Wissenschaftsjahr 2007 - 17.10. - 23.10.2007

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17.10. - 23.10.2007

Im Blickpunkt

Elite, Exzellenz (Forts.)

Die vorerst letzte Elite-Entscheidung vom letzten Freitag wird in den Feuilletons kommentiert, wenn auch fast völlig frei von Enthusiasmus.

In der taz kommt der Soziologe Richard Münch im Interview mit Ines Kappert zu Wort, der die ganze Veranstaltung prononciert kritisch sieht - und vor allem glaubt, dass der Zuschnitt für die Geisteswissenschaften ganz falsch ist. "Auch wenn die Geistes- und Sozialwissenschaften bei der zweiten Runde der Exzellenzinitiative etwas mehr abbekommen haben als bei der ersten Runde, profitieren sie gar nicht davon. Weil diese großen Verbünde, die hier geschaffen werden, für die Geistes- und Sozialwissenschaften Gift sind. Die leiden darunter mehr, als sie dadurch gefördert werden."

Im Tagesspiegel sind eine Reihe von Artikeln den Auswirkungen der Elite-Entscheidung (die FU wird Elite-Uni, die Humboldt-Universität nicht) auf die Berliner Universitätslandschaft gewidmet. Tina Rohowksi bietet Impressionen von Reaktionen: "'An unserer exzellenten Uni' begrüßt Jutta Müller-Tamm ihre Studierenden am Montagmorgen in der Literaturvorlesung. Danach geht es direkt weiter im Stoff." Und Forschungssenator Jürgen Zöllner sieht die Sache im Interview anders als die meisten: "Das ist ein äußerst erfolgreicher Tag für die Humboldt-Universität."

(Interview mit Jürgen Zöllner)

Textverarbeitung, Schreiben und Denken

Die NZZ widmet einen Schwerpunkt Fragen der Textverarbeitung. Die Geschichte des Schreibens (und Denkens) am Computer nimmt dabei Stefan Betschon in den Blick: "Noch immer ist die Tastatur das Nadelöhr, durch das die Gedanken sich hindurchzwängen müssen, noch immer gibt es beim Schreiben ein Wettrennen zwischen den Fingern und dem Kopf, einmal eilen die Gedanken davon, einmal preschen die Finger vor und reißen Gedanken mit sich, manchmal ruhen beide gebannt vor dem weißen Papier."
Der Literaturwissenschaftler Sandro Zanetti stellt ein Projekt der Universität Basel über die "Genealogie des Schreibens" vor, das sich mit ähnlichen Fragen befasst: "Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projektes gehört die Einsicht, dass Schreibprozesse vor allem dann thematisch werden und somit Einblick in die entsprechende Schreibszene geben, wenn sich im Ensemble der beteiligten Faktoren semantischer, gestischer oder instrumenteller Art Widerstände bemerkbar machen, die überwunden werden müssen: Der entscheidende Einfall will nicht kommen, die Hand wird müde, die Tastatur klemmt - man kennt die entsprechenden Situationen."

NZZ, 19.10.

Themen der Woche

Barocke Bibliotheken

Die Bibliothekswissenschaftlerin Katja Stopka nimmt in der Welt die Wiedereröffnung der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar zum Anlass, die sich von heutigen durchaus unterscheidenden Funktionen barocker Bibliotheken vorzustellen: "Als die Herzogin Anna Amalia Mitte des 18. Jahrhunderts den Umbau des Grünen Schlosses zu einem Bibliotheksgebäude veranlasste, stahlen Bücher ihrem Gehäuse noch selten die Show. Denn im Barock hatten Büchersäle nicht allein die Aufgabe, Aufbewahrungsort von Gedrucktem zu sein. In dieser Blütezeit des Bibliotheksbaus manifestierten die architektonischen Kunstwerke eine ganzheitliche Idee: Im Mikrokosmos des Bibliothekssaals sollte sich der Gesamtkosmos spiegeln."

Aufwertung der Résistance in Frankreich

Der neue Präsident Nicolas Sarkozy will den französischen Widerstand in der Beurteilung der Haltung während der deutschen Okkupation stärker in den Vordergrund stellen. In der FAZ erläutert der Historiker Max Gallo im Interview die Zusammenhänge: "Die Absicht scheint mir klar zu sein. Nach einer Periode, die mit der Rede Jacques Chiracs am 16. Juli 1995 über die Mitschuld des französischen Staates an der Judenverfolgung begann, soll das Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Es spricht für Sarkozys Willen, die Reuehaltung durch einen historischen Rückblick auszugleichen. Wir können aus dieser Zeit nicht nur Vichy behalten und die Résistance ausklammern. Frankreich war nicht nur, aber es war auch eine Nation von Widerstandskämpfern. Das Ziel ist im Grunde zu sagen, dass wir stolz auf Frankreich sein können."

Theologen müssen Christen sein

Der Theologe Gerd Lüdemann darf - das hat nun auch das Bundesverfassungsgericht entschieden - nicht mehr Theologie unterrichten, weil er seinen Unglauben bekannt hat. Daraus folgt, wie er in der FR darlegt, für ihn vor allem, dass die Theologie sich nicht als Wissenschaft verstehen könne - und somit ein Fremdkörper an deutschen Universitäten ist: "Nun sind sich alle in der Geistes- oder Naturwissenschaft Tätigen einig, dass Forschung frei sein muss und nicht von vornherein weiß, zu welchen Ergebnissen sie führt. Diese Freiheit der Wissenschaft ist erst nach langen Kämpfen gegen Einsprüche der christlichen Kirchen errungen worden. Da Theologie bis heute ein Universitätsfach ist, haben die dort Tätigen - so sollte man eigentlich denken - auch Anrecht auf volle Wissenschaftsfreiheit. Es war daher skandalös, dass in meinem Fall die Niedersächsischen Kirchen den Staat zu einer solch massiven Beschneidung dieser Freiheit bewegen konnten."

Morddrohungen gegen Bulgarien-Historiker

Zwei Historiker des Osteuropa-Instituts der FU Berlin müssen mit Morddrohungen leben, weil sie der Mythisierung des historischen Massakers muslimischer Bulgaren an ihren christlichen Nachbarn in der der Stadt Batak nachgehen wollten. Sonja Zekri berichtet in der SZ, wie sie ins Visier der Nationalisten von heute gerieten: "Was ist Ereignis, was Mythos? Warum wurde ausgerechnet Batak zum Wallfahrtsort? Darüber hatten Baleva und Brunnbauer diskutieren wollen, doch dazu kam es nicht. Im Mai, vor der Ausstellung in Bulgarien, schlug eine Welle des Hasses über den beiden zusammen. Staatspräsident Georgi Parvanov nannte das Projekt eine 'schlimme Provokation', weil es das Massaker leugne - ein Vorwurf wie ein Brandsatz."

SZ, 17.10.

Ernst-Robert Curtius und sein Schüler Karl Eugen Gass

In der FAZ schreibt Frank-Rutger Hausmann über den Briefwechsel zwischen dem Romanisten Ernst Robert Curtius und seinem Lieblingsschüler Karl Eugen Gass - und denkt über Lehrer-Schüler-Verhältnisse in der Wissenschaft nach: "Bedeutende Gelehrte machen die Fragen der Schülerschaft nur selten zum Thema. Darin könnte ein Stück Vater-Sohn-Komplex verborgen sein, vor allem bei solchen, die, wie Curtius, keine eigenen Kinder haben. Sein Bild von Schülerschaft war durch Goethe und Eckermann, Faust und Wagner geprägt, aber auch durch Stefan George. Bei Curtius Schüler zu sein, bedeutete im wahrsten Sinne, auserwählt zu werden und sich wissenschaftlich unterzuordnen, ohne dass man jedoch wie die Georgeaner die eigene Kreativität opfern musste."

FAZ, 17.10.


Philosoph Leszek Kolakowski feiert 80. Geburtstag

Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski feiert seinen 80. Geburtstag. In der FAZ gratuliert Christian Geyer: "Ein Blick auf ein paar seiner Buchtitel, die hierzulande zumeist bei Piper erschienen, zeigt, dass Kolakowskis Denken immer wieder auf die Grenzen des Denkens zurückkam, oder besser gesagt: dass es Kolakowski darum ging, überzogene Ansprüche des Systemdenkens, sei es marxistischer oder christlicher Natur, zurückzuweisen und so ex negativo zu bestimmen, was sinnvoll gedacht werden kann und was Ideologie bleibt."

FAZ, 23.10.

Bücher und Rezensionen

Im Deutschlandradio stellt Kirsten Dietrich einen Band vor, in dem sich Historiker und Theologen erstmals mit der Geschichte der Theologie im Dritten Reich beschäftigen. Sie staunt, dass das so lange gedauert hat: "Man mag es kaum glauben, dass es bis jetzt keine umfassende Untersuchung zur Rolle der katholischen Theologie in der NS-Zeit gibt. Und doch ist es so. Das hat nach Meinung der Herausgeber Dominik Burkard und Wolfgang Weiß vor allem zwei Gründe: Zum einen haben viele katholische Professoren bruchlos auch in der Zeit nach 1945 weiter unterrichtet - die Loyalität ihre Schüler und Schülerinnen ist deshalb ein ernstzunehmender Faktor."

Gleich zwei neue Bände des Literaturwissenschaftlers Peter von Matt bespricht Friedmar Apel in der FAZ. Einer ist dem Autor Elias Canetti gewidmet, der andere versammelt Aufsätze zur deutschen Literatur. Apel charakterisiert von Matt: "Peter von Matt will den 'guten Leser' in unentdeckte literarische Ländereien locken. Den Grenzübertritt macht er ihm leicht, aber er verspricht ihm dabei keine entspannte Reise und gibt ihm auch keine Gewähr, unbehelligt zu bleiben. Nicht nur unter Palmen kann sich die Wahrheit nämlich verwandeln und 'uns den Teppich unter den Füßen' wegziehen."

FAZ, 18.10.

Konferenzen und Tagungen

Herodot und die Mythen

Katharina Wesselmann informiert auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ über eine Oxforder Tagung, die dem nicht ganz unumstrittenen Vater der Geschichsschreibung Herodot gewidmet war: "Ende September wurde das Thema 'Herodotus and Myth' am Christ Church College in Oxford verhandelt. Die Problematik ist alt. Schon Thukydides grenzt sich ausdrücklich von Herodot ab und von dem, was er 'mythodes' nennt, 'legendenhaft'. Plutarch schreibt eine Philippika gegen den, wie er meint, unzuverlässigen und parteiischen Geschichtsschreiber. Der Satiriker Lukian schließlich verbannt Herodot in seinen Jenseitsschilderungen auf die Insel der Verdammten - als Lügner."

FAZ, 17.10.

Hitler darstellen

Andreas Kilb hat für die FAZ eine interdisziplinär mit Historikern und Filmwissenschaftlern besetzte Berliner Tagung zum Thema "Hitler darstellen" besucht, bei der es um Hitler-Repräsentationen in Film und Fernsehen ging. Vor allem eines machte die Tagung für Kilb sehr deutlich: "Aus den Bildermeeren des weltweiten digitalen Netzes führt kein Weg mehr in die alte Schriftlichkeit zurück. So wie die Datenbank dabei ist, die Bibliothek als Medium geschichtlicher Überlieferung zu ersetzen, wird auch die Erinnerung der Geschichtszeugen immer mehr vom geschriebenen Wort ins Visuelle wandern."

FAZ, 18.10.

Kritik an Israel

In New York befasste sich eine Konferenz mit den jüngsten Diskussionen um die sogenannte "Israel-Lobby" und jüdische Kritik an Israel. In der Welt informiert Hannes Stein über diese Tagung: "Der Literaturwissenschaftler Alvin Rosenfeld hat jüngst mit einem Essay für enormen Wirbel gesorgt, in dem er Texte solcher 'progressiver Juden' wie Noam Chomsky und Tony Judt analysierte […]. Er nutzte diese Konferenz, die von der Organisation 'Camera' veranstaltet wurde, dem 'Committee for Accuracy in Middle East Reporting in America', um klarzustellen: Es sei ihm dabei gar nicht um Kritik an Israel gegangen, sondern vielmehr um eine Haltung, die sich als Kritik an Israel nur maskiert."


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