Wissenschaftsjahr 2007 - 20.06. - 26.06.2007

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20.06. - 26.06.2007

Im Blickpunkt

Die Lage der Universität in Zeiten der Bologna-Reform

In einer fast schon erstaunlichen Parallelaktion veröffentlichten die FAZ und die SZ in dieser Woche große, vorwiegend skeptische Berichte zum Stand der Bildungspolitik - und zwar insbesondere bei den Geisteswissenschaften.

Für mehr als bedenklich hält Jürgen Kaube in der FAZ die jüngsten Forderungen nach einer größeren Studienquote in Deutschland. Die Universitäten seien heute schon mit Studierenden überschwemmt, die nicht wüssten, was sie da eigentlich zu suchen haben. "Das Ergebnis wird sein, dass man die Zertifikate inflationiert. Der Wissenschaftsrat hat gerade ausgerechnet, dass es in Deutschland außerhalb des juristischen Staatsexamens so gut wie keine Abschlussprüfungen gibt, in denen die Durchschnittsnote schlechter als Zwei ist; die 'Vier' ist als Note praktisch ausgestorben. Der durchschnittliche Philosoph schließt hierzulande, wie seine Kommilitonen aus der Geschichte, der Ethnologie und der Kunstgeschichte, mit 1,7 ab. Die Psychologen sind noch besser, die Germanisten, Pädagogen und Soziologen nur um eine Zehnteldurchschnittsnote schlechter. Fast neunzig Prozent aller geisteswissenschaftlichen Absolventen werden von ihren Professoren mit 'sehr gut' oder 'gut' beurteilt."

In der SZ bilanziert Gustav Seibt die Folgen des Bologna-Prozesses und lässt es dabei an dramatischen  Worten nicht fehlen. Er konstatiert nicht weniger als den größten bildungsgeschichtlichen Umbruch seit der Humboldt-Reform: "Das System von Modulen, Leistungspunkten, Studienzeiten, Prüfungen und praktischen Studienfächern, die Hierarchisierung und Bürokratisierung der Abläufe, das Zielgerichtete und Arbeitsmarktorientierte der neuen Studienmuster - all das bricht hier so radikal wie nirgendwo sonst mit den bisherigen Formen des Studiums. Dies gilt am meisten für die Geisteswissenschaften, also das, was man noch vor einer Generation als zweckfreie Bildungsfächer aufgefasst hätte, Philosophie, Philologien, Kunst- und Literaturwissenschaften, Geschichte."

Interessanterweise äußert sich auch Burkhard Schwenker, Chef der Unternehmensberatung Roland Berger, im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung alles andere als enthusiastisch über den Bologna-Prozess. Auf die Frage nach den "Grundkompetenzen" in Deutschland antwortet er: "Zum Beispiel die exzellente Ingenieurausbildung oder auch die in Natur- und Geisteswissenschaften. Weswegen ich übrigens wenig halte von der Umstellung der Diplomausbildung auf Bachelor und Master. Denn damit verzichten wir auf Breite in der Ausbildung, die Grenzüberschreitung in andere Disziplinen."

SZ, 21.6.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 24.6.

Themen der Woche

Das ABC der Altertumskunde

Im Tagesspiegel weist Claudia Schmölders auf eine Leistungsschau der deutschen Altertumsforschung hin: "Die am Mittwochabend im Pergamonmuseum eröffnete Ausstellung über 'Sprache, Schrift und Bild' ebnet 'Wege zu unserem kulturellen Gedächtnis' - und ist eine Leistungsschau der acht deutschen Akademien der Wissenschaften. Im Jahr der Geisteswissenschaften, das im Zeichen der Sprache steht, zeigen die Akademien, womit sich ihre Altertumsforscher in ihren groß angelegten Langzeitprojekten beschäftigen. In Zusammenarbeit mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vermitteln sie auch eine Ahnung von den Reichtümern der Berliner Museen."

Bücher und Rezensionen

In der NZZ zeigt sich Michael Hampe begeistert vom jüngsten Band des Philosophen Ernst Tugendhat, der sich mit Fragen der Anthropologie und der Mystik auseinandersetzt: "Tugendhats in diesem Band versammelte und sich dicht aufeinander beziehende Untersuchungen sind von einer Klarheit und selbstkritischen Reflektiertheit geprägt, die seine Arbeiten schon immer ausgezeichnet hat. Doch ist der frühere Ton der Polemik fast ganz verschwunden und an seine Stelle tiefsinnige Weisheit getreten."

NZZ, 23.6.

Fasziniert hat sich Willibald Sauerländer für die SZ durch einen 1371 Seiten starken Band mit der Korrespondenz des Kunsthistorikers Erwin Panofsky gelesen. Er hat dabei eine Wissenschaftskultur kennengelernt, von der man heute nur noch träumen kann: "Die Briefe atmen die einzigartige Atmosphäre des Princetoner Instituts, das damals eine Art gelehrter Zauberberg war. Ein erlesener Kreis vorzüglicher Wissenschaftler, die meisten Flüchtlinge aus Europa, entwurzelt also, und allen akademischen Tagesgeschäften entrückt, gab sich hier intellektuellen Spielen von höchster Subtilität hin."

SZ, 23.6.

Sechzigster Geburtstag des Philosophen Peter Sloterdijk

Der innerhalb wie außerhalb seiner Disziplin nicht unumstrittene Philosoph Peter Sloterdijk feiert seinen sechzigsten Geburtstag. Es gratulieren die konservativen Blätter.

In der FAZ betont Lorenz Jäger Sloterdijks Emanzipation von der Autorität der Frankfurter Schule: "Man erkennt den Griff dieses Autors: Kein anthropologischer Befund bleibt ohne aktuellste Ausdeutung, kein innerpsychisches Ereignis gibt es, das nicht die Würde des Politischen annehmen könnte. So nahe Sloterdijk Adorno einmal gestanden haben mag - unausweichlich für seine Generation -, so sehr musste er sich später von der 'Kritischen Theorie' absetzen."

Sloterdijks Kollege und Freund Rüdiger Safranski lobt in der Welt: "Peter Sloterdijk ist ein großer Anfänger, ausgestattet mit existenziellem Eigensinn, einem Überschuss an gedanklicher Spielfreude und der glücklichen Bereitschaft, sich von der Sprache zu Einsichten führen und verführen zu lassen."

Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte muss schließen

Der Historiker Hans Medick hat in der FAZ einen Nachruf auf das renommierte Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte verfasst: "Allein schon angesichts dieser weltweiten Austauschbeziehungen ist es ein Verlust, dass sich eine Neuorientierung der Arbeit des Instituts auf Probleme einer vergleichenden transnationalen Geschichte nicht verwirklichen ließ und das Max-Planck-Institut für Geschichte als ein 'Laboratorium deutscher Möglichkeiten' der Geschichtsforschung (Theodor Heuss) in diesen Monaten seine Arbeit einstellen muss."

FAZ, 20.6.

Porträt des Historikers Niall Ferguson

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ porträtiert Susanne Klingenstein den produktiven, erfolgreichen und umstrittenen Historiker Niall Ferguson, der vor allem mit seinen Thesen zur Notwendigkeit von Imperien für Unruhe sorgt: "Befragt, wie er es schaffe, so viele Bücher zu schreiben, sagt er, dass er nicht verstehe, dass manche Professoren nur alle zehn Jahre ein Buch schrieben. Dynamisch, charmant, witzig und immer gesprächsbereit, verwickelt er sein Gegenüber sogleich in eine Diskussion über die politische Struktur der Welt. Dass wir Imperien brauchen, um die Welt zu ordnen, und dass Amerika sich verantwortungslos weigert, die Imperialfunktion des untergegangenen britischen Weltreichs zu übernehmen, gehört zu den umstrittenen Thesen Fergusons. Er fand zu dieser Ansicht über das Studium der Finanzgeschichte Europas."

FAZ, 20.6.

Akademiepreis für Martin Haspelmath

Amory Burchard stellt im Tagesspiegel den diesjährigen Akademiepreisträger Martin Haspelmath vor, der als Linguist Brücken zwischen den Wissenschaftskulturen schlägt: "Haspelmath ist der Glücksfall eines interdisziplinär forschenden Geisteswissenschaftlers: Er arbeitet mit quantitativen naturwissenschaftlichen Methoden – und wird von Naturwissenschaftlern ernst genommen. Mit modernster Computertechnik übertrug Haspelmaths Team Datenbanken zu 2500 Sprachen auf digitale Kartierungsprogramme. Der 2005 erschienene 'World Atlas of Language Structures' ist ein Großprojekt zur weltweiten vergleichenden Erforschung sprachlicher Strukturen und ihrer geografischen Verteilung; Haspelmath koordinierte die 40 Autoren, verfasste selber sechs Artikel."

Konferenzen und Tagungen

Die Zukunft der Überwachung

Aus aktuellem Anlass - nämlich Wolfgang Schäubles Planungen zu einschlägigen Gesetzesänderungen - wurde ein Römerberggespräch zum Thema "Überwachung" anberaumt, bei dem auch Technik- und Rechtshistoriker zu Wort kamen. Auch wenn sie sich nicht durchweg einig waren, so konstatierten sie doch, wie Martin Otto in der FAZ berichtet, einen erstaunlichen Wandel im öffentlichen Bewusstsein: "Dem Technikhistoriker Hans-Liudger Dienel zufolge hat die Akzeptanz der technischen Überwachung bei der jungen Generation in den letzten Jahren noch zugenommen. Von der Staatsskepsis des Volkszählungsurteils 1983 sei die mit Handy und E-Mail sozialisierte Generation weit entfernt, vielmehr setze sie auf den Staat als Moderator."

FAZ, 25.6.2007


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