Wissenschaftsjahr 2007 - 21.11. - 27.11.2007

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21.11. - 27.11.2007

Im Blickpunkt

Qualitätsstandards in den Geisteswissenschaften

An der Berliner Humboldt-Universität wurde über einheitliche Qualitätsstandards in den Geisteswissenschaften diskutiert - bei aller Einigkeit in Grundsatzfragen offenbar durchaus kontrovers, wenn es um Folgerungen ging.

In der Berliner Zeitung referiert Bert Hoppe einige Argumente: "Die Frage, wie sich diese Qualitätsstandards in der Praxis auch gerecht und objektiv messen lassen, wusste niemand so recht zu beantworten. Immer wieder kreiste die Diskussion um die Zitationsindizes, mit denen gezählt wird, wie häufig ein Autor von anderen Wissenschaftlern zitiert wird. Wer häufig zitiert wird, so die Grundidee, muss wohl wichtig sein. Demgegenüber äußerte Hubert Markl, der langjährige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und von Hause aus Biologe, Zweifel an diesem Instrument, da es doch nur gewissermaßen die 'Einschaltquote' einer Publikation registriere, ohne wirklich deren Inhalt zu bewerten."

Am (selbst)kritischsten äußerte sich der Historiker Ulrich Herbert, wie Joachim Güntner in der NZZ berichtet: "Der Historiker Ulrich Herbert gehört zu jenen, für welche der Mangel an Qualität in den Geisteswissenschaften nicht bloß Produkt übler Nachrede, sondern eine ausgemachte Sache ist. Manche universitäre Abschlussprüfung erreiche nicht einmal das Niveau von Abiturprüfungen, polemisierte er in Berlin. Den Geisteswissenschaften fehle es überall an kanonischem Verständnis: Weder über ihre Leistungsmaßstäbe noch über ihre Gegenstände seien sie sich klar. Die Diversifizierung der Sujets und Methoden habe Subdisziplinen geschaffen, die bloß noch im eigenen Saft kochten."

Im Tagesspiegel zitiert Eva Maria Götz einen, der es mit Entscheidungen über Fördernswertes zu tun hat: "Manfred Niessen, Leiter der Fachgruppe Geistes- und Sozialwissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), meinte, die Geisteswissenschaften hätten durchaus Qualitätskriterien, an denen sich die DFG bei ihrer Drittmittelvergabe auch orientiere: Da gehe es um 'einen methodisch soliden Ansatz, eingebettet in den relevanten Stand der Literatur, belastbar in den Ideen und das nach einer Urteilsbildung der Besten in den Fächern'".

Und in der SZ verweist Jens Bisky auf unterschiedliche Voraussetzungen geisteswissenschaftlicher Arbeit: "Es gibt aber doch einen [Unterschied], wenn er auch nicht 'science' von 'humanities' scheidet, sondern große von kleinen Fächern. Der Rektor des Wissenschaftskollegs, Luca Giuliani, behauptete, dass er, wenn es etwa um das Wunderwerk des Parthenon ginge, nach etwa vier Monaten die gesamte einschlägige Literatur gelesen haben könne. Wer dagegen das menschliche Immunsystem erforsche, müsse täglich mit Dutzenden neuen Aufsätzen rechnen. Da braucht es Auswahlkriterien. Bibliometrische Verfahren helfen, annähernd den Überblick zu behalten."

SZ, 24.11.

Themen der Woche

Archäologische Sensation: Romulus-Höhle entdeckt

Eine Sensation wird aus Rom vermeldet: Archäologen haben mit großer Wahrscheinlichkeit die mythische Höhle des Romulus, Gründungsstätte des antiken Rom, entdeckt. In der FAZ informiert Dieter Bartetzko: "So spricht vieles dafür, dass die Archäologen wirklich unterhalb dieser Hütten jene Grotte gefunden haben könnten, der das antike Rom als seiner Keimzelle huldigte. Ehe die Freilegung beginnt, soll nach dem einstigen Eingang der 'Lupercale' gesucht werden. Egal, ob er gefunden wird, gleichgültig, ob die Grotte archaischen oder kaiserzeitlichen Ursprungs ist: Es steht ein Fest der Sinne bevor."

In der Welt zitiert Berthold Seewald den von der Bedeutung des Fundes überzeugten Forschungsleiter: "Der Archäologie-Professor Andrea Carandini scheut sich nicht, seine wissenschaftliche Reputation mit der Deutung zu verbinden: Es handele sich mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um diese Höhle, sagte er. 'Das ist eine der großartigsten Entdeckungen, die jemals gemacht wurden.'"

Philosophisch-politischer Dialog

Die SPD hat sich einen Philosophen ins Willy-Brandt-Haus geholt. Jürgen Habermas diskutiert mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier über Europapolitik, Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin moderiert. Jens Bisky, der in der Süddeutschen Zeitung berichtet, hat nicht unbedingt einen Dialog erlebt: "Der Philosoph, analytisch und klar, äußerte sich in einem universalistischen Rigorismus, wie er zum Besten der europäischen Aufklärung gehört. So strahlend und ehern, nüchtern in der Darstellung, pathetisch im Anspruch, wie Habermas es tat, wird diese selten verteidigt. Die universalistischen Normen sind ein Kind der französischen Revolution ebenso wie ein Erbe Kants, der im Pariser Umsturz ein 'Geschichtszeichen' sah, das auf eine fortschreitende Moralisierung des Menschengeschlechts deute. (...) Steinmeier antwortete diplomatisch ausweichend und mit einer spürbaren Neigung zum Weiterwursteln: 'Schneller geht's eben nicht.'"In der Welt kommentiert Eckhard Fuhr: "Gegen Habermas' nachtschwarzen Pessimismus bemühte Steinmeier das Prinzip Hoffnung. Die Politik leiht sich Flügel, die Philosophie geht zu Fuß."

Recht schlau geworden aus der Veranstaltung ist auch Ronald Düker in der taz nicht: "Das also ist das Lernziel des SPD-Seminars: Der Philosoph bekennt sich zu Amerika. Und wirft damit die ungeklärte Frage auf, worin denn überhaupt der Unterschied zwischen intellektueller Vision und tagespolitischem Pragmatismus bestehen soll."Für die FR war Harry Nutt bei der Diskussion zugegen.

SZ, 26.11.

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taz, 26.11.

Buddhistische Bibliothek in der Höhle

Vor hundert Jahren entdeckte der Archäologe Marc Aurel Stein im chinesischen Dunhuang in einer Höhle Manuskripte aus einer buddhistischen Klosterbibliothek - und begann sogleich mit dem Abtransport. In der NZZ erläutert der Sinologe Roland Altenburger die Bedeutung des Funds: "Zwar machen Abschriften bestimmter buddhistischer Sutras in Hunderten von Exemplaren etwa drei Viertel des Gesamtbestandes aus. Daneben fanden sich aber auch einzigartige Dokumente der untergegangenen Religionen des Nestorianismus und des Manichäismus. Viele Handschriften stammten von Mönchen, Klosterschülern und Laienbuddhisten. Weil darin mitunter auch von Administrativem und anderem Profanem die Rede ist, lässt sich der Alltag in den zahlreichen Klöstern Dunhuangs ansatzweise daraus rekonstruieren. Pikant sind die mehreren hundert Liebeslieder, die keineswegs nur zufällig auf Manuskripträndern, sondern durchaus auch um ihrer selbst willen aufgeschrieben wurden."

Osterweiterung des Literaturkanons

Ein engagiertes Plädoyer für die Horizonterweiterung der westlichen Literaturwissenschaften hält in der NZZ der Komparatist Michael Ostheimer: "Es gibt inzwischen hinreichend Gründe für eine nachhaltige Osterweiterung des immer noch westlich dominierten Begriffs und Kanons der Weltliteratur. Einer dieser Gründe heißt Lu Xun. Der 1881 unter dem bürgerlichen Namen Zhou Shuren geborene Lu Xun ist der Türhüter der modernen chinesischen Literatur. Mit ihm sollte sich auseinandersetzen, wer mehr als nur schlaglichtartige Einblicke in Chinas kulturelle Entwicklung des 20. Jahrhunderts nehmen möchte."

Lest William Blake

Der emeritierte Anglist Werner von Koppenfels hat einen entschiedenen Rat an die NZZ-Leser: Vergesst nicht William Blake, den Literaten: "Die 'Hochzeit' ist in ihrer Mischung aus phantastischer Erzählung und provokanter Aphoristik ein hierzulande noch kaum entdeckter Schlüsseltext der europäischen Romantik. Die kürzeren Prophetischen Bücher wie 'Die Töchter Albions', 'Die Französische Revolution' oder 'Das Buch Urizen' führen tiefer hinein in Blakes visionären Kosmos, dessen Gipfel – oder auch, für ermüdungsanfällige Leser: Abgrund – die großartig ausufernden, bis dato unübersetzten Langepen 'Milton' und 'Jerusalem' bilden."

Lehrsklavenhaltergesellschaft

In der FAZ warnt Jürgen Kaube vor dem Entstehen einer universitären "Lehrsklavenhaltergesellschaft" in Folge der Bachelor-Reform: Immer mehr Stellen werden vorwiegend oder ausschließlich für die Lehre ausgeschrieben - und miserabel bezahlt. Ein öffentlicher Briefwechsel unter Soziologen nimmt die Entwicklung kritisch in den Blick: "Für [den Soziologen Armin Nassehi] liegt der gegenwärtigen Wissenschaftspolitik das Bestreben zugrunde, der Bildung den Garaus zu machen. An die Stelle der Forderung nach 'Selbstsozialisation' der Studierenden trete ihre Behandlung als Leistungsempfänger. Der Lehrprofessor sei insofern der Sozialarbeiter des reformierten Universitätssystems. Die Leistungen, die er abgibt, sind vorwegdefiniert und bedürfen eben darum auch keiner fortlaufenden Forschung."

FAZ, 27.11.

Bücher und Rezensionen

Heftige Kritik bekam der Kunsthistoriker George Didi-Huberman zu hören, als er Fotografien aus dem Vernichtungslager Auschwitz fotografiehistorisch analysierte. Der "Shoah"-Regisseur Claude Lanzman und der Psychoanalytiker Gérard Wajcman argumentierten, dass sich die Shoah nicht im Bild darstellen lasse - und dass deshalb dokumentarische Bilder wie die von Didi-Huberman analysierten nichts zu ihrer Darstellung beitragen könnten. Im nun übersetzten Band "Bilder trotz allem" setzt sich Didi-Huberman mit seinen Kritikern auseinander: "Im Bilderverbot der Gegenseite sieht Didi-Huberman die Vorstellung von einem absoluten Bild am Werk. (...) Man spreche lieber ein generelles Bilderverbot aus, als sich der Wirkung eines unzureichenden, notwendig fragmentarischen Bildes auszusetzen und es in den Grenzen seiner Möglichkeiten anzuerkennen. Didi-Huberman hingegen sieht im Bild, mit Walter Benjamin, einen Funken und nicht eine Substanz - einen Riss in der Wirklichkeit, der den Abgrund, vor dem man schaudert, bezeichnen kann."


Viel Shakespeare-Forschung in der NZZ. Thomas Leuchtenmüller stellt Stephen Greenblatts Adorno-Vorlesungen aus dem Jahr 2006 vor: "Ins Zentrum rückt er drei Begriffe: Autonomie, Individuation und Negation. Deutlich wird primär, dass Shakespeares Zeilen häufig künstlerische Unabhängigkeit propagieren. Dem Artefakt spricht der 'Barde' eigenes Leben zu, unabhängig von den Ansprüchen der natürlichen Ordnung der Dinge; die ästhetische Erfahrung ist für ihn losgelöst von banalem Alltag und utilitaristischen Erwägungen; die Kunst betrachtet er als einen Bereich radikaler Freiheit."

Und Stefana Sabin gibt einen Überblick über neueste wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Shakespeare-Sekundärliteratur: "Zum Beispiel das neue Buch des amerikanischen Kulturjournalisten Ron Rosenbaum, 'The Shakespeare Wars': ein sechshundert Seiten langer Wälzer – nicht über Shakespeare, sondern, so der Untertitel, über 'streitende Gelehrte, öffentliche Desaster, Machtgefechte'; also über den professionellen Umgang mit Shakespeare und die öffentliche Wahrnehmung der Shakespeare-Studien."

Konferenzen und Tagungen

Sechzig Jahre Zentralinstitut für Kunstgeschichte

Zum sechzigsten Gründungstag richtete das Münchner "Zentralinstitut für Kunstgeschichte" eine Tagung aus, in der es auch um die eigenen Anfänge ging. In der SZ informiert Harald Eggebrecht: "Die Anfänge des ZI schließlich führen, wie Iris Lauterbach vortrug, in den November 1946 zurück. Der erste Direktor des 'Collecting Point', der amerikanische Kunstschutzoffizier Craig Hugh Smyth, ausgebildet in Princeton, dort unter anderem Hörer von Erwin Panofsky und mit der deutschen kunsthistorischen Tradition vertraut, regte an, hier eine universitätsunabhängige, international orientierte kunsthistorische Forschungstätte zu installieren."

SZ, 26.11.

Das Projekt Moderne am Beispiel "Bauhaus"

In Bielefeld wurde am Beispiel "Bauhaus" über das Projekt Moderne und seine Voraussetzungen diskutiert. In der FAZ referiert Alexander Grau: "Anknüpfend an die Anthropologie Helmuth Plessners, interpretierte [Helmut] Lethen die Kälte des Bauhausdesigns als Versuch, den modernen Menschen schockartig zu sich selber kommen zu lassen. Dieses heroische Projekt hätte allerdings sogar seine Urheber überfordert. Es verfehle daher sein eigentliches Ziel und verkomme zum Fetisch."

FAZ, 21.11.


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