Wissenschaftsjahr 2007 - 31.10. - 07.11.2007

Springen Sie direkt: zur Hauptnavigation zu zusätzlichen Informationen





31.10. - 07.11.2007

Im Blickpunkt

Das "Corpus Coranicum" - zur Textkritik des Koran

Das textkritische Koran-Projekt "Corpus Coranicum", an dem gerade an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften gearbeitet wird, sorgt schon im Vorfeld der für das Jahr 2009 avisierten ersten Internet-Veröffentlichungen für einiges Aufsehen. Vor einem knappen Monat hatte Frank Schirrmacher in der FAZ auf das Skandalisierungs-Potenzial der Ausgabe hingewiesen. In ihrer Antwort in der FAZ beeilen sich die beteiligte Wissenschaftlerin Angelika Neuwirth und die beteiligten Wissenschaftler Michael Marx und Nicolai Sinaizu betonen, dass von einer "grundsätzlichen Unvereinbarkeit des Islams mit einer historischen Koranlektüre oder mit einer philologisch fundierten Aufarbeitung der koranischen Textüberlieferung" nicht die Rede sein könne. "Ganz im Gegenteil lassen sich in der islamischen Tradition durchaus entsprechende Ansätze ausmachen: Klassische Korankommentare fragen immer wieder nach den 'Offenbarungsanlässen' (asbâb an-nuzûl) einzelner Verse, und die islamische Literatur über abweichende Lesarten des Korantextes - gleichsam eine Art Textkritik avant la lettre - füllt Regale. Auch wenn unser Projekt an europäische Forschungstraditionen (vor allem auch an verschüttete deutschsprachige Wissenschaftstraditionen) anknüpft und in mancherlei Hinsichten andere Fragen als die islamische Koranexegese stellt, so steht es doch nicht in unaufhebbarer Gegnerschaft zur islamischen Koranrezeption."

In der FR kommentiert Arno Widmann, der auch eine in Potsdam einberufene Pressekonferenz besucht hat: "Dort erklärte Professor Angelika Neuwirth, die Leiterin des Projekts 'Corpus Coranicum - Textdokumentation und historisch-kritischer Kommentar zum Koran', dass es bei diesem auf 18 Jahre angelegten Projekt ganz bestimmt nicht um Politik, sondern um Philologie gehe. Es geht darum, die Entstehung und die Geschichte des Koran zu dokumentieren. Bei dieser Arbeit sind alle willkommen: Muslime, Christen, Juden, Heiden, Atheisten. Hauptsache, sie können Verweise, Varianten, irgendetwas, das den Text aufhellt, klarer macht, beisteuern. 'Wir sind', erklärte Yousef Kouriyhe den arabischen Fragestellern, 'weder Deutsche noch Araber, noch Christen, noch Muslime. Wir sind Forscher.' Dem fügte er ein radikal-philologisches Glaubensbekenntnis hinzu: 'Die Universalität des Textes ist keine Qualität des Textes, sondern der Tatsache, dass Menschen jahrhundertelang und fast überall auf der Welt mit ihm umgehen. Solange er eins mit Gott war, hatte der Text keine Geschichte.'"

FAZ, 6.11.

Themen der Woche

Exzellenzwettbewerb kontraproduktiv

Hans-Ulrich Gumbrecht, in Stanford lehrender Komparatist und im Exzellenzwettbewerb als Gutachter tätig, zieht in der NZZ eine vorläufige Bilanz des Wettbewerbs. Er hält es nicht für ausgeschlossen, dass das Streben nach Elite auf der anderen Seite den großen Trumpf der deutschen Hochschulen verspielt: "Der Ehrgeiz, endlich in der internationalen Arena zu strahlen - es gibt alljährlich ein in der Volksrepublik China erstelltes Ranking der '500 weltbesten Universitäten', wo deutsche Hochschulen nie unter den ersten fünfzig und nur selten unter den ersten hundert landen -, diese Ambition könnte an Deutschlands Universitäten ein Gefälle erzeugen, das bald die Qualität einiger Hochschulen - wie es in den Vereinigten Staaten der Fall ist - unter das bildungspragmatisch akzeptable Minimum fallen ließe."

Courbet und die Fotografie

In der NZZ schreibt der Kunsthistoriker Franz Zelger über die große Courbet-Ausstellung in Paris, unter anderem auch über das Verhältnis des Malers zur Fotografie: "Aufschlussreich sind die Beziehungen zwischen Courbets Bildern und solchen zeitgenössischer Fotografen wie Gustave Le Gray, Henri Le Secq und André Giroux (Landschaften) oder Julien Vallou de Villeneuve, Jacques-Antoine Moulin, Auguste Belloc oder Louis-Camille d'Olivier (Akte). Diese Vergleiche bilden eine aktuelle Ergänzung zu Eckhard Schaars Abhandlung 'Courbet und die Photographie' im Ausstellungskatalog 'Courbet und Deutschland' von 1978/79. Sie zeigen, dass Maler und Fotografen keine Konkurrenten waren, sondern dieselben Ziele verfolgten. Manchmal ersetzt die Fotografie sogar das wirkliche Aktmodell und hat somit an der Schöpfung von Courbets Sprache teil."

Zum Tod des Historikers Gerald D. Feldman

In der Süddeutschen hat der Historiker Jürgen Kocka einen Nachruf auf seinen Kollegen, den amerikanischen Deutschland-Historiker Gerald D. Feldman verfasst und bescheinigt ihm großen Einfluss: "Feldman war oft in Deutschland, doch blieb er der Universität von Kalifornien in Berkeley treu. Dort leitete er von 1994 bis 2006 das Zentrum für Deutschland- und Europastudien. Er hat eine ganze Generation amerikanischer Deutschland-Historiker ausgebildet. Seine Kompetenz und Energie, seine Ironie und seine Menschlichkeit werden sehr fehlen."

In der FAZ hält Andreas Platthaus fest: Feldmans "Unternehmensgeschichte der Deutschen Bank machte ungeachtet der Kritik in der deutschen Historiographie Epoche und provozierte etliche Firmen, deren Rolle im Nationalsozialismus gleichfalls sehr umstritten war, zur Finanzierung ähnlicher Bücher: Die Dresdner Bank, BASF, Degussa oder eben die Allianz wären hier zu nennen. "

SZ, 3.11.

FAZ, 5.11.

Bücher und Rezensionen

Als "standardsetzend" feiert Michael Jeismann in der FAZ eine Studie von Anton Holzer, in der dieser auf der Grundlage intensiver Archivarbeit die fotografische Darstellung des Ersten Weltkriegs in Osteuropa darstellt: "Holzer analysiert die Organisation der Bildpropaganda und zeigt, wie im Osten Menschen-Material und Maschinen wahrgenommen wurden. Ein faszinierendes Kapitel ist der 'Bewaffnung des Auges' gewidmet, in dessen Folge der Nacht- und Untertagekrieg zur Regel wurde. Die Telegrafie wird als Nervensystem der Kombattanten verstanden, die Fotografie mehr und mehr als Instrument der Aufklärung eingesetzt. Es geht darum, den Feind überhaupt sichtbar zu machen, seine Anwesenheit im Gelände 'zu lesen', eigentlich zu dechiffrieren."

FAZ, 5.11.

Ganz und gar begeistert ist Christian Geyer vom Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, dessen jüngstes Buch "Über das Zaudern" er in der FAZ hymnisch bespricht: "Joseph Vogl ist das leuchtende Beispiel dafür, dass selbst hinter der Berufsbezeichnung Kulturwissenschaftler (ja Medienwissenschaftler) eine Kanone stecken kann. Vogl ist so eine Kanone auf dem (Berliner) Lehrstuhl. Beinahe alle seine Sachen elektrisieren, haben thrill. Er findet immer wieder neue unverbrauchte oder in Vergessenheit geratene Module aus Literatur und Philosophie, mit denen er sich den Menschen versuchsweise zusammensteckt. [...] Der Versuch, mit 128 Seiten 'Über das Zaudern' wie nebenbei einen anthropologischen Entwurf hinzulegen, kann voll danebengehen. Kann Schmock und Schwurbel und Schlimmeres werden. Oder aber voll ins Schwarze treffen, wenn es ein Joseph Vogl ist, der mit dem Modul des Zauderns hantiert."

FAZ, 2.11.

Konferenzen und Tagungen

Schopenhauer und George

Ganz und gar monströs fand Arthur Schopenhauer die Homosexualität. Im George-Kreis dagegen war sie gang und gäbe. Wenn eine Tagung schon diesen beiden Figuren gewidmet ist, könnte sie sich doch diesem Spannungsverhältnis widmen. Die Tagung in Bingen, die Friederike Reents besucht hat, tat dies jedoch nicht: "Es verwundert daher, dass dieser 'Brennpunkt des Willens zum Leben', wie Schopenhauer den Geschlechtstrieb nannte, auf einer Gemeinschaftstagung der Schopenhauer- und der Stefan-George-Gesellschaft zur 'Schopenhauer-Rezeption um 1900 und im George-Kreis' fast völlig ausgeblendet wurde. Immerhin hatte Schopenhauer die Homosexualität zu einem philologischen Thema erklärt: 'Für gelehrte Leser bedarf es hier überhaupt keiner Belege: sie erinnern sich deren zu Hunderten: denn bei den Alten ist Alles voll davon'. Im rheinischen Bingen, der Geburtstadt Georges, wo man im hübschen Stefan-George-Haus tagte, nutzte man diese Steilvorlage nicht."

FAZ, 31.10.

Die Waffe als Instrument und Symbol

Ebenfalls in der FAZ berichtet Andreas Kilb von einer Berliner Tagung, die sich mit der Waffe "als Instrument und militärisches Symbol" beschäftigte. Unter anderem mit der Kalaschnikow: Die "Maschinenpistole des Sowjetsoldaten M. T. Kalaschnikow dagegen ist immer noch im Einsatz. Jedes Jahr tötet sie, wie Christian Müller (Hamburg) berichtete, mehr als eine Viertelmillion Menschen, vor allem in der Dritten Welt. In Afrika gilt sie als Zahlungsmittel, in Afghanistan wird sie auf Bildteppiche gewebt, und Terroristenführer jeglicher Couleur lassen sich gern mit ihr porträtieren. Nur in Deutschland hat sie nichts verloren. Denn die Maschinenpistole, die im berüchtigten Logo der 'Rote Armee Fraktion' erscheint, ist, anders als viele glauben, keine Kalaschnikow, sondern eine MP-5 der Firma Heckler & Koch. Auch beim Morden gehen die Deutschen einen Sonderweg."

FAZ, 31.10.


Springen Sie direkt: zur Hauptnavigation zum Seitenanfang