Wissenschaftsjahr 2007 - 05.04. - 10.04.2007

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05.04. - 10.04.2007

Im Blickpunkt

Paul Watzlawick gestorben

Sehr freundlich gedenken die Feuilletons des im Alter von 85 Jahren verstorbenen Therapeuten, Psychologen und Philosophen Paul Watzlawick. In der SZ würdigt ihn der Kulturwissenschaftler Thomas Macho als menschenfreundlichen Denker des radikalen Konstruktivismus: "Ein Denken in Beispielen gehört dagegen zu den elementaren Strategien der Therapie, der Beratung, der Lebenskunst. Und es gehört zu den Prinzipien einer Ethik der Toleranz, die Watzlawick vielleicht als das wichtigste Erbe des radikalen Konstruktivismus betrachtete."

Der Systemtheoretiker Dirk Baecker bedauert in der taz, dass die Kommunikationstheorie Watzlawicks weithin ignoriert wurde und wird: "Keines der Fächer, die das eigentlich anging, ob Literaturwissenschaften, Soziologie, Politologie, Ökonomie oder Psychologie konnte mit dem von Watzlawick entwickelten Kommunikationsbegriff etwas anfangen."
Im Gespr
äch mit dem Deutschlandfunk preist der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch den Prosakünstler Watzlawick: "Ein Stilist von Graden. Da merkt man wirklich die österreichische Schule. Er hat Leute gelesen wie Nestroy oder wie Karl Kraus oder wie Arthur Schnitzler, hat natürlich auch seinen Freud intus gehabt. Das sind ja Stilformen, das sind ja Formen von Wissenschaftsprosa, da kann man heute nur von träumen."

In der FR erklärt Arno Widmann, warum der Konstruktivist Watzlawick für eine desillusionierte Linke so attraktiv war: "Mit Watzlawick kam die Praxis zum Zug. Nicht mehr die große, die gesellschaftsumwälzende Praxis, die nie funktioniert hatte, sondern die kleine, alltägliche."

Und Christian Geyer bringt in der FAZ Watzlawicks Denken auf die folgende Formel: " Die Dinge sind nicht das, was sie scheinbar objektiv sind, sondern die Dinge sind das, was wir aus ihnen machen."

FAZ, 4.4.2007
SZ, 4.4.2007

Kritische Worte zum "Jahr der Geisteswissenschaften"

In der Zeitschrift Merkur kommentiert der Philosoph Volker Gerhardt die Initiative zum "Jahr der Geisteswissenschaften" – und erkennt schon in der Zusammenfassung einzelner Wissenschaften zum Kollektiv eine Geste der Herablassung: "Warum hat man nicht das Jahr der Germanistik, der Kunstgeschichte, der Theologie oder das der Klassischen Philologie proklamiert? Warum hat man den Philologien oder den Geschichtswissenschaften keine separate Auszeichnung gewährt? Sind sie nicht groß, reich und interessant genug, um sich neben einem Fach wie der Physik oder neben den Geowissenschaften sehen lassen zu können? Das sind natürlich rhetorische Fragen. Die einzelnen Geisteswissenschaften scheinen den Geschäftsträgern der Wissenschaft so wenig aufzufallen, daß man ihnen nur noch im Kollektiv Aufmerksamkeit zu schenken vermag." Allerdings möchte Gerhardt auch die positiven Seiten der Aufmerksamkeit nicht leugnen. Dazu zählt er die Möglichkeit, endlich wieder ohne Scheu vom aus der Mode gekommenen "Geist" zu sprechen.

Ausstellung zum "Schmerz" in Berlin

Viel Aufmerksamkeit hat die in der letzten Woche eröffnete Ausstellung zum Thema "Schmerz" gefunden, für die sich das Berliner Museum für zeitgenössische Kunst "Hamburger Bahnhof" und das "Medizinhistorische Museum" der Charité zusammengetan haben. Für die FR erklärt Elke Buhr: "Die Schau zielt auf eine kulturhistorische Annäherung an dieses zentrale und doch oft schwer vermittelbare Gefühl und zapft dafür Medizingeschichte, Wissenschaft und Kunst gleichermaßen an."
In der FAZ berichtet Julia Voss: "Herausragend ist die Ausstellung vor allem dann, wenn die Objekte in Beziehung miteinander treten: Ein Raum zeigt das Triptychon des englischen Malers Francis Bacon 'Crucifixion' von 1965 zusammen mit einer Vitrine aus der Pathologischen Sammlung der Charité."

Für die Welt schreibt Julia Walde über die Ausstellung – aber auch Eckhard Fuhr hat in der Ausstellung "gelernt, was es heißt, die Zähne zusammen zu beißen".
Nicht ganz überzeugt zeigt sich in der taz Brigitte Werneburg von beiden Teilen der Ausstellung: "Anders als in der Melancholie-Ausstellung fügen sich die Exponate nicht zu einem übergreifenden Panorama des Schmerzes als Gegenstand von Wissenschaft, Kunst und Religion."

FAZ, 7.4.2007

Themen der Woche

Archäologie und Politik

Von einer Diskussionsveranstaltung in Berlin berichtet im Tagesspiegel Michael Zajonz. Es ging um diplomatische Implikationen der Archäologie: "Wie politisch darf Archäologie - in Deutschland eines der wichtigsten Elemente auswärtiger Kulturpolitik - sein, ohne wissenschaftlich Schaden zu nehmen? Sind Archäologen die besseren Diplomaten? Oder sollten sie sich mit der Rolle des Notarztes bescheiden, der den Westen bei Militäraktionen berät, um Kollateralschäden wie im Irak zu verhindern?"

Jesus als Figur der Fiktion

Im Interview mit der FR erläutert der Archäologe und Literaturwissenschaftler Thomas Lawrence Thompson, warum ihn Jesus nur als fiktive Figur interessiert: "Es geht mir darum, klar zu machen, dass die Evangelien nicht in einer wie auch immer rekonstruierten historischen Wirklichkeit des ersten Jahrhunderts spielen. Sie und mit ihnen das leere Grab sind Teil einer fiktiven Geschichte, in der das alte Thema des Sieges des Lebens über den Tod zu einem beeindruckenden vorläufigen Abschluss gebracht wird."

Was ist eine gute Religion?

In der Serie der NZZ zur Frage "Was ist eine gute Religion?" äußert sich in dieser Woche der Professor für jüdisches Denken Paul Mendes-Flohr. Er weist auf die Verpflichtung aller Religionen für die Schöpfung hin: " Die unterschiedlichen Religionsgemeinschaften sind lediglich die kulturellen Rahmenbedingungen, innerhalb deren wir die uns von Gott auferlegte Verantwortung gegenüber der Schöpfung und füreinander wahrnehmen sollen. Diese Verpflichtung aus dem Blick zu verlieren, heißt, Gottes Sein zu leugnen."

Hannah Arendt und die Literatur

Für die SZ hat sich Volker Breidecker die Frankfurter Ausstellung zu Hannah Arendt und ihrem Verhältnis zur Literatur angesehen und liefert folgende Beschreibung: "Unter Vitrinen, auf Wandbehängen und transparenten Stellwänden bietet die Ausstellung allerhand zu entziffern und zu lesen, eigene Texte, Briefe, ja auch Gedichte, sowie von anderen, von Schriftstellern und Poeten an Hannah Arendt in Prosa und in Versen adressierte Würdigungen und Widmungen."

SZ, 5.4.2007

Porträt Jürgen Kocka

Ausführlich würdigt im Tagesspiegel Hermann Rudolph den Sozialhistoriker Jürgen Kocka, der nach sechs Jahren als Leiter des Wissenschaftszentrums in Berlin in den Ruhestand geht: "Man muss das Paket, das sich der untersetzte, unaufgeregte Mann, der frei ist von allem Paradiesvogelgehabe, aufgeladen hat – und damit auch die sechs Jahre Wissenschaftszentrum als Gipfel dieser Aktivität –, wohl auch begreifen als Tribut an sein Leitbild des Wissenschaftlers. Es ist, herangewachsen in der wissenschaftlichen Arbeit wie in bewusst gelebter Zeitgenossenschaft, der Wissenschaftler in seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft."

Theaterwissenschaftler Andrzej Wirth wird achtzig

Er ist mit Marcel Reich-Ranicki und Günter Grass befreundet – und hat mit der Gründung des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen für frischen Wind in der deutschen Theaterwissenschaft gesorgt. Peter von Becker gratuiert im Tagesspiegel Andrzej Wirth zum achtzigsten Geburtstag: "Bald aber wurde die 'Gießener Schule' bekannt im ganzen Land und die Provinz zur Provenienz: Aus Gießen, von Wirth kamen nun Regisseure, Dramatiker, Romanciers und Pop-Performer, die wie ihr Lehrer nach Berlin oder New York drängten; ihre Namen reichen von René Pollesch bis Tim Staffel und Moritz Rinke, von der Gruppe Rimini Protokoll bis zu den She She Pops."

Historiker Wolfgang Reinhard wird siebzig

Patrick Bahners richtet in der FAZ seine Glückwünsche an den Historiker Wolfgang Reinhard aus: "Wolfgang Reinhard kostet sein Talent zum Sarkasmus aus, indem er in seinen Spott über den Ehrgeiz der Geschichtsforscher die eigenen Anstrengungen einbezieht. Das mag die Demut dieses durchaus selbstbewussten Historikers sein."

FAZ, 10.4.2007

Bücher und Rezensionen

In der taz bespricht Simon Rothöhler das neue Buch des Filmwissenschaftlers Thomas Elsaesser. Darin entwickelt Elsaesser an Beispielen aus dem deutschsprachigen Film eine Theorie zum Zusammenhang von Trauma und Kino: "Im theoretischen Zentrum seiner Überlegungen geht Elsaesser von einer strukturellen Affinität von Trauma und Kino aus – 'denn dort verdichtet sich Realität zu Affekt, und was gewesen ist, wird immer wieder gegenwärtig und präsent gemacht"'. Wenn er das Trauma als in der Latenz gehaltene Spur des Vergangenen versteht, so erkennt er darin einen Weg, 'wiedererlangte Referenzialität' zu denken."

Gleich sechs neue deutschsprachige Übersetzungen von Büchern Jacques Derridas stellt in einer Sammelrezension der NZZ Michael Mayer vor. Es befindet sich darunter – mit drei Jahrzehnten Verspätung – auch Derridas wohl experimentellstes Werk "Glas": "Dass ausgerechnet das letzte grosse Werk Derridas, das zu seinen Lebzeiten noch nicht ins Deutsche übertragen war, den Titel 'Glas' trägt, 'Totenglocke', entbehrt nicht einer melancholischen Note. Dieses Totengeläut macht auch ein wenig beklommen."

In der SZ weist Volker Breidecker auf einen in der Zeitschrift Kultur & Gespenster erschienen Aufsatz des Literaturwissenschaftlers Dirk Linck hin, in dem dieser die 68er als sehr viel "cooler" beschreibt, als man sie gemeinhin wahrnimmt. Ein Zitat aus dem Aufsatz: "Die Szene von 68, die immerhin Stadt-Guerilla und Spaß-Guerilla hervorbrachte, hat das, was aktuell gegen sie in Stellung gerückt wird, immer schon selbst im Repertoire gehabt: Distanz, Rollenbewusstsein, theatralische List, Kälte, Konzepte der Mittelbarkeit für ein gegenwärtiges Leben. Vom Pop lernte 68, was Coolness ist."

SZ, 4.4.2007

Konferenzen und Tagungen

Von einer außergewöhnlichen Tagung berichtet Jörg Bremer in der FAZ: In Jerusalem trafen sich Historiker und andere Wissenschaftler zu einer Konferenz über das deutsche Erbe in Israel: "Nach wenigen Tagen waren alle dreihundert Eintrittskarten ausverkauft. Was vor nicht langer Zeit in Israel noch als anrüchig galt, gilt nun als besonders interessant: 'Germany in Jerusalem' heißt das Tagungsthema. Es kommen auch nicht nur aus Deutschland stammende Juden, also die 'Jeckes', sondern vor allem generell europäisch geprägte Israelis."

FAZ, 10.4.2007


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