Wissenschaftsjahr 2007 - 19.09. - 25.09.2007

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19.09. - 25.09.2007

Im Blickpunkt

Was ist Germanistik?

Sehr kritisch sieht Jürgen Kaube in der FAZ den gegenwärtigen Zustand der Germanistik. Bei der Lektüre der Abstracts und Titel der Vorträge beim Germanistentag in Marburg drängt sich ihm jedenfalls die Frage auf, wo eigentlich das Erkenntnisinteresse des Fachs liegt: "Die Durchschnittsleserzahl des germanistischen Fachaufsatzes, erst recht der Dissertation ist ein nahe Eins schlecht gehütetes Geheimnis. Wozu der Beitrag etwas beiträgt, was also, horribile dictu, ein Fortschritt in der Germanistik wäre, erschließt sich nur schwer. Fortschritt, teilt mancher Fachvertreter mit, da stehen wir drüber, der Begriff ist längst 'dekonstruiert'. Doch wie unterscheidet man das Drüberstehen vom Nichtheranreichen? Als der Wissenschaftsrat 2006 in seinem Bericht über die Geisteswissenschaften darum bat, viele Fächer müssten sich stärker ihres Erkenntnisstandes versichern, berührte er ebendieses Problem. Es legt die einem großen Fach freundlich gesinnte Frage nahe: Was, wenn überhaupt etwas, ist Germanistik, wenn nicht Forschung?"
Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht Thomas Anz, der den diesjährigen Germanistentag organisiert, über das Verhältnis zu den Naturwissenschaften, äußert sich aber auch knapp und entschieden zum Nutzen der Germanistik: "Die Germanistik ist eine Grundschule der Teilhabe an gesellschaftlicher Kommunikation in deutscher Sprache. Wir bieten eine Ausbildung, die dazu befähigt, sich kompetent mit Texten deutscher Sprache auseinanderzusetzen – und sie auch selber zu schreiben. Das ist der gesellschaftliche Bedarf an der Germanistik."
FAZ, 22.9.


Plädoyer für die Orchideenfächer

Die in Frankfurt am Main lehrende Skandinavistin Julia Zernack hält in der FR ein Plädoyer für die gerne als "Orchideenfächer" abgetanen kleinen geisteswissenschaftlichen Diszplinen. In Zeiten von Effizienzforderungen und Beurteilung von Marktchancen sind sie stark bedroht - Zernack warnt vor den unabsehbaren Verlusten, die mit der Aufgabe solcher Fächer einhergehen: "Denn was wir einbüßen, wenn zum Beispiel Archäologie, Slavistik, Judaistik, Niederlandistik, Medizingeschichte, Onomastik, Baltistik [...]  geschlossen werden, ist weit mehr als die jetzt beschworene Vielfalt des Fächerspektrums. Es ist vor allem der unverwechselbare Beitrag, den jedes einzelne Fach in Forschung und Lehre zum Ansehen der deutschen Universitäten leistet. Ohne die Ägyptologie gäbe es, um nur dieses eine Beispiel zu nennen, Jan Assmanns einflussreiche Theorie vom 'kulturellen Gedächtnis' nicht."

Themen der Woche

Förderinitiative " Übersetzungsfunktion von Geisteswissenschaften"

Im Deutschlandradio spricht Bildungsministerin Annette Schavan über die im Jahr der Geisteswissenschaften lancierte Förderinitiative " Übersetzungsfunktion von Geisteswissenschaften", mit der die Zusammenarbeit zwischen Museen und Forschung unterstützt werden soll. Im Interview erklärt sie dazu: "Im Kern geht es darum, dass in den Depots unserer Museen viele Objekte stehen, die bislang nicht bearbeitet sind, sie sind katalogisiert, aber die Frage der wissenschaftlichen Arbeit, die Frage, wie können wir das, was an möglichen Erkenntnissen damit verbunden ist, war noch nicht beantwortet. Da setzten wir an: Zusammenarbeit der Museen mit Forschungseinrichtungen, Universitäten, außeruniversitären Forschungseinrichtungen soll helfen, Potenzial, das da ist, besser zu heben."


Wissenschaftsmanagement im Dritten Reich

Rüdiger Hachtmann, außerplanmäßiger Professor an der TU Berlin und Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, stellt im Tagespiegel seine Forschungen zum Wissenschaftsmanagement im Dritten Reich vor. Sein Resümee dieses dunklen Kapitels: "Wissenschaft und noch weit stärker das den Herrschenden ja viel nähere Wissenschaftsmanagement besitzen keine immanenten Mechanismen, die sie gegen eine barbarische Praxis immunisieren. Sie sind gegen die Indienstnahme durch autoritäre Regime nicht gewappnet und bedürfen der Kontrolle durch eine demokratische Gesellschaft, um gegen Anfechtungen wie die ab 1933 gefeit zu sein. Die Geschichte des Wissenschaftsmanagements der KWG [d.i. die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft] während des 'Dritten Reiches' ist deshalb ein Lehrstück, dessen Bedeutung weit über die NS-Zeit hinausreicht."
Tagesspiegel, 20.9.


Gründung der Berlin University Press

In der SZ annonciert Johann Schloemann die Gründung eines neuen Verlags. Obwohl der Name "Berlin University Press" mehr verspreche als der Verlag leisten will - zumal er auch mit keiner Universität etwas zu tun hat -, hält Schloemann das Unternehmen doch für sehr begrüßenswert: "Der deutschsprachige Verlag nimmt sich ein kleines Segment seiner angelsächsischen Namensvettern zum Vorbild, nämlich das aus der akademischen Welt hervorgehende, aber auf allgemeineres Interesse hoffende Sachbuch. Das also, was dort, bei den Vorbildern, unter 'general interest' läuft. Zumal die amerikanischen Häuser - wie Harvard, Yale, Chicago, Johns Hopkins und so weiter - haben in den letzten Jahren diese populärere Abteilung stark ausgebaut, als öffentlichkeitswirksames, oft auch aktuelleres Zusatzgeschäft neben der eigentlichen wissenschaftlichen Fachliteratur."
Helmut Mayer lobt in der FAZ das "anspruchsvolle und überlegte Konzept" des Verlags.
SZ, 21.9.
FAZ, 25.9.


Erinnerung an den  Schriftsteller und Philosophen Maurice Blanchot

Der französische Schriftsteller und Philosoph Maurice Blanchot hätte dieser Tage seinen 100. Geburtstag gefeiert. In der NZZ erinnert Felix Philipp Ingold an Blanchot: "Schreibend sei die 'Erfahrung des Dunkels' zu machen, 'darin das Dunkle sich gibt in seiner Dunkelheit', ließ Blanchot in den frühen 1960er Jahren seinen deutschen  bersetzer wissen. Dass Blanchot, 'der Dunkle', in seinem Namen die Helligkeit, die Weiße – 'la blancheur' –, mit sich führt, ist das ultimative Paradox einer Autorschaft, die durch Verdunkelung Erhellung schafft." Ingold wie auch Martin Saar, der in der FR über Blanchot schreibt, verschweigen die rechten Anfänge des Denkers nicht: "Als junger Publizist stand Blanchot in den dreißiger Jahren im Dienst verschiedener Zeitungen und Zeitschriften am rechtsextremen Rand des politischen Spektrums. Man kann erahnen, dass im antitotalitären Zug seines späteren politischen Engagements auch diese Erfahrung eingegangen ist."
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Der Romanist Harald Weinrich feiert seinen 80. Geburtstag

Der international renommierte Romanist und Sprachwissenschaftler Harald Weinrich feiert seinen 80. Geburtstag. In der SZ würdigt Thomas Steinfeld Leben und Werk des "großen Gelehrten: "Nachdem Harald Weinrich in München 1992 emeritiert wurde, trug es ihn fort, nach Paris, wo er am Collge de France, als erster Ausländer, für fünf Jahre den Lehrstuhl für romanische Sprachen und Literaturen innehatte. Da schrieb er das Buch, dessen Titel klingt, als enthalte es das Gegenprogramm zu der von ihm so geschätzten Mnemotechnik: 'Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens' (1997). Doch ebenso, wie Harald Weinrich im Vergessen das Potenzial des Schöpferischen, des Neuen freilegt, insistiert er darauf, dass es ein Vergessen ohne Erinnern nicht gibt. Um dieses Verhältnis zu illustrieren, kehrt er zurück zu Don Quijote, über den er 1954 promoviert hatte: Das Vergessen, sagt er, gleiche dem Pferd des Ritters von der traurigen Gestalt, das Erinnern aber dem Esel Sancho Pansas. Voran kämen sie beide nur gemeinsam."
In der FAZ gratuliert Helmut Mayer, der die altmodischen Tugenden vor allem des fürs nicht nur akademische Publikum schreibenden Autors Weinrich lobt: "Es sind Bücher von einer Eleganz, die mittlerweile fast altmodisch anmutet; so altmodisch, wie sich ein homme de lettre, der zu schreiben versteht, vor dem Hintergrund der akademischen  blichkeiten nun einmal ausnimmt. Gegen akademische Trockenheit ist Weinrichs Prosa jedenfalls gefeit, aber genauso gegen die Versuchungen vorgezeigter Originalität."
Im Tagesspiegel findet sich ein Geburtstagsporträt von Hans-Martin Gauger.

FAZ, 24.9.

SZ, 24.9.

Der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich wird 80

In seinem Gratulationsartikel in der SZ streicht Thomas Meyer den weit reichenden Einfluss Klaus Heinrichs als Wissenschaftler und als Person heraus: "Es gibt kaum eine Berliner Qualifikationsschrift zwischen 1964 und dem Ende der siebziger Jahre, die nicht in ihren Fußnoten die Formulierung 'So Klaus Heinrich in einer unveröffentlichten Vorlesung' stehen hätte. Daher entschlossen sich treue Schüler die 'Dahlemer Vorlesungen' zu edieren. Sie dokumentieren einen ebenso eigenwilligen wie konsequenten Denkstil. Stets darum bemüht, die Verklammerung zwischen Mythos, Religion, Philosophie und der Gegenwart zu halten, lesen sich Heinrichs Texte auch mehr als 30 Jahre nach ihrem Entstehen wie die subversivste Form bürgerlicher Entrüstung über die Zustände. Berlin war dafür der beste Ort."
Auch Cord Riechelmann betont in der FAZ das kritische Potenzial von Heinrichs Forschungen: "Die Frontstellung gegen die Philosophie war bei Heinrich zentral und eine Folge seiner Erkenntnis, dass in Mythen und Religionen ein greifbarerer Realismus am Werk war als in der Philosophie. Während etwa die Philosophie Fragen nach Konstruktionen von Geschlecht oder so etwas wie Emanzipation weitgehend ignorierte, lehrte Heinrich die Lektüre der Genesis oder der Schriften Sigmund Freuds die weitreichende Bedeutung der Geschlechterspannung."
SZ, 22.9.

Bücher und Rezensionen

Gleich eine ganze Reihe von neuen und neu aufgelegten Publikationen rund um die Entstehungsgeschichte des Koran nimmt sich der Islamwissenschaftler Tilman Nagel vor. Allerdings hält er die mit einigem Getöse publizierten Thesen des unter dem Pseudonym Christoph Luxenberg veröffentlichenden Forschers, der eine syro-aramäische Urschrift im Koran entdeckt haben will, für ebenso wenig satisfaktionsfähig wie Karl-Heinz Ohligs Suche nach einem nichttrinitarischen Christentum, das in Arabien überlebt habe. Gewiss, die Islamwissenschaft muss sich, so Ohlig, vom Koran als Verkündung einer Glaubenswahrheit läsen - aber nicht so: "Ältere, heute den Muslimen unwillkommene Stufen der Auslegung sind in der  Überlieferung verborgen; die Aufgabe der Islamwissenschaft ist es, sie aufzuspüren. Es ist keinesfalls so, als wäre dergleichen nicht unternommen worden oder als hätten derartige Bemühungen bislang zu keinerlei Überzeugenden Ergebnissen geführt. Es gibt sie durchaus, nur werden sie nicht in der Pose des Aufklärers präsentiert."
FAZ, 21.9.

Konferenzen und Tagungen

Zwanzig Jahre Musée d'Orsay

Peter Geimer berichtet in der FAZ von einer großen Tagung zum zwanzijährigen Bestehen des Musée d'Orsay in Paris: "Die Veranstalter nahmen das Jubiläum zum Anlass, neben einem Rückblick auf die Geschicke des Museums auch eine grundsätzliche Bilanz der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts zu ziehen. James Cuno, Direktor des Art Institute of Chicago, erinnerte an die lebhaften fachlichen Diskussionen, die das neue Museum vor zwanzig Jahren begleitet hatten. Die einen kritisierten die Isolierung der Werke aus ihren sozialen Kontexten, die anderen fanden im Gegenteil den Blick auf die Kunst durch ein Zuviel an Kontextualisierung verstellt. 'Melancholisch und mit Nostalgie' schaute Cuno auf diese Zeit zurück, in der die Neukonzeption eines Museums noch solche grundsätzlichen Debatten auszulösen vermochte."
FAZ, 19.9.

Soldatentod und demokratische Gedenkkultur 

Jens Bisky hat eine Tagung besucht, in der es um den Umgang mit dem Gedenken an gefallene Soldaten und auch um den Entwurf eines Soldatendenkmals des Münchner Architekten Andreas Meck ging. Bisky resümiert in der SZ: "Der 'Ulmer Verein', ein Verband kritischer Kunst- und Kulturwissenschaftler, sowie das Portal 'Zeitgeschichte online' hatten zu einer Tagung über 'Soldatentod und demokratische Gedenkkultur' geladen. Leicht konnte man dabei den Eindruck gewinnen, dass ein Unbehagen mit Mecks Entwurf lediglich artikuliert wurde, um die Auslandseinsätze der Bundeswehr zu kritisieren. Da aber Kunsthistoriker bisher vor allem geschwiegen haben und die Debatte über ein paar rasche Positionsbestimmungen kaum hinaus kam, wurde es dennoch ein interessanter Nachmittag."

SZ, 24.9


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