Wissenschaftsjahr 2007 - 06.06. - 12.06.2007

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06.06. - 12.06.2007

Im Blickpunkt

Richard Rorty gestorben

Richard Rorty, einer der wichtigsten Philosophen der Gegenwart, ist im Alter von 75 Jahren gestorben. In der SZ finden sich ein langer Nachruf von Manfred Geier und ein kurzer, persönlicher gehaltener von Jürgen Habermas mit der Überschrift "Ein Philosoph, ein Freund, ein Poet". Habermas lobt freilich ganz ausdrücklich den Philosophen Rorty, der er mancher Selbstauskunft nach irgendwann gar nicht mehr sein wollte: "Das Handwerk der Profession beherrschte er perfekt. Im Duell mit den Besten unter seinen peers, mit Davidson oder Putnam, oder Dennett, war er stets auf der Höhe der subtilsten und scharfsinnigsten Argumente. Aber er hatte nicht vergessen, dass die Philosophie über den Einwänden der Fachgenossen nicht die Probleme vergessen darf, die aus dem Leben auf uns zukommen."


In der FAZ erinnert sich Hans Ulrich Gumbrecht, dessen Kollege an der Komparatistik-Fakultät der Universität Stanford Rorty als Emeritus war: "In der alltäglichen Nähe des verletzlichen, unendlich belesenen und manchmal in seinen Argumenten genialen Richard Rorty zu schreiben und zu unterrichten gab uns die ermutigende Gewissheit, in der Gegenwart von geistiger Größe zu sein."
Eine nicht unkritische Einschätzung von Rortys (post)philosophischem Werdegang bietet Christian Schlüters Nachruf in der FR: "Rorty verstand es wie kaum ein anderer, aus allerdürftigsten Ausgangsbedingungen ein kunterbuntes Potpourri aus streitbaren Anregungen, unterhaltsamen Einfällen und bissigen Auseinandersetzungen zu entfalten. Rorty war immer für eine Überraschung gut, sei es als Polemiker oder, was bei ihm nicht immer zu unterscheiden war, als Ironiker."
In der taz wird Rorty von Dirk Knipphals verabschiedet: "Vom Grübeln hin zum Handeln: Das ist die Wendung, die Richard Rorty insgesamt vorschlägt. Er regt dazu an, die Hoffnung aufzugeben, durch tiefes Nachdenken einen letzten Grund, eine unbezweifelbare Gewissheit zu finden, auf der man sein Handeln gründen könnte."
Der Nachruf der NZZ stammt von Uwe Justus Wenzel, der in der Welt von Wieland Freund und der der Berliner Zeitung von Helmut Mayer.

SZ, 11.6.
FAZ, 11.6.

90. Geburtstag Eric Hobsbawms

Kaum ein führendes Feuilleton hat es sich nehmen lassen, dem streitbaren linken Historiker Eric Hobsbawm zum 90. Geburtstag zu gratulieren.
Vorbehaltlos preist ihn Franziska Augstein in der SZ als einen der Großen seiner Zunft: "Hobsbawm schreibt so amüsant und luzide wie die größten seiner Vorläufer. In all seinen Schriften lässt er seine eigene Haltung durchblicken: herzliche Menschenfreundlichkeit, zunehmende Skepsis. Er ist nicht bloß objektiver historischer Registrator, er gibt bei allem, was er schreibt, etwas von sich hinzu. Das macht ihn zum Schriftsteller."
Sven Felix Kellerhoffs Würdigung in der Welt fällt eher zurückhaltend aus: "Seine Bücher sind in einem unorthodoxen Sinne materialistisch; viele Publikationen drehten sich um politische und industrielle Revolutionen, um Unterschichten und ihren Anteil an der Geschichte. Seine dreibändige Darstellung des 'langen' 19. Jahrhunderts zwischen 1789 und 1914, erschienen 1962 bis 1987, ist bis heute anregend, wenngleich man bei der Lektüre nie aus den Augen verliert, dass der Autor keineswegs 'objektiv' schreibt."
Patrick Bahners problematisiert in seinem Geburtstagsglückwunsch in der FAZ Hobsbawms kommunistische Überzeugung: "Der Kommunismus war in dieser Sicht eine Art Exzellenzinitiative zur Weltrettung. Man wurde Kommunist, weil etwas 'getan' werden musste. Es lag doch vor Augen, dass das bürgerliche System nicht 'funktionierte' - das bietet Hobsbawm noch heute als Rechtfertigung für das sowjetische 'Experiment' mit den Millionen Versuchsopfern an."

SZ, 9.6.
Welt, 10.6.

Themen der Woche

Bakunin und die Geheimgesellschaften

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ geht Lorenz Jäger der vielfachen Verstrickung des Revolutionärs Michail Bakunin in unterschiedliche Geheimgesellschaften nach: "Wer Bakunins Organisationsgedanken schildern wollte, käme auf das russische Muster der Puppe in der Puppe. Oft blieben diese Bünde reine Produkte von Bakunins Einbildungskraft, oder es wurden zu Werbezwecken Mitgliedsausweise vergeben, die phantastisch hohe Nummern trugen und so eine große Verschwörerzahl suggerieren sollten."


Der Kunsthistoriker als Techniker

In der SZ porträtiert Henning Klüver den Kunstwissenschaftler Maurizio Seracini, der hartnäckig nach dem Leonardo-Wandgemälde "La battaglia di Anghiari" sucht, das womöglich gar nicht mehr existiert: "Seracini entwickelte neue Methoden, setzte X-Strahlen ein und röntgte die Wände des riesigen Saales. Er konnte schließlich den genauen Ort des verschollenen Bildes bestimmen. (...) Eifersüchteleien von Geisteswissenschaftlern gegenüber einem Techniker mischten sich mit bürokratischen Hindernissen, die sich auch durch das geradlinige Verhalten Seracinis, der wenig von toskanischer Taktik hält, nicht so leicht überwinden ließen."

SZ, 8.6.


100 Jahre "Desmoiselles d'Avignon"

Der Kunsthistoriker Werner Spies erinnert in der FAZ an eine Geburtsstunde der Moderne in der Bildenden Kunst. Im Jahr 1907 malte Pablo Picasso seine "Desmoiselles d'Avignon": "Ohne die 'Demoiselles d'Avignon' hätte die Kunst schwerlich den Verlauf genommen, der uns inzwischen selbstverständlich erscheint. Es gibt nur wenige Zeugen der radikalen Wende, die sich damals im Atelier des Spaniers abspielte. Derain meint, man werde den Kollegen eines schönen Morgens erhängt hinter seinem großen Bild finden. Und Braque, mit dem Picasso wenige Monate später eine Seilschaft bilden sollte, die gemeinsam den Kubismus eroberte, argwöhnt, der Kamerad habe, um Feuer zu speien, Petroleum gesoffen."

FAZ, 9.6.


Clockwork Orange und die Zukunft von gestern

In der Reihe "Die Zukunft von gestern" liest der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider noch einmal Anthony Burgess 1962 erschienenen dystopischen Zukunftsroman "A Clockwork Orange" und stellt fest: "Die Welt, die aus den Erzählungen und Taten des kleinen abscheulichen Alex emportaucht, ist die in den sechziger Jahren vorausgeahnte Gegenwart Englands. Die Meldungen unserer Tage über Londoner Teenager-Gangs bilden das passende Nachrichtenprogramm zur erneuten Lektüre dieses Buchs, das auch in London spielt."

70. Geburtstag des Universalhistorikers Alexander Demandt

Mehrfach gratuliert wird dem außerordentlich produktiven und vielseitigen Universalhistoriker Alexander Demandt. In der SZ preist ihn Gustav Seibt: "Auch das ist im modernen Wissenschaftsbetrieb ja eine Spezialität, wenn auch die anspruchsvollste, die sich denken lässt: das Denken in Völkern, Reichen und Kulturen vom Anbeginn der Menschheit an."
In der FAZ rühmt ihn Uwe Walter: "Dem lauten Zirpen der Paradigmen und Großtheorien setzt Demandt bisweilen den altmodischen Aphorismus als Anstoß zur Einsicht entgegen. (...) Vor allem aber teilte und teilt er die reichen Früchte seiner Gedächtniskraft und Bildung gern mit dankbaren Hörern und Lesern."

SZ, 6.6.
FAZ, 6.6.


Tod des Filmtheoretikers Rudolf Arnheim

Im Alter von 102 Jahren ist der bedeutende Filmtheoretiker und Kunstpsychologe Rudolf Arnheim gestorben, der schon in den dreißiger Jahren richtungweisende Arbeiten vorlegte.
Daniel Kothenschulte erkennt Arnheim in der FR eine wichtige Vorreiterrolle zu: "Erst heute kommt man allmählich dorthin, wo Arnheim schon um 1930 angelangt war: Die 'Visuelle Kultur' in ihren eigenen Kontexten zu diskutieren. Besonders die Filmwelt hat in dieser Hinsicht noch immer Schwierigkeiten, zu erkennen, wo sie steht."
Auch Josef Schnelle hebt in seinem Nachruf im Deutschlandfunk hervor, Arnheim habe als einer der ersten Theoretiker erkannt, "dass in dem neuen Medium Kino nicht nur billiger Kintopp steckte - vielmehr auch eine neue Kunstform."

Bücher und Rezensionen

Ulrich Weinzierl zieht in der Welt eine Bilanz kurz vor der Fertigstellung der Kritischen Ausgabe der Werke Hugo von Hofmannsthals. Es handelt sich dabei nicht um irgendeine historisch-kritische Ausgabe, sondern "um eines der aufwendigsten Projekte der Editionsgeschichte. Doch ein Ende ist in Sicht: Das Werk im engeren Verständnis liegt in prächtigen Bänden abgeschlossen vor - all die Gedichte, Erzählungen und Dramen, die vollendeten und die weit größere Anzahl der Fragmente, die Ballette und Pantomimen und Operndichtungen mit insgesamt fast 18 000 Seiten."


Nach dem Studium der neuen Verlagsprogramme sieht Christian Geyer, wie er in der FAZ schreibt, die Philosophie groß im Kommen: "Die Philosophie nimmt zwischen den neuen Buchdeckeln einen geradezu frühlingshaften Aufschwung. In gleich mehreren Verlagen erscheinen neue philosophische Reihen mit herausragenden Editionen und fabelhaften Einzeluntersuchungen."
Als erster Band einer dieser Reihen, nämlich der "Studienbibliothek" im Suhrkamp-Verlag, ist Walter Benjamins "Kunstwerk"-Aufsatz erschienen, versehen mit Erläuterungen und Kommentaren. Henning Ritter nutzt, ebenfalls in der FAZ, die Gelegenheit, um über die Wirkungsgeschichte und den Klassikerstatus Walter Benjamins nachzudenken: "Die Geschichte der Benjamin-Rezeption, die bald internationale Dimensionen annahm, ist noch nicht geschrieben, ihre Antriebe sind weitgehend ungeklärt. Der Benjamin, den Gershom Scholem und Adorno porträtierten, verwandelte sich bald in den der Neuen Linken, die in ihm den Marxisten und den Gesprächspartner Brechts wiederentdeckten und die Spaltung der Person Benjamins bis ins Extrem trieben."

FAZ, 6.6.2007
FAZ, 11.6.2007

Konferenzen und Tagungen

Comic und Stadt – und der historische Ort des Comic

Über eine Berliner Tagung zum Thema "Comic und Stadt" berichtet in der taz Ekkehard Knörer. Nicht nur über Raumordnungen wurde dabei diskutiert, sondern auch über die historische Verortung des Comic im Kontext der Moderne. Bereits in Jens Balzers Eröffnungsvortrag wurde die historische Frage zentral: "Der Comic, so seine These, entsteht genau in dem Moment, in dem das Verhältnis von Schrift und Bild im abgebildeten Stadtraum nicht mehr klar definiert, eine eindeutige Unterscheidbarkeit nicht mehr gegeben ist. Exemplarisch führte Balzer das an einem Panel des erstmals 1895 als Sonntagsbeilage der Zeitung New York World erschienenen Comic-Strips 'Hogan's Alley' vor. Die Schrift dringt hier in den Bildraum ein, ohne dass man ihr einen Sprecher zuordnen könnte, sie fordert als Slogan an Wänden, ja sogar als in die Wolken gemalte Kritzelei den zerstreuten Blick des Flaneurs."


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