Wissenschaftsjahr 2007 - 18.07. - 24.07.2007

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18.07. - 24.07.2007

Im Blickpunkt

Universale Werte I

Der kantianisch inspirierte Philosoph Otfried Höffe erläutert in einem Essay in der Welt, warum universale Werte nicht westliche Werte sind und was den "Weltbürger" von heute ausmacht: "'Weltbürger' darf sich nennen, wer von den vielen Grenzen, die die Menschen trennen, vor allem die staatlichen, möglichst aber auch die ethnischen, sprachlichen und religiösen Barrieren relativiert. Keineswegs sucht er die einzelstaatlichen Demokratien zu überspringen, denn in ihnen ist die aktive Mitwirkung der Bürger noch am ehesten und vielfältigsten möglich. Im Gegensatz zu einem nationalistischen Staatsbürger hält er sich aber für übernationale Einheiten offen - für politische Gemeinschaften wie die Europäische Union und für eine globale Weltordnung."

Universale Werte II

In der Frankfurter Rundschau äußert sich zum selben Thema der in Chicago lehrende US-Philosoph Jason Hill. Auch er verteidigt den Kosmopolitismus gegen die Anhänger des Multikulturalismus und erläutert: "In der heutigen Welt geht es darum einen Weg zu finden, wie das Selbst, das wir vorfinden, resozialisiert werden kann. Dieses neue kosmopolitische Selbst hätte eine moralische Identität im Geiste der kosmopolitischen Tugenden. Indem es sich mit der ganzen Welt identifiziert und der Würde und Humanität jeder Person verpflichtet ist, würde es ethnische, rassische und nationale Loyalitäten durch kosmopolitische ersetzen. Vor allem wäre es eine Identität im Werden - eine verhandelbare Identität, die es der Subjektivität Anderer erlauben würde, bei der fortgesetzten eigenen moralischen Sozialisation eine Rolle zu spielen. Sie stünde in scharfem Kontrast zum statisch-geschlossenen ethnischen und rassischen Selbst."

Neue Spiegel-Serie: Größen der Geisteswissenschaften

Nun hat auch der Spiegel das Jahr der Geisteswissenschaften entdeckt und beginnt in der Ausgabe dieser Woche mit einer Serie zu den "Geistesgrößen" unserer Zeit. Im Einführungsartikel kündigt Malte Herwig an: "Vorgestellt werden Soziologen, Literaturwissenschaftler, Historiker, Philosophen - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die beispielhaft für eine neue Generation akademischer Gelehrter stehen." Zum Auftakt der Serie porträtiert Matthias Matussek, Leiter der Spiegel-Kulturredaktion, den in Berlin lehrenden Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus, der unter anderem aus kulturwissenschaftlicher Perspektive über evolutionstheoretische Grundlagen unserer Schönheitsempfindens nachgedacht hat. Matussek stellt den Wissenschaftler vor und zitiert auch dessen kritische Äußerungen zur Lage der Geisteswissenschaften in Deutschland: "'Die deutschen Geisteswissenschaftler', sagt er, 'haben international eine sehr gute Reputation, nur im eigenen Land sind sie vom öffentlichen Radar gerutscht.' Den biederen Effizienzkritierien der Wissenschaftsbürokratie kommen die Genom-Tüftler und Mathematiker und Atomphysiker besser entgegen als jene, die sich immer noch mit spekulativen Fragen der Ästhetik beschäftigen oder gar - wie Menninghaus - ganze Bücher schreiben, die allein von 14 Hölderlin-Versen handeln."

Spiegel, 23.7.

Themen der Woche

Des Widerstands gedenken

In der FAZ sprechen Philipp von Boeselager, der letzte Überlebende der Widerstandsbewegung des 20. Juli, und der Zeitgeschichtler Joachim Scholtyseck über die Bedeutung des Widerstands. Scholtyseck hält dazu fest: "Das zwanzigste Jahrhundert war das Jahrhundert der Ideologien, der Extreme. Man musste erst lernen, sich gegen diese neue Art von Diktaturen zu wehren. Und hierfür steht der Widerstand exemplarisch. Wenn man das Bewusstsein wachhält, dass unsere pluralistische Demokratie gegen alle totalitären Gefahren zu verteidigen ist, dann haben wir viel gewonnen. Das ist auch Aufgabe des zukünftigen Widerstandsgedenkens."

FAZ, 21.7.

Jahrestag der Ausstellung "Entartete Kunst"

Für die Welt hat sich anlässlich des 70. Jahrestags der Ausstellung "Entartete Kunst" Uta Baier mit dem Historiker Andreas Hüneke unterhalten. Der stellt fest: "Das mit der Bezeichnung 'entarteter Künstler' ist so ein Problem. Viele haben weiter ausgestellt, obwohl Arbeiten von ihnen in den Museen beschlagnahmt worden sind. Wir wissen von einem tatsächlichen Arbeitsverbot nur von drei Künstlern: von Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und Edwin Scharf. Die meisten Künstler durften weiterarbeiten, auch wenn sie vielleicht nicht mehr ausgestellt wurden."

Historikerpreis für Gerhard A. Ritter

Der Sozialgeschichtler Gerhard A. Ritter erhält den Deutschen Historikerpreis. Im Tagesspiegel würdigt ihn Armory Burchard: "Honoriert wird Ritters Lebenswerk - insbesondere sein Meisterwerk über die sozialen und gesellschaftlichen Folgen der deutschen Wiedervereinigung. 'Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats', 2006 bei C.H. Beck erschienen, ist die hochaktuelle Chronik eines Auslaufmodells, die sich aus Ritters Sicht tagtäglich weiterschreibt. 'Es gab diese großen historischen Brüche von 1918, 1933, 1945 und 1990, aber der Sozialstaat läuft noch immer auf der Schiene, die Bismarck gelegt hat', sagt Ritter heute." In der FAZ gratuliert Kilian Trotier.

FAZ, 23.7.

Wieder gelesen: Der letzte Mensch

In der NZZ-Serie zur Relektüre von Klassikern befasst sich diesmal der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider mit Mary Wollstonecraft Shelleys Zukunfts-Vision "Der letzte Mensch": "Die Bilder der Verheerungen, über die das Publikum um 1830 lachte, sprechen heute nicht nur Kinogänger an, sondern auch uns Zeitgenossen der Flutkatastrophen, Wirbelstürme und wachsenden Wüsten. Die von der paranoischen Imagination der Romantik beschriebene orbitale Verwüstung ist heute das Gipfel-Thema in Wissenschaft und Politik."

Harry Potter I: Aus christlicher Perspektive

Der in Freiburg lehrende Fundamentaltheologe Magnus Striet verteidigt Harry Potter gegen Kritik durch den Papst, der im Zauber-Universum Gott vermisst. Das Gespräch ist als mp3 im Deutschlandradio zu hören, Striets Argument wird auf der Website zusammengefasst: "In den Büchern könne Harry das Böse überwinden, weil er die Liebe seiner Mutter in sich spüre. So werde der Glaube transformiert, dass Gott selbst und nicht der Mensch das Böse besiegen könne. 'Allerdings muss man auch sagen, dass es ein genuin christliches Motiv ist, dass der Mensch - bestimmt von einer Liebe - in die Lage versetzt wird, Gutes zu tun.' Dies sei bei Harry Potter auch so, betonte der Religionsforscher."

Deutschlandradio Kultur, 21.7.

Harry Potter II: Medien-Hype

Im Interview mit der Welt sucht der Germanist Jochen Hörisch nach historischen Parallelen zur Aufregung um Harry Potter: "Wo es um inszenierte, erwartbare Aufregung geht, könnte man 'Harry Potter' vielleicht mit den Bayreuther Festspielen von 1876 vergleichen: Da kommt alles, was Rang und Namen hat, die Weltpresse ist dabei, die Stifte der Journalisten sind gespitzt - und jeder, der mitreden will, muss sagen, was er von dem Projekt Bayreuth und dem 'Ring der Nibelungen' hält."

Streit um Neandertaler

Julia Voss weist in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf einen Aufsatz zur Wissenschaftsgeschichte der biologischen Anthropologie hin, der demonstriert, wie sehr wissenschaftliche Deutungen angesichts desselben Ausgangsmaterials divergieren können: "Wie früh bereits der Streit um den Neandertaler die Wissenschaft spaltete, zeigt nun die Wissenschaftshistorikerin Konstanze Weltersbach von der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Verglichen hat Weltersbach das Bild, das zwei Forscher zwischen 1909 und 1911 vom Neandertaler entwarfen. Die Gegensätze könnten größer nicht sein. Der eine sah ihn als wilden Schlächter, der andere als Hausmann am heimischen Höhlenherd. Überraschend dabei ist, dass beiden Wissenschaftlern dasselbe Skelett vorlag." Erschienen ist der Aufsatz in "Verhandlungen zur Geschichte und Theorie der Biologie", Band 13 (2007).
FAS, 22.7.

Bücher und Rezensionen

Gleich drei Zeitungen haben in der letzten Woche Oliver Hilmes' "wissenschaftlich verankerte" (SZ) Biografie Cosima von Wagners besprochen. Die Urteile gingen dabei auseinander. In der FAZ lobt Holger R. Stunz: "Oliver Hilmes hat eine überzeugende, gut geschriebene Cosima-Biographie vorgelegt; die erste Lebensbeschreibung, in der nicht heimlich auf Richard Wagner geschielt wird. Stattdessen zeigt Hilmes, welchen Anteil Cosima Wagner daran hat, dass Bayreuth zur kulturellen Ikone geworden ist - sendungsbewusst und umstritten."  Wolfgang Schreiber betont in der SZ die Distanz des Historikers zu seinem Gegenstand: "Cosimas Bild bleibt auch bei Hilmes zwiespältig, der Autor steht ihrem Denken und Handeln kritisch gegenüber, ohne sie abschätzig zu beurteilen. Kühl beschreibt er ihre Lebensrealität sowie die Chemie ihrer Interessen und Gefühle."
Bernd Zegowitz' Urteil fällt in der FR recht ambivalent aus: "Eine Biografie Cosima Wagners hat Oliver Hilmes nun rechtzeitig zu den diesjährigen Bayreuther Festspielen vorgelegt, dafür viele unbekannte Quellen auf knapp 450 Seiten ausgewertet, er hat ein flüssig geschriebenes und detailreiches Portrait entworfen, das aber seltsam konturlos bleibt."

SZ, 21.7.

FAZ, 23.7.

In der FR würdigt Christian Schlüter den Versuch des Philosophen Axel Honneth, der in seiner Aufsatzsammlung "Pathologien der Vernunft" die Kritische Theorie in die Gegenwart retten will. Es treibe ihn dabei die durchaus berechtigte Frage nach der Popularisierbarkeit um: "Doch sieht er auch die Notwendigkeit, "theoretisch spröde Erklärungen rhetorisch mit Suggestionskraft' aufzupeppen. Gerade der 'kunstfertige Einsatz von Übertreibungen' sowie die 'Prägung eingängiger Kurzformeln' stelle die eigentliche Herausforderung der Gesellschaftskritik dar, denn sie wolle ja auch gelesen werden. Kapitalismus als Kathedrale, es gibt kein richtiges Leben im falschen, universeller Verblendungszusammenhang oder neue Unübersichtlichkeit: Das waren in der Tat herrliche Übertreibungen und Zumutungen. Jetzt müssten nur noch ein paar neue her."

Konferenzen und Tagungen

Städte als Augenzeugen

Von einer germanistischen Tagung der Universität Cambridge berichtet Markus Hesselmann im Tagesspiegel. Germanisten, Historiker und Vertreter anderer Disziplinen befassten sich mit dem Thema "In Evidence - Witnessing Cities and the Case of Berlin" (Erkennbarkeit - Städte als Augenzeugen und der Fall Berlin). Es sprach unter anderem der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser: Er "bewegte sich über die Grenzen seines Fachs hinaus und befasste sich mit der Insel Dommelwall im Seddinsee als Beispiel für einen Berliner Erinnerungsort. Der Gartenbauarchitekt Leberecht Migge, der unter anderem die Grünanlagen für die Berliner Großsiedlung Onkel Toms Hütte gestaltet hatte, versuchte hier in den frühen dreißiger Jahren seine Ideen vom Aussteigen und von der Selbstversorgung in die Praxis umzusetzen. Migge sei ein Urahn der grünen Bewegung, sagte Elsaesser, aber seine Ideen ließen sich auch gut in die Blut-und-Boden- und Volksgesundheits-Ideologie der Nazis einbauen."

Europäische Esoterik

Vor dem Beginn einer Tübinger Tagung zum Thema "Die Konstruktion von Tradition - Praktiken und Mythen der Überlieferung in der Europäischen Esoterik" hat Stefan Koldehoff für den Deutschlandfunk mit dem Germanisten Andreas Kilcher gesprochen. Dieser erklärt, was unter Esoterik zu verstehen ist: "Für uns, sagen wir mal, für die wissenschaftlichen Erforscher dieses Gebietes, ist es ein, ja, ein Konstrukt auch in gewissem Sinne, ein Sammelbegriff für alles, was zu tun hat mit nicht offiziellem Wissen seit im Grunde der frühen Neuzeit. Also, sprich, auch alles, was unter den Begriffen von Alchimie, Kaballa, Magie, Spiritismus, Theosophie, Okkultismus, und so weiter zu tun hat und die Filiationen bis in Anthroposophie und andere Formen auch moderner Esoterik."


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