Wissenschaftsjahr 2007 - 26.06. - 03.07.2007

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26.06. - 03.07.2007

Im Blickpunkt

Feministische Islamwissenschaft

In der Tagesspiegel-Reihe zum Jahr der Geisteswissenschaften stellt die an der FU Berlin lehrende Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer eine Kollegin vor, die sich um etwas bemüht, was für manchen im Westen nach der Quadratur des Kreises klingen mag: eine Koran-Auslegung, die die Gleichheit der Geschlechter islamisch begründet. "Omaima Abou Bakr ist Professorin für Englische Literatur, Kopftuchträgerin, zurückhaltend, freundlich, hartnäckig. Wie viele ägyptische Wissenschaftler lehrt sie an der Universität des Golfstaats Qatar. Ihr Anliegen: Geschlechtergleichheit islamisch zu begründen und so in ihrer Gesellschaft zu verwurzeln, die säkularistischen Positionen derzeit keine Chance lässt. Das bedingt für sie die Kritik an einer von Männern dominierten Koranauslegung, die Suche nach historischen Rollenvorbildern sowie – mit Abstand die schwierigste Aufgabe – eine Lektüre des Korans im Lichte der Grundwerte der Gleichheit und Gerechtigkeit."

documenta 12: Rolle rückwärts von der Kunsttheorie zur Bildtheorie

Eine Trendwende der Theorie erkennt der Kunstwissenschaftler Beat Wyss im kuratorischen Konzept der documenta 12. Er beschreibt sie in einem Aufmacher-Artikel der SZ wie folgt: "Der Diskurs der Postmoderne in den frühen neunziger Jahren war die letzte Theorie gewesen, die bildende Kunst wirklich als Bildphänomen behandelte. Es folgte ein gutes Jahrzehnt lang das theoretische Protektorat, zusammengesetzt aus Soziologie und Literaturwissenschaft, methodisch unterfüttert im Geist von Poststrukturalismus und Postkolonialismus. Deren Thesen ließen sich immer nur allegorisch auf die sichtbare Ebene des Kunstwerks übertragen. Buergel hat damit Schluss gemacht. Die Documenta 12 besiegelt das Ende praktizierender Kunsttheorie. Die Rückkehr zur vergleichenden Bildbotanik, wie es die deutsche Kunstgeschichte von Riegl, über Wölfflin zu Warburg hervorgebracht hat, ist ein Abschied von Theoriehybriden aus Lacan, Foucault und Derrida, die zu zitieren kein Katalogtext müde geworden war. Jetzt weht uns Hegels Weltgeist wieder ganz unverstellt an, ohne dekonstruktive Verfremdungen, in seiner ganz schwäbischen Skurrilität und Behäbigkeit."

SZ, 3.7.

Themen der Woche

Warum kommen die erfolgreichsten NS-Forscher aus dem angelsächsischen Raum?

In der SZ stellt sich Jörg Später die Frage, warum so viele der wichtigen und erfolgreichen historischen Arbeiten zur NS-Zeit aus dem angelsächsischen Raum kommen. Er hat mit dem deutschen Historiker Ulrich Herbert gesprochen, der betont, dass der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck, es werde in Deutschland viel zum Thema geforscht, durchaus nicht zutrifft: "Es bestehe eine Diskrepanz zwischen geglaubtem und tatsächlichem Wissen. Öffentlichkeit werde mit Wissenschaft verwechselt: Wegen der Überpräsenz in den Medien glaube man, der Nationalsozialismus sei erforscht. Doch davon könne keine Rede sein: In Deutschland gebe es nur vier oder fünf Lehrstühle, die von NS-Spezialisten besetzt sind, in vielen Fällen seien 'gute Nachwuchsforscher gerade wegen des NS-Themas nichts geworden' oder in die USA oder nach Großbritannien gegangen."

SZ, 29.6. 

Die Sache der Stimmung

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ denkt der in Stanford lehrende Komparatist Hans Ulrich Gumbrecht über ein für den gewöhnlichen Leser wichtiges, von der Literaturwissenschaft gerne übersehenes Element der Lektüreerfahrung nach: die Stimmung. Und er fragt, wie eine Wissenschaft aussähe, die das Phänomen ernst nimmt: "Theorien der Kommunikation oder Methoden der Analyse müssten dieser Dimension gegenüber eigenartig disproportioniert wirken, da sie auf das, was die Texte substantiell zu bieten haben, immer nur mit abstrahierenden Höhenflügen antwortet. Eigentlich kann der Interpret nur aus der Erfahrung seiner eigenen Lektüre auf das Stimmungspotential der Texte verweisen."

FAZ, 27.6

Historisches Wörterbuch der Philosophie nach vierzig Jahren abgeschlossen

Mit dem Erscheinen des Registerbands ist ein längst unverzichtbares Lexikon-Werk vollendet – das von Joachim Ritter begründete "Historische Wörterbuch der Philosophie". Aus diesem Anlass wurde am Publikationsort Basel gefeiert. Für die SZ war Oliver Müller dabei, der auch noch einmal das Konzept des Werks erläutert: "Die Begriffsgeschichte wurde damals als eigenständige Disziplin etabliert, sie sollte sich nicht in 'gelehrter Philologie der Fachwörter' erschöpfen, sondern 'integraler Bestandteil der Philosophie selbst' sein, da erst die 'geschichtliche Wirksamkeit' des Begriffsgebrauchs ein umfassendes Verständnis erlaube - so heißt es in dem langen programmatischen Eintrag 'Begriffsgeschichte' im ersten Band des HWPh von 1971."

SZ, 28.6.

Das Inzestverbot als Fundament der Symbolischen Ordnung

In der FR erläutert die Literaturwissenschaftlerin Susanne Lüdemann, warum das Inzestverbot nicht ein Verbot unter anderen ist, das man im Zuge emanzipatorischer Liberalisierung einfach abschaffen könnte. Was beim Inzest nämlich in Wahrheit auf dem Spiel stehe, das sei die Gesamtheit der symbolischen Verwandtschaftsordnung: "Es geht aber um ganz etwas anderes, nämlich darum, grundlegende kulturelle Unterscheidungen wie die zwischen Liebe und Sexualität, zwischen Familie und Gesellschaft, zwischen Nähe und Distanz und schließlich auch zwischen den Generationen aufrecht und intakt zu halten. 'Inzest' heißt logisch gesehen nämlich nichts anderes, als diese Unterscheidungen aufzugeben und sie damit auch für die kulturelle Orientierung des Einzelnen unbrauchbar zu machen."

Königin Hapschesut identifiziert

Dank DNA-Analysen scheint jetzt festzustehen, dass es sich bei einer bereits 1903 gefundenen Mumie um die legendäre ägyptische Königin Hatschepsut handelt. In einem Artikel in der Welt berichtet auch von den Versuchen ihrer Nachfolger, die weibliche Herrscherin aus den Annalen zu tilgen: "Nach ihrem Ableben löschte Thutmosis III. den Namen seiner Stiefmutter aus den Königslisten, ließ aber ihren Rang als königliche Gemahlin zunächst unangetastet. Erst Jahre später begann mit der Zerstörung ihrer Statuen die damnatio memoriae. Nicht aus Hass oder persönlicher Rache handelte Thutmosis, sondern weil es darum ging, schreibt der Ägyptologe Hermann A. Schlögl, 'die gesetzmäßige Weltordnung wiederherzustellen'. Frauen durften einfach nicht herrschen. Es sollten noch Jahrtausende vergehen, bis sich das änderte."

Vortrag Homi Bhaba

In München hielt der Literaturwissenschaftler und Vordenker der Postcolonial Studies Homi K. Bhaba einen Vortrag über Globalisierung und Ambivalenz. Für die taz berichtet Margret Fetzer: "In seinem Münchener Vortrag macht sich Bhaba daran, die derzeit geltende Opposition zwischen Säkularismus und Fundamentalismus, zwischen Zivilisation und Barbarei, zu dekonstruieren. (...) Das, wovon wir meinen, dass es uns am fernsten liege, kommt also tatsächlich aus uns selbst. Fundamentalismus und Obskurantismus mögen als überkommen und verfehlt gelten - und doch sind sie nur ein anderer Aspekt der Moderne, die dunkle Seite der Aufklärung, untrennbar mit ihr verbunden."

Walter Laqueur über die Unvermeidlichkeit des Anti-Amerikanismus

Der in Washington lebende Historiker Walter Laqueur antwortet in der Welt auf Louis Begley, der den europäischen Anti-Amerikanismus beklagte. Laqueur verweist vor allem darauf, dass Supermächte, historisch gesehen, sich selten großer Beliebtheit erfreuen: "Und Großmächte waren nie beliebt. Das römische Imperium beruhte eher auf dem Grundsatz: 'oderint dum metuant' - 'mögen sie uns nur hassen, solange sie uns fürchten' -, als auf einer soft policy und der Betonung von Freundschaft. Wenn es Probleme zu lösen gab, so schickten die Römer ihre Legionen und nicht ihre Kulturpolitiker. Dasselbe gilt für Großreiche der späteren Zeit, für Byzanz und das Ottomanische Reich, für Spanien, England und die Sowjetunion."

Preisrede von Silvia Bovenschen zur Verleihung des Ernst-Robert-Curtius-Preises

Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen erhält in diesem Jahr den Ernst-Robert-Curtius-Preis. In ihrer in der FAZ abgedruckten, für die Essayistin Bovenschen typischen Dankesrede erinnert sie sich an den einstigen Curtius-Assistenten und späteren Suhrkamp-Lektor Walter Boehlich: "Wir sprachen nie über Ernst Robert Curtius. Er sprach oft über Ernst Robert Curtius. Soll heißen: Wir tauschten nie Meinungen über den Wissenschaftler Curtius aus. Er aber, Walter Boehlich, der mich in diesem Fall nie zu einem Urteil provozierte, erzählte oft und gern von dem privaten Umgang mit seinem Lehrer, ja, er liebte es, das war zu spüren, sich in dieser Weise an seinen Lehrer zu erinnern."

FAZ, 30.6.

Bücher und Rezensionen

Der Schweizer Literaturhistoriker Alois M. Haas nimmt für die NZZ die in der Schweiz neu erschienene Bibelübersetzung zum Anlass, die Geschichte deutschsprachiger Bibelübersetzungen Revue passieren zu lassen: "Die deutschsprachigen Kulturen stellten im Rahmen der Übersetzungsgeschichte der Bibel einen Sonderfall dar. Auch in karolingischer Zeit, da die Missionierung der germanischen Stämme sich der Volkssprache zu bedienen begann, galt die deutsche (sprich: fränkische) Sprache als ungehobelt, grobschlächtig und feinerer Ausdrucksnuancen unfähig. Dass sie das Monopol der drei 'heiligen' Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein durchbrechen und selbst Trägerin der Heilsbotschaft werden könnte, schien undenkbar."

Konferenzen und Tagungen

Proust-Gesellschaft beschäftigt sich mit Prousts Briefen

In Münster tagte die Proust-Gesellschaft und diskutierte, wie Patrick Bahners für die FAZ berichtet, über den Stellenwert der Briefe für Prousts Leben und Werk: "Es waren in Münster die deutschen Referenten wie Rainer Warning (München) und die junge Münsteraner Racine-Expertin Pia Claudia Doering, die Prousts Briefe als Kunstprodukte nach allen Regeln der französischen Klassik auseinandernahmen, während französischsprachige Vortragende in romantischer Manier ein unausgedrücktes Unbewusstes hinter den Formen als letzten Gegenstand der Interpretation vermuten wollten."

FAZ, 30.6.

Vom Stand der Naturphilosophie

Ebenfalls in der FAZ informiert Ernst Horst über eine Münchner Tagung, auf der zwölf Naturphilosophen über den gegenwärtigen Stand der Naturphilosophie nachdachten. Horst resümiert mit Negativbestimmungen: "Zum Abschluss noch drei Charakterisierungen ex nagativo? Was will sie [die Naturphilosophie] nicht sein? Zuckerguss (Klaus Mainzer). Populäres Nacherzählen (Holger Lyre). Schießpulver für die theologische Kanone (Christian Kummer SJ)."

FAZ, 28.6.

Über die (Un)Möglichkeit eines jüdisch-muslimischen Dialogs

Eine Tagung auf Schloss Elmau zum Thema "Der Islam aus jüdischer Sicht – das Judentum aus islamischer Sicht" wurde von den Feuilletons recht aufmerksam beobachtet. Angela Schader informiert die Leser der NZZ über Schwierigkeiten beim Dialog: "Wie schlecht es dagegen in der Gegenwart sogar auf akademischer Ebene um den Austausch zwischen Muslimen und Juden bestellt ist, führte der an der King Saud University in Riad lehrende Saad al-Bazei aus. Wo die Auseinandersetzung mit einem europäisch-jüdischen Denker - etwa Spinoza, Freud, Derrida - schlechthin unumgänglich sei, versuche man in der arabischen Welt, dessen jüdischen Hintergrund nach Möglichkeit auszublenden; das Wort 'jüdisch' provoziere so irrationale wie unselige Abwehrreflexe. Ebenso fehle aber auch auf jüdischer Seite die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit arabischem Geistesleben; und leider schien die Veranstaltung da und dort dieses Defizit widerzuspiegeln."

In der FAZ schreibt Oliver Jungen: "Die Beiträge zum islamischen Blick auf das Judentum überwogen. In umgekehrter Richtung wurde eher auf Historisches zurückgegriffen, auf den mittelalterlichen Philosophen Moses Maimonides etwa, dessen Begeisterung für den persischen Gelehrten Alfarabi allerdings kein Geheimnis ist."

FAZ, 2.7.


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