleiter der Abteilung Biologie und Ökologie der Fische am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei.

Dieses beeindruckende Wanderverhalten ist heute kaum noch zu beobachten. Denn der Europäische Stör gilt in Deutschland seit den 1970er Jahren als verschollen oder ausgestorben. Um den eindrucksvollen Wanderfisch wieder in der Elbe und ihren Nebenflüssen anzusiedeln, wurden seit 2008 unter Koordination der Gesellschaft zur Rettung des Störs e.V. etwa 20 000 junge Störe ausgesetzt.

Der Europäische Stör (Acipenser sturio) ist ein typischer Vertreter dieser Artengruppe. Er laicht im Frühsommer in kiesigen Flussabschnitten und erreicht mit etwa zwei Jahren die Nordsee, wo er bis zu seiner Geschlechtsreife, im Alter von etwa 15 Jahren, verbleibt. Dann kehrt der Stör zurück in seinen Geburtsfluss, wo er über die nächsten 80 Jahre immer wieder selbst für Nachwuchs sorgt. Sein Wanderverhalten hat sich über die vergangenen 250 Millionen Jahre entwickelt, und sorgte für ein stabiles Wachstum der Stör-Populationen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts sind diese Bestände jedoch auf Grund menschlicher Eingriffe in die Natur drastisch zurückgegangen. Heute gilt der Europäische Stör als ausgestorben – eine letzte natürliche Population existiert in der französischen Gironde.

Doch Besatzmaßnahmen allein reichen nicht aus, um die Rückkehr des Störs sicherzustellen. Denn der Stör mag es gemütlich: Bis zu seiner Geschlechtsreife lässt er sich immerhin etwa 15 Jahre Zeit, während der er von seinem Geburtsort im Fluss in die Küstenregionen und weiter ins offene Meer wandert. Nicht wenige Störe machen dabei unliebsame Erfahrungen mit der intensiven Fischerei und den zu Wasserstraßen ausgebauten Flusslandschaften.

Damit der Stör eine Zukunft hat, muss sich also zunächst der Zustand unserer Gewässer langfristig verbessern. Genau dafür tragen Kampagnen wie das Umweltbildungsprojekt „Wanderfisch“ Sorge, das die Öffentlichkeit über die Auswirkungen der Gewässernutzung informiert. Allein im letzten Jahr erhielten etwa 130 Schulen themenbezogene Bildungsmaterialien wie den GewässerRucksack oder das GewässerPäckchen, die Impulse für Exkursionen und Schulprojekte liefern. 600 Stör-Patenschaften wurden von Schülerinnen und Schüler übernommen, die bei Besatzaktionen an den heimischen Flüssen des Störs teilnahmen. Eine Wanderausstellung tourte durch insgesamt elf Städte und erreichte Schülerinnen und Schüler der 1. bis 12. Klassenstufe an dreizehn verschiedenen Schulen.

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Weltweit besuchten mehr als 10 000 Interessierte die projekteigene Website (www.wanderfisch.info), die neben detaillierten Infotexten einen animierten Erklärfilm und ein Stör-Quiz enthält. Damit leistete „Wanderfisch“, das im Rahmen des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane gefördert wird, einen wichtigen Beitrag bei der Sensibilisierung und Begeisterung für den Artenschutz. Diese Leistung wird nun auch durch die Fachjury der UN-Dekade Biologische Vielfalt honoriert, die das Projekt im Frühjahr 2018 für das Engagement um den Erhalt unseres Artenreichtums auszeichnen wird. Im Fokus des Projektes steht die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte mithilfe neuer Lernformate, um die komplexen Zusammenhänge zwischen den Ökosystemen Meer und Fluss und die Auswirkungen der Gewässernutzung auf den Zustand natürlicher Lebensräume zu verdeutlichen. Dadurch sollen auch Akteure aus Politik, Verwaltung, Industrie und Fischerei aufgeweckt werden. Denn der Schutz des Störs sowie anderer bedrohter Wanderfischarten und damit das politische Ziel der Erhaltung der biologischen Vielfalt, erfordert nicht zuletzt, dass intakte Gewässer existieren und von den Tieren genutzt werden können. Dazu gehört auch die Einhaltung von Fangverboten - wie im Fall des Fischers, der den Jungstör mit der Markierungsnummer GSA 438 bei Blankenese aus dem Wasser zog und ihn nach der Portraitierung und Vermessung wieder zurück in das Gewässer setzte, damit dieser seine Wanderung fortsetzen konnte.

Die hier veröffentlichten Inhalte und Meinungen der Autoren entsprechen nicht notwendigerweise der Meinung des Wissenschaftsjahres 2016*17 – Meere und Ozeane.

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