Wissenschaftsjahr 2007 - 22.08. - 28.08.2007

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22.08. - 28.08.2007

Im Blickpunkt

Geschichte des Sports

Die Welt hat sich in ihrer Reihe "Stars treffen ihre Geistesgrößen" mit dem Fußballer Jens Lehmann und Christiane Eisenberg unterhalten, einer Historikerin, die sich in ihrer Habilitation mit der Geschichte des Sports in England und seines Transfers nach Deutschland beschäftigt hat. Eisenberg erklärt: "Sport entwickelte sich seit der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert überall auf der Welt gleichzeitig und gleichförmig. Internationale Beziehungen und globale Zusammenhänge spielten eine letztlich größere Rolle als nationale oder regionale Gegebenheiten. Das sind ein ungewöhnliches Entstehungsmuster und eine professionelle Herausforderung für eine Historikerin." Eisenberg erzählt aber auch, wie Italien versuchte, die Erfindung des Fußballspiels für sich zu reklamieren: "In Italien beispielsweise wurde unter Mussolini die Tradition eines alten florentinischen Ballspiels beschworen, das nun wirklich keine Kontinuität zum modernen Spiel hat, und seitdem heißt Fußball dort 'calcio'."

Themen der Woche

Lektüreszenen in der Literatur

In der NZZ schreibt der Literaturwissenschaftler Günter Stocker darüber, wie das Lesen in der Literatur dargestellt wird: "Was bringt Menschen dazu, stundenlang still zu sitzen oder zu liegen und auf einen gebundenen Stapel bedruckten Papiers zu schauen? Welche Vorstellungen, Gedanken und Gefühle sind damit verbunden, welche Bedeutung hat das Lesen von Büchern für die Einzelnen und für die Gesellschaft, und wie verändert sich all das im Laufe der Geschichte? Nicht nur Psychologie und Literaturwissenschaft, sondern auch Romane und Erzählungen setzen sich immer wieder mit diesen Fragen auseinander, besonders intensiv in Zeiten kultureller Umwälzungen. Die Literatur wirft freilich einen ganz spezifischen Blick auf das Bücherlesen und seine Geschichte, eröffnet einen Zugang zu Dimensionen der Lektüre, die der traditionellen Leseforschung verborgen bleiben."

Latein als Schatz der Kirche

FR und FAZ waren zugegen, als im Frankfurter Haus am Dom der Autor Martin Mosebach, der Philosoph Robert Spaemann, der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt und der Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards versammelt waren, um über Für und Wider der lateinischen Messe zu diskutieren. Besonders Spaemann erwies sich, wie Christian Schlüter in der FR berichtet, als flammender Verfechter des Unverständlichen: "Dass sich der Pfarrer beim Gebet von der Gemeinde abwende und zudem in Latein predige, verstärke den Verfremdungseffekt, weil man in dem, der da vorne spricht, nicht mehr das vertraute, menschliche Gesicht entdecke, sondern nur noch das vernehme, das durch ihn zur Gemeinde gesprochen werden soll: Gottes Wort. Gerade in dieser Hinsicht sei das Latein ein unermesslicher 'Schatz der Kirche'." Martin Mosebach wehrte, informiert Patrick Bahners in der FAZ, insbesondere historische Kritik ab: "Präzise legte Mosebach dar, weshalb die Form der Messe nur als alt zu denken ist und insofern durch historische Kritik nicht getroffen wird. Vollzogen wird das Opfer Christi, dem Priester und Gemeinde sich anschließen. "Ich trete hinzu und muss den Ritus als etwas von mir nicht Gemachtes erleben."

FAZ, 22.8.

Die deutsche Seele und die europäische Literatur

In der Welt-Kolumne "Kurzkes Kanon" denkt der Germanist Hermann Kurzke über "Madame Bovary" und das internationale Umfeld der deutschen Literatur nach: "Als Germanist ist man genötigt, große Mengen deutscher Literatur zu lesen, aber ist das nicht provinziell? Fontane in Ehren - aber natürlich gehören auch Raskolnikow und Anna Karenina, Vater Goriot und Emma Bovary, Niels Lyhne und Pisana, Oliver Twist und Hedda Gabler zur deutschen Seele. Man mag sie im Original lesen oder in Übersetzungen - es geht jedenfalls nicht ohne sie. Sich die Fachgrenzen von den Sprachgrenzen vorschreiben zu lassen, ist in gewisser Hinsicht borniert, denn immer war das Deutsche ein internationales Mischprodukt."

Historiale in Berlin

Die Historiale ist eine Berliner Veranstaltung, die historisches Wissen popularisieren will. Andreas Kilb berichtet für die FAZ: "Es saßen aber keine echten Preußen im Vortragssaal an diesem Abend, sondern nur dreihundert authentische Preußenfreunde, die gekommen waren, um sich von dem Historiker Laurenz Demps über die Stein- und Hardenbergschen Reformen aufklären zu lassen, deren Beginn sich in diesem Herbst zum zweihundertsten Mal jährt. (...) Demps' Vortrag war einer der Programmpunkte der diesjährigen 'Historiale', eines privat organisierten Festivals, dessen Veranstalter, die Buchhandlung 'Berlin Story' Unter den Linden, sich die Hebung des hauptstädtischen Geschichtsbewusstseins zum Ziel gesetzt hat."

FAZ, 27.8.


Von griechisch-römischen Meilensteinen

In einer kleinen Kolumne in der FR weist Arno Widmann auf einen Aufsatz des Althistorikers Werner Eck hin, in dem dieser "von den Meilensteinen an den Straßen der römischen Provinz Judaea [berichtet], in der seit den Diadochen bis ins erste nachchristliche Jahrhundert hinein Griechisch die Amtssprache gewesen war: Sie 'verwenden Griechisch - für die Angabe der Entfernung in Meilen; der Rest aber, das heißt fast der gesamte Text, steht in Latein - dieser Teil aber hat mit der praktischen Funktion des Meilenanzeigers nichts zu tun; er verkündet nur die Sorge des kaiserlichen Herrn um die Provinz.'"

Rückgang bei geisteswissenschaftlichen Professuren

Keinen Grund für übergroße Besorgnis sieht in der SZ Johann Schloeman im Rückgang geisteswissenschaftlicher Professuren in den letzten Jahren: "Gewiss sind einzelne der Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die der Deutsche Hochschulverband verbreitet hat, besorgniserregend - der Wegfall von 35 Prozent der Professuren bei den Klassischen Philologen, von 9,4 bei den Slawisten und 11,3 Prozent bei den Kleinen Fächern (und die gleichzeitige Zunahme von 'kulturwissenschaftlichen' Professuren um 20,8 Prozent) ist skandalös. Aber das bedeutet nicht, dass die Statistik es zuließe, das Dichter-und-Denker-Land insgesamt gegen das Land der Patente und Ingenieure auszuspielen. Denn erstens verweist man mit Recht darauf, dass einigen Reduktionen bei den Professuren übermäßige Aufblähungen des Apparats vorangegangen waren (...) Vor allem aber gebietet die Fairness auch denen, die nicht so gerne mit Zahlen umgehen, zu berichten, dass im gleichen Zeitraum Mathematik und Naturwissenschaften 4,3 Prozent und den Ingenieurswissenschaften 13,3 Prozent ihrer Professorenstellen - also mehr als den Geisteswissenschaften! - gestrichen wurden."

SZ, 23.8.

Der 1000. Studiengang - Neuere Fremdsprachen in Gießen

Knapp kommentiert Wieland Freund in der Welt ein historisches Datum fürs deutsche Universitätsleben: "Soeben wurde von der AQAS, der 'Agentur für Qualitätssicherung durch Akkreditierung von Studiengängen' der tausendste neue Studiengang in Deutschland, wie es heißt: 'zertifiziert'. Das Losglück traf die Justus-Liebig-Universität in Gießen, der Blumenstrauß geht an ihren Masterstudiengang Neuere Fremdsprachen und Fremdsprachendidaktik."

Bücher und Rezensionen

In der Welt feiert Thomas Speckmann die von dem Historiker Hartmut Kaelble verfasste Sozialgeschichte Europas, die viele erhellende Einsichten zu bieten hat: "Europa ist anders. Wie anders, wird einem erst bewusst, wenn man seine Sozialgeschichte liest. Aufgeschrieben hat sie Hartmut Kaelble in einem großen Wurf. Dem Berliner Historiker sind soziale Besonderheiten Europas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts besonders ins Auge gefallen. Als Erstes nennt er die Familie. Denn im Gegensatz zu außereuropäischen Ländern war die europäische Familie nach außen stark abgeschirmt. (...) Auch in der Struktur und Organisation von Arbeit ist Europa einen eigenen Weg gegangen. Die Erwerbsstruktur entwickelte sich in Europa schon im 19. Jahrhundert in besonderer Weise, da nur in Europa der Industriesektor der größte Beschäftigungssektor wurde und damit die Zahl der hier Beschäftigten besonders hoch war."

Restlos begeistert ist in der NZZ Hans-Albrecht Koch von Werner von Koppenfels' literaturgeschichtlicher Studie "Der andere Blick - Das Vermächtnis des Menippos in der europäischen Literatur": "Ob Tristram Shandy und sein Spiel mit der Zeit, ob die gelehrte 'Unterwelt der ironischen Fußnote' bei Rabelais oder Borges, die zum Buch ein zweites Buch in entgegengesetzter Richtung aus den riesigen Bibliotheken (ab)schreibt - ein Kapitel ist reizvoller als das andere. Die überaus reiche Textlandschaft, die Werner von Koppenfels vor Augen stellt, dürfte jeden Leser von ein wenig intellektuellem Tiefgang geradezu verlocken, erneut oder wieder einmal nach den Quellen zu greifen. Was kann Literaturgeschichte Besseres leisten?"

Konferenzen und Tagungen

Wikipedia und die Geisteswissenschaften

In der SZ berichtet Volker Breidecker von der Jahrestagung der Akademie der Wissenschaften in Mainz, die unter dem Titel ""W wie Wissen - Wikipedia und Geisteswissenschaften im Dialog" stand. Die Vertreter der Wissenschaft entdeckten dabei durchaus Ähnlichkeiten zwischen geisteswissenschaftlicher und wikipedianischer Wissensproduktion: "So grundlegend anders als in den netzweiten Workshops und Debattierclubs geht es aber in den Geisteswissenschaften auch nicht zu, weshalb man sich - wie der Mainzer Buchwissenschaftler Ernst Fischer in der abschließenden öffentlichen Podiumsdiskussion sagte - veränderten medialen Bedingungen der Wissenssicherung und Kanonbildung gegenüber öffnen sollte: Anders als in den Naturwissenschaften gebe es in den Geisteswissenschaften kein dauerhaft gesichertes Wissen, und als 'Diskussionswissenschaften' wiesen sie durchaus Analogien mit den Organisationsformen der Wikipedia auf."

Erstmals wurde auf der Tagung, wie der Tagesspiegel meldet, der Autor eines Wikipedia-Artikels mit der Zedler-Medaille ausgezeichnet – eine Auszeichnung, die künftig jährlich vergeben werden soll: "Die Medaille ist nach Johann Heinrich Zedler benannt, dessen Universallexikon zwischen 1732 und 1754 in mehr als 60 Bänden erschien. Sie soll 'herausragende Leistungen auf dem Gebiet der allgemein verständlichen Vermittlung eines wissenschaftlichen Themas' belohnen und ist mit 3000 Euro dotiert." Der Preis ging an den Autor und Übersetzer Josef Winiger für seinen Wikipedia-Artikel über den deutschen Philosophen Ludwig Feuerbach.

SZ, 28.8.


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