Wissenschaftsjahr 2007 - 18.04. - 24.04.2007

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18.04. - 24.04.2007

Im Blickpunkt

Schriftsteller an der Uni – Wissenschaftler im Literaturbetrieb

Viel Beachtung in den Feuilletons finden zu Semesterbeginn Vorlesungen und Diskussionen, bei denen Schrifstellerinnen und Schriftsteller an Universitäten und Akademien zwischen wissenschaftlicher Theorie und literarischer Praxis vermittelten. Von zwei Poetikrunden in Mainz berichtet in der FAZ Richard Kämmerlings. Im Gespräch zwischen den Autoren Reinhard Jirgl und Karl-Heinz Ott und der Autorin Katharina Hacker wurde er dabei Zeuge eines "recht verstiegenen, mit philosophiehistorischen Exkursen gespickten Schlagabtauschs um die fortdauernde Gültigkeit des avantgardistischen Dogmas". Die zweite Runde befasste sich mit dem Thema "Religiöse Dichtung im 21. Jahrhundert?".

Auf großes Interesse stieß auch die Antrittsvorlesung für die Heiner-Müller-Gastprofessur der FU Berlin, die in diesem Semester der Schriftsteller Ilija Trojanow innehat. Für die Welt berichtet Wieland Freund: "Trojanow trug auch dazu bei, dass der frisch renovierte, in hellem Glanz erstrahlende Henry-Ford-Bau der FU einem an diesem Frühlingsabend ganz besonders historisch vorkam. Von 'Adornos asketisch weltabgewandtem Kunstideal', von einem 'ich-bezogenen Ästhetizismus' jedenfalls wollte Trojanow nichts mehr wissen: 'Ich kann mir keinen langweiligeren Stoff als das eigene Empfinden vorstellen.'"
Für die FAZ hat Andreas Kilb zugehört: "Trojanow, den Gert Mattenklott in seiner Einführung in eine Reihe mit Malraux, Koestler, Neruda und Erika Mann stellte, hatte seinem Vortrag nicht ohne Ironie eine echte Germanisten-Überschrift verpasst: 'Recherche als poetologische Kategorie'. In Wahrheit sprach sein Auftritt eine Einladung aus, den Hörsaal zu verlassen und sich auf das weite Feld des Lebendigen hinauszuwagen."

Anders herum laufen soll es im in Göttingen ins Leben gerufenen Promotionskolleg "Wertung und Kanon", das Literaturwissenschaftler durch Praktika mit dem literarischen Leben in Kontakt bringen will. Tilmann Lahme meint in der FAZ: "Wenn dieses Kolleg nicht als schräges, folgenloses Experiment endet, sondern mit einer Hinwendung zur Praxis in den Geisteswissenschaften Schule – Hochschule – machte, wäre einiges gewonnen."

FAZ, 21.4.2007 (Mainzer Poetikrunde)

FAZ, 23.4.2007 (Trojanow)

FAZ, 24.4.2007 (Promotionskolleg)

Themen der Woche

200 Jahre Phänomenologie des Geistes

In einer sehr umfangreichen Würdigung zum 200. Jahrestag ihres Erscheinens erinnert der Philosoph Volker Gerhardt in der Welt an Georg Wilhelm Friedrich Hegels "Phänomenologie des Geistes", die er als Begründung der Lebenswissenschaften der Moderne begreift: "Nur das Leben bringt 'Gestalten' hervor; nur das Lebendige kann aus der Zerstörung seiner eigenen Organisationen, neue erzeugen. Also muss auch das Leben als die bewegende Kraft der Geschichte angesehen werden, der Aufklärung und Wissenschaft, Religion und Kunst und natürlich auch die Geschichte der Freiheit zugehören. Das ist Hegels grundlegende Einsicht. Mit ihr stellt er das Denken noch entschiedener als Kant unter den Anspruch der modernen Welt."

Kritik an geisteswissenschaftlichen Max-Planck-Instituten

Eigentlich geht es in Jürgen Kaubes Artikel in der FAZ zunächst nur um die sich verzögernde Neubesetzung der Direktorenstelle am Frankfurter Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte. Die Kritik weitet sich aber unversehens ins Grundsätzliche. Zwar gebe es einzelne, hervorragend funktionierende Institute - "und doch ist die Frage nicht von der Hand zu weisen, ob die Max-Planck-Gesellschaft wirklich genau weiß, was sie mit den Geisteswissenschaften will. Und ob nicht der Mangel an Klarheit wie Phantasie bei ihrer Beantwortung mit dazu führt, dass sie so lange braucht, um sich im Einzelfall zu entscheiden."
FAZ, 18.4.2007

Historiker diskutieren deutsch-polnischen Dialog

Im brandenburgischen Schloss Neuhardenberg diskutierten deutsche und polnische Intellektuelle unter dem Titel "Passion Europa" über das Verhältnis Deutschlands und Polens und beider Nationen zu Europa. Für den Deutschlandfunk dokumentiert Martin Sander die Begegnung, an der unter anderem der Zeithistoriker Arnulf Baring und der Historiker Krysztof Pomian teilnahmen.

Mangelnde Qualitätssicherung bei Nachrichtenmedien

Zwei kommunikationswissenschaftliche Studien zum Qualitätsmanagement in Nachrichtenmedien stellt Stephan Russ-Mohl in der NZZ vor – sie kommen nicht unbedingt zu beruhigenden Ergebnissen: "Nur in 5 Prozent der Redaktionen bemüht man sich um ein ganzheitliches Qualitätsmanagement (Total Quality Management, TQM), in 95 Prozent aller Redaktionen ist 'jeder in seinem Bereich für Qualität zuständig'."
NZZ, 20.4.2007

Tod des Historikers René Remond

In der FAZ schreibt Jürg Altwegg einen Nachruf auf den Historiker René Remond: "Er war schon praktizierender Katholik, als das Gegenteil Mode war, blieb im Ton stets moderat und den Argumenten der Vernunft verpflichtet. Als Professor hat er zwei Generationen von Politologen und Journalisten geprägt. Sein Einfluss war so groß, dass er mit dem weiten geographischen Begriff einer 'Rémondie' zusammengefasst wurde."
FAZ, 21.4.2007

Bücher und Rezensionen

Mit leichter Verspätung – dafür aber gleich doppelt und umso kritischer - setzt sich die taz mit Joseph Ratzingers "Jesus von Nazareth"-Buch auseinander. Bert Rebhandl vermisst an dem Buch jeden Versuch, sich auf eine andere Logik und Sichtweise, als die der christlichen Exegese einzulassen: "Hier geht es nicht um eine Rede über das Christentum an die Gebildeten unter dessen Verächtern, sondern um privilegierte Teilnahme an der geistlichen Schriftlesung eines Mannes, der im Inneren des Vatikans über den großen Geheimnissen brütet: der Ratzinger-Code."
Robert Misik hält den Übergang von theologischen zu gesellschaftskritischen Argumenten für nicht besonders überzeugend: "Im Grunde fragt man sich, ob dieses Buch nicht ein einziges Dementi der behaupteten Sinn-Ressource Religion ist. Die Papstposition erweist sich jedenfalls nicht als besonders sinnstiftend. Eher frappiert die Diskrepanz zwischen der exegetischen Intellektualität von Ratzingers Bibellektüre und seiner appellativen Kapitalismuskritik."


Eine ganze Reihe von Neuerscheinungen zur von Hirnforschern ausgelösten Debatte um Willensfreiheit und Determinismus stellt in der FAZ Helmut Meyer vor. Zunächst hält er aber noch einmal fest: "Zuletzt war die altehrwürdige Determinismusthese von einigen Hirnforschern neurowissenschaftlich formuliert worden. Viel Aufwand brauchte es dazu nicht, oft nur das Missverständnis, dass man dem 'Geist' der philosophischen Tradition seine metaphysischen Mucken ausgetrieben habe, wenn man ihn gut materialistisch mit dem Gehirn identifiziert. Dann schien es manchen nur noch ein kleiner Schritt zur Widerlegung der Willensfreiheit im Laborversuch. Dass von einer solchen empirischen Widerlegung keine Rede sein könne, dürfte eines der klarsten Ergebnisse der jüngsten Debatten sein."
Im Deutschlandradio bespricht Susanne Mack Michael Pauens Buch zum selben Thema - Titel "Was ist der Mensch" – und resümiert: "Hier schärft ein Philosoph seine Begriffe an den Herausforderungen der modernen Hirnforschung. Die gute Nachricht für die bürgerliche Ethik: Kants Begriff der Freiheit ist nicht in Gefahr."
FAZ, 23.4.2007

In der FR bespricht Rudolf Walther Ernst Klees "Kulturlexikon zum Dritten Reich". Zwar versteht er nicht, warum der Autor auch Sportler oder Generäle aufgenommen hat, lobt aber: "Es ist ein Verdienst von Klees Lexikon, dass es sich bei der Bewertung solcher Lebensläufe nicht hinter vermeintlich wissenschaftlicher Objektivität und Neutralität versteckt, sondern mit pointierten Zitaten und scharfen Charakterisierungen ('Frontdichter') seine Position deutlich macht."

Trotz leiser Kritik sehr angetan zeigt sich in der NZZ Caroline Schnyder von Lyndal Ropers Studie "Hexenwahn. Geschichte einer Verfolgung":  "Eindrucksvoll ist auch die imaginäre Welt der Kunst und Literatur, die die Autorin durchstreift, von Hans Baldung Griens Hexendarstellungen - im Buch zusammen mit vielen anderen abgedruckt - über Goethes 'Faust' bis zu den Aufzeichnungen von 'Hänsel und Gretel' der Brüder Grimm. Auf diesem reichen Materialteppich entfaltet die Darstellung eine große, manchmal zu suggestive Kraft."

So verblüffend wie überzeugend findet Martin Krumbholz in der NZZ Wolfgang Matz' Essay "1857", der Gustave Flaubert, Adalbert Stifter und Charles Baudelaire als alles andere denn zufällige Zeitgenossen nebeneinander stellt – Krumbholz resümiert: Matz "hält sich nicht mit der heroischen Askese einer werkimmanenten Auslegung auf, sondern stürzt sich hinein in die raren Freuden und zahlreichen Aporien jener Lebensläufe, deren jeweiliger ästhetischer Ertrag in den zur Debatte stehenden Meisterwerken kulminiert."

Konferenzen und Tagungen

Das Phänomen paradoxaler Konvergenz

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ fasst der in Stanford lehrende Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht eine Tagung zusammen, die in Stanford stattfand und sich in interdisziplinärer Perspektive dem Thema "Konvergenz" widmete. Als hoch interessant erwies sich dabei das Phänomen "paradoxaler Konvergenz": "Paradox ist sie, weil sie inkompatible Phänomene oder inkompatible Wahrnehmungen gleichzeitig zur Erscheinung bringt. Dabei treten Kräfte auf, welche der primären Dynamik ihrer Bewegung entgegenwirken, und zwar umso intensiver, je mehr sich diese Phänomene dem Punkt ihrer potentiellen Begegnung nähern." Solche Gegenwirkungen lassen sich, wie Gumbrecht berichtet, sowohl im Nebeneinander von "Staatstotalitarismus" und "Kapitalismus" in China wie im Fundamentalismus beobachten: "Die heute am deutlichsten sichtbare Situation paradoxaler Konvergenz ergibt sich aus dem religiösen Fundamentalismus im Nahen Osten. In ihrem Glauben an die Aufklärung war die westliche Kultur bis vor kurzem davon überzeugt, dass die Spannung zwischen Juden und Muslimen bald in wechselseitiges Wohlwollen übergehen würde. Nicht nur ist diese Hoffnung heute längst geschwunden, selbst innerhalb des Christentums breitet sich ein Neu-Fundamentalismus aus, dessen Wirkungen durch unflexible Reaktionen mancher der liberalen Beobachter nur noch verstärkt werden."
FAZ, 18.4.2007

Thomas Mann und die Politik

In der FAZ fasst Edo Reents eine Tutzinger Tagung zum Thema "Thomas Mann, die Deutschen und die Politik" zusammen – und erlebte die Rehabilitierung des Autors als "Vordenker der Nation": "Thomas Mann tritt, nach dem Wegfall der ideologischen Lager und mit vertrauter Verzögerung in eine neue Phase seines Wirkens ein. Politisch dürfen wir ihn nun nicht mehr für unzurechnungsfähig oder minderbemittelt erklären, noch auch mit nachträglichen Ansprüchen überfrachten."

FAZ, 24.4.2007


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