Wissenschaftsjahr 2007 - 28.03. - 04.04.2007

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28.03. - 04.04.2007

Im Blickpunkt

Historiker Jürgen Kocka nimmt Abschied als Leiter des Berliner Wissenschaftszentrums

Aus Anlass seines Abschieds als Leiter des Berliner Wissenschaftszentrums (WZB) spricht der Historiker Jürgen Kocka im Interview mit der SZ auch über das Verhältnis von Geistes- und Sozialwissenschaften: "In der Geschichtswissenschaft hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine Orientierung an Kulturgeschichte - manche würden sagen: ein Kulturalismus - durchgesetzt: eine Rückkehr zur Erzählung, ein Interesse an Geschichten im Plural, eine Betonung traditioneller und neuer hermeneutischer Methoden. Damit war eine größere Distanz zur Soziologie, zur Politologie, erst recht zur Ökonomie verbunden. Zugleich ist die Professionalisierung der Sozialwissenschaften vorangeschritten. Im Unterschied zu den großen Gründerfiguren sind sie heute viel stärker spezialisiert und, mit einigen Ausnahmen, noch weiter weg vom Schreiben im Feuilleton, von der Diskussion der Gebildeten." Aus seiner Lebenserfahrung im Umgang mit Wissenschaftlern zieht Kocka den Schluss: "Es gibt verschiedene Wissenschaftlertypen, und man muss versuchen, zwei Extreme zu vermeiden: das Fachidiotentum und den Hansdampf in allen Gassen, der kulturwissenschaftlich über alles und jedes redet."
SZ, 31.3.2007

Orientierung an mittelalterlicher Universität

In Italien haben, wie Thomas Migge im Deutschlandradio berichtet, Umberto Eco und andere Geisteswissenschaftler die private Hochschule "Istituto di Scienze Umane" gegründet – mit der ausdrücklichen Orientierung an der umfassende Bildung anstrebenden mittelalterlichen Universität. Der Historiker Franco Cardini, einer der Professoren des SUM: "Unserer Meinung nach können Forschung und Studium von den mittelalterlichen Universitäten lernen: damals zogen die Studierenden durch ganz Europa, von einer Hochschule zur anderen, sprachen alle die gleiche Sprache und studierten bei den wichtigsten Experten eines jeweiligen Fachs. Auf diese Weise waren sie europäische Intellektuelle, die Grenzen und Räume überwanden. Die heutige Uni-Tendenz geht hingegen zur Abgrenzung der Disziplinen."

"Schlaf und Traum" im Hygiene-Museum

"Schlaf und Traum" in kulturgeschichtlicher und wissenschaftshistorischer Perspektive sind in einer großen Schau im Dresdener Hygienemuseum zu bewundern. Für die FAZ berichtet Henning Ritter: "Kulturgeschichtlich ist dabei auch die Sicht auf die Wissenschaft. Nicht nur tragen ihre Apparate und Verfahrensweisen die Signatur ihrer Zeit, als Vorstöße ins Unsichtbare erscheinen sie oft genug in unseren Augen als surreale oder surrealistische Gebilde."
In der SZ preist Burkhard Müller die Ausstellung als "vielfältig, einfallsreich und bilderstark". Für die FR hat sich Elke Buhr im Hygiene-Museum umgesehen, und für die Welt Cosima Lutz.
FAZ, 2.4.2007
SZ, 3.4.2007

Themen der Woche

Die Vernunft des Islam

Der iranische Philosoph Abdolkarim Soroush erläutert in der FR, dass das vom Papst gezeichnete Bild der Vernunftferne des Islam eine Verzeichnung der Wirklichkeit ist: "Religiöse Intellektuelle in Iran versuchen heute die Beziehung Vernunft und Offenbarung umzudefinieren. Was die Interpretation der Schrift, des Koran also, angeht, sucht man Hilfe bei der modernen Hermeneutik und den Erfahrungen des Christentums. Diese religiösen Intellektuellen fürchten - ganz im Gegensatz zu dem, was der Papst zu denken scheint - nicht die unterschiedlichen Interpretationen des Koran, sie sehen darin keinen Verstoß gegen die Tatsache, dass der Koran göttliche Offenbarung ist, sondern sie vertreten die Auffassung, dass der Islam gerade aus diesen verschiedenen Interpretationen besteht und dass es unmöglich ist, den reinen Kern zu erreichen."

Comic-Schlacht an den Thermopylen

In dieser Woche läuft der auf Frank Millers gleichnamigem Comic beruhende Film "300" an, der die Schlacht bei den Thermopylen auf die Leinwand bringt. Der in Bern lehrende Althistoriker Stefan Rebenich rückt in der SZ die Tatsachen zurecht und stellt fest: "Nicht die historische Zuverlässigkeit der Rekonstruktion, sondern die fiktionale Kraft der Imagination zählt. Es bedarf keines Bildungshintergrundes mehr, um die trivialen Botschaften zu dechiffrieren. Die postmoderne Antikenrezeption ist nicht mehr Angelegenheit von Eliten, sondern ein Massenphänomen."
SZ, 2.4.2007

Alte Erfolgsmethoden für deutsche Wissenschaft

Beim Blick in deutsche Zeitschriften referiert Ingeborg Harms in der FAZ einen Essay des Historikers Anthony Grafton in Lettre, in dem dieser erklärt, was deutsche Universitäten einst attraktiv machte für ausländische Wissenschaftler: "In Städten wie Göttingen und Hannover orientierte man sich seit dem achtzehnten Jahrhundert am Ideal der Wissenschaftlichkeit und engagierte oder beförderte Professoren 'nach der Qualität ihrer publizierten Forschungsarbeit'. Mit diesem Rezept zogen deutsche Universitäten im neunzehnten Jahrhundert an die zehntausend Amerikaner an, die nicht nur Geld ins Land brachten, sondern auch Ideen über den Atlantik exportierten."
FAZ, 31.3.2007

Veränderungen der französischen Wissenschaftslandschaft

Von aufregenden Entwicklungen in der französischen Wissenschaftslandschaft berichtet Judith Klein auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ: "Von einengenden Begriffen befreit, beflügelt vom Wissen anderer Kulturen und beschwingt vom Lob der Unordnung, öffnen sich französische Naturwissenschaftler für Methoden und Erkenntnisse der Kulturwissenschaften und Kulturwissenschaftler für die der Naturwissenschaften."


Ausstellung zur Weimarer Klassik

Ein von einem Jenaer Sonderforschungsbereich zum "Ereignis Weimar-Jena" wissenschaftlich betreute Weimarer Ausstellung hat sich für die SZ ein begeisterter Gustav Seibt angesehen: "Zwei Schwerpunkte setzen die Ausstellung und der Sonderforschungsbereich: Es geht erstens um die weimarisch-fürstliche Tradition von Gelehrtenkultur und Kunstförderung seit der Reformation, in der die häretische Wissenschaft der Landesherrschaft vorarbeitete; und dabei zweitens um die Doppelpoligkeit der Weimarer Klassik zwischen Ästhetik und Wissenschaft in den Brennpunkten Weimar und Jena. (...)Das Entzücken, das die Ausstellung gewährt, kommt wirklich aus dem Ereignishaften, das hier erfahrbar wird: In den Objekten, Handschriften, Bildern, Erstausgaben sieht man die scheinbar so ewig geprägte Form in ihrer Geburtsstunde, als unerhörte Neuigkeit."
SZ, 2.4.2007

Goethe als Briefautor

Hubert Spiegel hat für die FAZ einem Vortrag Albrecht Schönes, eines Doyens der Germanistik, gelauscht, bei dem dieser sein umfangreiches Projekt zu Goethe als Briefschreiber vorstellte. Da kündigt sich, wie Spiegel findet, Großes an: "Wenn das Werk hält, was die Probe im Hochstift überreich versprach, steht in einigen Jahren ein Ereignis bevor. Schönes Kunst, seine Gegenstände zum Sprechen zu bringen, sein Publikum auf höchstem Niveau zu belehren und zu unterhalten, ist schlicht und einfach beglückend."
FAZ, 29.3.2007

Erinnerung an Karl Schmid

Zum 100. Geburtstag erinnert Roman Bucheli in der NZZ an den Schweizer Germanisten Karl Schmid, der durch eine Auseinandersetzung mit Max Frisch öffentliche Prominenz erlangte.

Vordenker autokratischer Staatsideologie

Felix Philipp Ingold porträtiert in der FAZ den 1954 verstorbenen russischen Staats- und Rechtsphilosophen Iwan Iljin, der lange vergessen war – nun aber als Ideologe der Autokratisierung des Staates en vogue ist. Und so klingt das: "Solange die Russen noch nicht demokratiefähig seien, benötigten sie eine vertrauenswürdige zentrale Führung, heißt es in einem dezidierten Statement Iljins 'Über die Staatsform', und diese Führung müsse 'eine nationale, patriotische, keineswegs totalitäre, jedoch autoritäre - zugleich erzieherische und auferweckende – Diktatur' sein."
FAZ, 28.3.2007

Der ausgestellte Barbarenschatz

Im Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt der Archäologe Michael Petrovszky die Bedeutung eines nun erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemachten römischen Beutefunds, der die Lebensumstände des 3. Jahrhunderts zu rekonstruieren hilft: "Habgier oder Not - was auch immer zu den Plünderzügen geführt hat, im Ergebnis beschert uns heute der Barbarenschatz tiefe Einblicke in die Lebenswirklichkeit des 3. Jahrhunderts n.Chr. - und das ist in dieser Form sicherlich einmalig."

Bücher und Rezensionen

Von einem schmalen Band von Jacques Le Goff und Nicolas Truong zur "Geschichte des Körpers im Mittelalter" zeigt sich in der FAZ Michael Borgolte – auch wenn einige Fragen offen bleiben – beeindruckt: "Eindrucksvoll zeigt Le Goff, dass im Mittelalter von einer allgemeinen Abwertung des Leibes nicht die Rede sein kann, auch nicht von einem jemals durchgehaltenen Vorzug des 'Geistes' oder der 'Seele' gegenüber dem 'Körper', sondern dass überall Widersprüche herrschten, oft zwischen Norm und Wirklichkeit, oft genug aber auch zwischen konkurrierenden Normen selbst."
FAZ, 30.3.2007

In der NZZ feiert Andreas Cremonini das Erscheinen eines bedeutenden Werks der Gegenwartsphilosophie – nämlich von Stanley Cavells magnum opus "Der Anspruch der Vernunft", das den eigenen Denkstil des Philosophen eindrucksvoll vorführt: "Diesem eigentümlichen Zugleich von quälerisch-disziplinierter Strenge und lustvoll-literarischer Digression, das zur Signatur von Cavells Denken geworden ist, lässt sich seit kurzem an seinem big book nachspüren, das durch die kongeniale Übersetzung von Christiana Goldmann endlich den Weg ins Deutsche gefunden hat."

Konferenzen und Tagungen

Für die FR hat Arno Widmann kurz beim Essener Philosophen-Kongress "Aufbruch ins moderne Europa - Philosophie zwischen 1400 und 1700" vorbeigeschaut – und daraus auch gelernt, dass Aufklärung ein breit zu definierender Begriff ist: "Wer freilich Aufklärung als das stetige öffentliche Infragestellen der überkommenen Auffassungen begreift, für den besteht die Stärke der Aufklärung gerade darin, dass sie auch ihre eigenen Maximen einer Kontrolle unterzieht. Aufklärung so verstanden ist dann vielleicht kein scharfer Epochenbegriff mehr, aber das ist ein Kummer nur für solche Historiker, die noch an die klar von einander zu trennenden Epochen glauben."

Eine kleine Marbacher Tagung zu "Zeitgeschichte in der Literatur nach 1945" hat Richard Kämmerlings für die FAZ besucht und resümiert: "Als Quelle für kollektive Bewusstseinslagen eignen sich Romane nur bedingt und jedenfalls nur zusammen mit einer Analyse nach den Regeln literaturwissenschaftlicher Kunst. Ergiebiger ist die Literatur für die methodologische und geschichtstheoretische Reflexion."

FAZ, 3.4.2007


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