Zum Wissenschaftsjahr 2018
1,6 Millionen Tonnen Munition in deutschen Gewässern

1,6 Millionen Tonnen Munition in deutschen Gewässern

Direkt von Bord – ein Expeditionsblogbeitrag des Forschungsschiffs Walther Herwig III

1,6 Millionen Tonnen Munition in deutschen Gewässern

Der dritte Expeditionsblog-Beitrag der 401. Fahrt der Walther Herwig III

Thomas Lang, Wissenschaftler am Thünen-Institut für Fischereiökologie, blogt über einen wichtigen Aspekt der Reise.

13.12.2016, Versenkte Munition im Meer
Wir befinden uns im Skagerrak. Nachdem wir in den letzten Tagen Fischproben in den Munitionsversenkungsgebieten der Ostsee genommen haben, gibt der heutige Tag Gelegenheit für Hintergrundinformationen zum Thema „Munition im Meer“ und zu den entsprechenden Forschungsarbeiten des Thünen-Instituts für Fischereiökologie. Millionen Tonnen von Munition liegen seit Jahrzehnten am Grund von Nord- und Ostsee; alleine in deutschen Gewässern sind es geschätzte 1,6 Millionen Tonnen. Bei dem größten Teil handelt es sich um konventionelle Munition, also Spreng- oder Brandmunition, die meist mit TNT oder weißem Phosphor befüllt ist. Ein kleinerer Teil ist chemische Kampfstoffmunition, die humantoxische Substanzen wie Senfgas, Tabun, Phosgen oder arsenhaltigen Kampfstoffe, z. B. Clark I und II oder Adamsit, enthält. Der überwiegende Teil der Munition stammt aus militärischen Operationen während des Zweiten Weltkriegs und aus Munitionsversenkungen am Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg, letzteres auf Veranlassung der alliierten Siegermächte zur „Entsorgung“ von Lagerbeständen der deutschen Wehrmacht.

Die chemische Kampfstoffmunition wurde überwiegend in tiefen Bereichen der Ostsee (Bornholm- und Gotlandbecken) (ca. 42.000 bis 65.000 Tonnen) und des Skagerraks (ca. 200.000 Tonnen) versenkt, ein kleinerer Teil aber auch in flacheren Bereichen wie dem Kleinen Belt (ca. 6.000 Tonnen). Konventionelle Munition ist dagegen großräumig in der Ostsee verteilt und lässt sich daher auch in unmittelbaren Küstengewässern finden. Obgleich seit Jahrzehnten bekannt, rückte das Thema Munition im Meer erst seit relativ kurzer Zeit in den Fokus von Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft, in erster Linie ausgelöst durch eine verstärkte Nutzung der Meere zur Energiegewinnung (Förderung von Erdöl und –gas, Windkraft) und die Verlegung von Kabeln und Pipelines auf dem Meeresgrund. Bei nahezu jeder dieser Aktivitäten kam und kommt es zu Funden von z. T. noch funktionsfähiger Munition. Daraus erwächst Entscheidungs- und Handlungsbedarf hinsichtlich Maßnahmen zur Bergung oder Delaboration (Entschärfung bzw. Rückbau). In diesem Zusammenhang ergeben sich zwangsläufig Fragen: Wie groß ist das Ausmaß dieses Altlasten-Problems? Welche möglichen Langzeitfolgen hat die zunehmende Korrosion der Munition inklusive der damit einhergehenden Freisetzung toxischer Substanzen? Wie gefährdet sind nicht nur die Menschen, sondern auch die belasteten Meeres-Ökosysteme? Außerdem werden zunehmend Managementoptionen hinsichtlich des Umgangs mit der versenkten Munition diskutiert; teilweise mit sehr polarisierenden Argumenten. Im Thünen-Institut für Fischereiökologie untersuchen wir seit 2011 die Auswirkungen von versenkter Munition auf den Gesundheitszustand von Ostseefischen. In den internationalen Projekten CHEMSEA (EU-Interreg-Projekt) und MODUM (NATO-Projekt) verglichen wir den Gesundheitszustand des Ostseedorsches in Versenkungsgebieten von chemischen Kampfstoffen mit dem aus Vergleichsgebieten und erarbeiteten Konzepte für die Überwachung der Umweltrisiken. Im neu begonnenen Projekt DAIMON (ebenfalls ein EU-Interreg-Projekt) geht es vorrangig um die Weiterentwicklung von Methoden zur ökologischen Risikobewertung von chemischer und konventioneller Munition im Meer. Darauf aufbauend sollen Entscheidungshilfen entwickelt werden, wie mit versenkter Munition umzugehen ist.