Wissenschaftsjahr 2007 - 30.05. - 05.06.2007

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30.05. - 05.06.2007

Im Blickpunkt

Beste Aussichten für Geisteswissenschaften?

Kaum Grund zur Klage gibt es derzeit für die Geisteswissenschaften. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls ein am Wochenende an der Berliner FU ausgerichteter Kongress zur "Internationalität der Geisteswissenschaften in einer globalisierten Welt". Wenn es Probleme gibt, dann vor allem in der Lehre, sonst aber können in Deutschland, wie Amory Burchard im Tagesspiegel referiert, die Geisteswissenschaften mit ihrer Situation mehr als zufrieden sein: "Im Jahr der Geisteswissenschaften geht es Philologen, Philosophen und Historikern in Deutschland richtig gut. Die Zahl von 5500 Professuren ist seit 1999 konstant. Die Geisteswissenschaften sind an den deutschen Universitäten in weltweit einmaliger Weise flächendeckend vertreten. Und acht von zehn deutschen Spitzenhochschulen sind nach dem Förderranking der Deutschen Forschungsgemeinschaft geisteswissenschaftlich ausgerichtet."

Ein klein wenig erstaunlich kann man es angesichts dieser phänomenalen Lage dann schon finden, dass in diesem Jahr - anders als noch im letzten - kein einziger Geisteswissenschaftler mit dem Heinz Maier-Leibnitz-Preis der DFG gefördert wird, dem wichtigsten deutschen Preis für Nachwuchswissenschaftler. In der FAZ stellt Christian Schwägerl die samt und sonders aus den Naturwissenschaften kommenden Preisträger und ihre forschungspolitischen Vorstellungen vor.

FAZ, 5.6.2007

Ausstellung zu Konstantin dem Großen

Viele Feuilletons befassen sich mit der großen Schau zu Kaiser Konstantin in Trier. Dirk Schümer erklärt in der FAZ, dass zur Verklärung des ersten Christen-Kaisers kein Anlass besteht: "Konstantin selbst, der neue Christus, ließ zwar einige heidnische Tempel abreißen und Kulte verbieten, pflegte aber weiter Gottkaisertum und Eingeweideschau, praktizierte mithin eine Religion, die Hartwin Brandt in seiner Biografie treffend als 'Christentum light' charakterisiert. Dieser Kaiser ließ sich vom Monotheismus darum überzeugen, weil ein unangefochtener Gott die Einpersonenherrschaft personifizierte. Und neben sich ließ dieser Autokrat, dessen Ästhetik sehr viel näher bei Stalin steht als bei Mutter Theresa, niemanden gelten."

Judith von Sternburg fasst in der FR die Konstantin-Deutung des wissenschaftlichen Leiters der Ausstellung zusammen: "Der Althistoriker Alexander Demandt, der gemeinsam mit dem Archäologen Josef Engemann die Ausstellung wissenschaftlich leitete, fasste die Gemengelage für die Journalisten vorab trefflich zusammen: Hier der Machtmensch, der dem wackelnden Reich eine lange Abendröte schenkte, Konstantinopel gründete, 313 sein Toleranzedikt vorlegte. Dort der Machtmensch, der einen 18-jährigen Bürgerkrieg führte, Andersgläubige halb ausgrenzte, halb diplomatisch einbezog, das so mühselig geschaffene Reich testamentarisch erneut teilte und damit weitere Kriege auslöste."

In der Welt bedauert Eckhard Fuhr eine gewisse Leidenschaftslosigkeit der großen Schau: "Die theologischen und historiografischen Leidenschaften, die sich an der Kaiserfigur entzündeten, sind allerdings weg kuratiert. Aus Geheimnis und Wunder wird wissenschaftlich kontrolliertes Nichtwissen, Glaubenserfahrung löst sich in Religionspolitik und blutige Raserei in Machtkalkül auf. "

Themen der Woche

Dan Diner über den Sechstagekrieg

Der in Jerusalem und Leipzig lehrende Professor für jüdische und moderne Geschichte Dan Diner findet in der NZZ, dass die Einschätzung des sich zum vierzigsten Mal jährenden israelisch-palästinensischen Sechstagekriegs von den zukünftigen Entwicklungen abhängt: "Nunmehr heißt es ja zu Gesprächen mit Israel; ja zur Anerkennung Israels; ja zum Frieden mit Israel. Dies freilich zum Preis seines Rückzugs aus den 1967 besetzten Gebieten, der Gründung eines palästinensischen Staates und der Lösung der Flüchtlingsfrage. Gelänge es, diese Chance zu ergreifen, dürfte sich auch so etwas wie Einvernehmen über die historische Bedeutung des Junikrieges 67 einstellen."

Das chinesische Nuo-Spiel

In der Reihe zum Jahr der Geisteswissenschaften hat der Tagesspiegel diesmal den Sinologen Wolfgang Kubin gebeten, aus der aktuellen Forschung seines Fachs zu berichten. Kubin informiert über Hintergründe und Wesenszüge des religiös inspirierten Nuo-Spiels: "Dieses Maskenspiel ist ein heute im Süden der Provinz Anhui wiederbelebtes religiöses Spiel, das eigentlich zu Neujahr, aber auch zum Frühjahr der Austreibung von bösen Geistern und der Bekämpfung von Seuchen diente. Es hatte seinen religiösen Höhepunkt zwischen der Han- (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) und der Tang-Zeit."

Glückwunsch für Winfried Barner

Der als Barock- und Lessingforscher hervorgetretene Germanist Winfried Barner feiert seinen siebzigsten Geburtstag. In der FAZ erinnert sich Gerhard Stadelmaier dankbar: "Seine überlaufenen Seminare waren schwafelfreie Oasen kritischer Sachlichkeit, gedanklicher Schärfe und intellektueller Distinktion."

FAZ, 2.6.2007

70. Geburtstag der Philosophin Hélène Cixous

In der Berliner Zeitung würdigt Sabine Rohlff die Dichter-Philosophin Hélène Cixous anlässlich ihres 70. Geburtstags: "Cixous' Arbeit bewegte sich von Anfang an zwischen Theoriebildung und Poesie, Philosophie und Literatur. Sie promovierte über James Joyce, verwob literarische und wissenschaftliche Schreibweisen, schrieb Romane und Theaterstücke, arbeitete mit Ariane Mnouchkines Théâtre du Soleil zusammen. Außerdem lehrte sie mit Michel Foucault und Gilles Deleuze am experimentellen Studienzentrum in Vincennes und gründete dort 1974 den europaweit ersten Studiengang für 'Etudes féminines'."

Zum Tod von James Beck

In der FAZ schreibt Henning Ritter zum Tode des amerikanischen Kunsthistorikers James Beck, der sich als Kritiker der Restaurierung der Fresken in der Sixtinischen Kapelle in seinem Fach viele Feinde gemacht hat. Ritter zeigt für die Reaktion der Fachkollegen wenig Verständnis: "Doch wenn man Ambition und Risiken ehrgeiziger Restaurierungsprojekte nüchtern einschätzt, kann man nur darüber staunen, dass so wenige kritische Stimmen sich erheben, wenn die Kunstwerke wie von Zauberhand in nie gesehenem Glanz erstrahlen. So ist es erstaunlich, dass ein ausgewiesener Kenner der Kunst der italienischen Renaissance so wenig Gehör fand und zu einem 'Fall' gestempelt werden konnte."

FAZ, 31.5.2007

Die Fliege in der Kunst

Auf den Geisteswissenschaften-Seiten der FAZ denkt Florian Weiland-Pollerberg über die Fliege in der Bildenden Kunst nach - und ihre Bedeutung: "Die real wirkende Fliege weckt beim Betrachter - denken wir an Cimabue - zunächst ganz automatisch den Reflex, sie verscheuchen zu wollen. Was bedeutet es nun, wenn der Betrachter die Fliege, die auf dem Oberschenkel des Jesuskindes sitzt, verjagen möchte? Im übertragenen Sinn verbindet der Maler mit seinem Trompe-l'oeil die Aufforderung an den Betrachter, selbst aktiv zu werden und die Sündhaftigkeit und das Böse, das vom Insekt verkörpert wird, zu bekämpfen, indem er die Fliege zu vertreiben versucht."

FAZ, 30.5.2007

Bücher und Rezensionen

Der emeritierte Germanist Hans-Jürgen Schings feiert in der FAZ die Wiederaufnahme eines aufgrund der deutschen Teilung lange suspendierten Projekts, nämlich "Die Entstehung von Goethes Werken in Dokumenten". Nach fast fünf Jahrzehnten Pause erscheint nun der dritte Band. Schings schwärmt: "Dass die EGW - die Sigle wird sich einbürgern - solche Rupturen überstand und jetzt nach einem halben Jahrhundert zu neuem Leben erwacht, grenzt an ein Wunder." Allerdings gibt es auch eine kritische Anmerkung: "Auf einem anderen Blatt allerdings steht, dass keine Akademie, keine Klassiker-Institution und keine der sonstigen Drittmittel-Verwalter das Patronat über die EGW übernommen hatte. Hat man dort überall Besseres zu tun?"

FAZ, 4.6.2007

Begeistert zeigt sich Cornelia Zumbusch in der SZ von Karen Michels' Biografie des Kunsthistorikers Aby Warburg mit dem Titel "Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen". Warburgs Bedeutung für die neuere Kunstwissenschaft skizziert Zumbusch wie folgt: "Das Interesse an dem Kunsthistoriker Aby Warburg stand in den vergangenen Jahren im Zeichen einer kulturwissenschaftlichen Wende der Geisteswissenschaften. Warburgs Aufmerksamkeit auf die Wanderungen von Bildern durch die Zeiten und Medien, sein Konzept eines kulturellen Gedächtnisses, seine Neubegründung der Ikonologie als breit angelegter Bildwissenschaft und nicht zuletzt seine Praxis einer disziplinenübergreifenden Kulturwissenschaft gaben über die Kunstgeschichte hinaus methodische Anstöße."

SZ, 4.6.2007

Konferenzen und Tagungen

Bespei die Säulensucht! Tagung über das moderne Griechenland

In der FAZ informiert Friederike Reents über eine Tagung, bei der sich Neogräzisten, Byzantinisten, Germanisten und Historiker über das moderne Griechenland unterhielten. Reents unterstützt das Plädoyer vieler Teilnehmer, die alles dominierenden Antike auch einmal in den Hintergrund treten zu lassen: "Dass das Griechentum der Kriegszeit wie der Gegenwart durchaus Eingang in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hält, zeigten in den letzten Jahren etwa Klaus Modicks Roman 'Der kretische Gast' oder Frank Schulzens dritter Teil der Hagener Trilogie 'Das Ouzo-Orakel'. Von deutscher Seite kann man den Griechen nur mit Benn empfehlen: 'Entrücke Dich dem Stein! Zerbirst die Höhle, die Dich knechtet! Bespei die Säulensucht!'"

FAZ, 30.5.2007

Kulturelles Erbe und Identität in Dresden

Ebenfalls in der FAZ referiert Gina Thomas eine von der Amerus-Stiftung organisierte Dresdner Tagung, auf der Historiker und andere Wissenschaftler und Intellektuelle über das Thema "Kulturelles Erbe und Identität" sprachen. Es gab dabei historische Bezüge, aber auch Gegenwartsperspektiven: "Jutta Scherrer legte dar, wie Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch das Pflichtfach 'Kulturologie' versucht, die Identität zu formen und ein sinngebendes Wertesystem zu vermitteln, dem im Unterschied zum sozialökonomischen Unterbau der kommunistischen Ära die Vorstellung von der 'Besonderheit' der russischen Kultur zugrunde liegt. Die Lehrer allerdings seien die gleichen, die einst Marxismus-Leninismus unterrichtet hätten, was Eric Hobsbawm zu dem ironischen Einwurf veranlasste, dass die neue Lehre der Kulturologie wohl ebenso wenig Wirkung zeigen werde wie die alte Sowjetologie."

FAZ, 30.5.2007

Fast alles ist Kommunikation

Als ganz außerordentlich unübersichtlich hat Stephan Russ-Mohl den Weltkongress der Kommunikationswissenschaftler in San Francisco wahrgenommen, wie er in der NZZ berichtet: "Es wird zunehmend schwierig, die Angebotsvielfalt oder auch nur die Entwicklungslinien des Fachs halbwegs zutreffend zu beschreiben. Verlässlich rapportieren kann man indes, dass sich die Kommunikationswissenschaften weiter differenzieren - bis hin zu ihrer Unkenntlichkeit, denn in postmodernen Gesellschaften ist offenbar alles Kommunikation, beziehungsweise Kommunikation ist (fast) alles."


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