Wissenschaftsjahr 2007 - 14.11. - 20.11.2007

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14.11. - 20.11.2007

Im Blickpunkt

Jochen Hörisch zur Zukunft der Geisteswissenschaften

Zum Abschluss der Spiegel-Serie zum Jahr der Geisteswissenschaften stellt der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch zehn entscheidende Fragen zur Zukunft der Geisteswissenschaften, von "Gibt es universale Werte?" bis (unkommentiert) "Warum und worüber lächelt die Mona Lisa?" Hier ein Auszug aus Hörischs Erläuterung zur derzeit wieder heiß diskutierten Frage "II. Stiftet Religion Frieden?": "Gläubige Menschen sind schon in ihrem irdischen Leben bessere Menschen. Denn sie haben Respekt vor der Schöpfung, handeln in Verantwortung vor Gott und dürfen hoffen beziehungsweise müssen fürchten, nach ihrem Tod für gute Taten reich belohnt beziehungsweise für Missetaten bestraft zu werden. Stimmt nicht, lautet ein Einwand: Wenn und weil es um letzte Wahrheit geht, neigen Köpfe in dem Maße zur Militanz, zur Mission, zum Kampf gegen die Ungläubigen, in dem sie fromm sind. Es gibt Konflikte zwischen Kulturen, Überzeugungen, Meinungen, unterschiedlichen Offenbarungen: Ist Religion ein Beitrag zur Lösung oder der heiße Kern des Problems?"

Das jüngste Buch von Jochen Hörisch, die einschlägige Essaysammlung "Das Wissen der Literatur", wird unterdessen von Roman Luckscheiter in der FAZ vorgestellt: "Jochen Hörisch und verweist auf das ungeheure Welt- und Handlungswissen in den Gedichten, Romanen, Dramen und Liedern, mit denen er sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten beschäftigt hat. Extra für das Jahr der Geisteswissenschaften hat er seine kleineren und größeren Publikationen, die daraus entstanden sind, zu einem Buch binden lassen und zum vereinigten 'Plädoyer für eine problem- und themenzentrierte Literaturwissenschaft' erklärt."

Spiegel, 19.11.
FAZ, 20.11.

Themen der Woche

Wehrmacht im Fernsehen

Im Deutschlandradio Kultur spricht der in Mainz lehrende Historiker Jörg Neitzel über die ZDF-Fernsehserie "Die Wehrmacht", bei der er als wissenschaftlicher Berater tätig war. Den Vorwurf, die Dokumentarserie nehme die Opfer zu wenig in den Blick, weist er zurück: "Ich glaube schon, dass wir eine sehr breite Opferforschung haben. Wenn wir mal sehen, was die Holocaustforschung geleistet hat, da haben wir sehr detaillierte Studien, die jetzt sozusagen nicht alle natürlich in diese Serie eingeflossen sind, weil es ja kein Film etwa über den Holocaust, sondern ein Film über die Wehrmacht ist, aber die Opferfrage ist eigentlich in der Forschung relativ gut aufgearbeitet worden. Das Desiderat würde ich eher darin sehen, zu sagen: Wie sah eigentlich der Alltag der Soldaten aus? Wir neigen natürlich - Historiker wie Journalisten - dazu, uns sehr stark auf die Verbrechen, auf Täter und Opfer, zu konzentrieren, aber das ist natürlich nur - so schlimm das war und so wichtig das natürlich für uns ist - ein Segment dieses Krieges, und wir müssen versuchen, auch die anderen Realitäten des Krieges darzustellen."

Dantes Philosophie menschlicher Laster

In der FAZ setzt sich der in Stanford lehrende Romanist Robert P. Harrison mit Dantes Philosophie menschlicher Laster auseinander - und mit Dantes Schlussfolgerungen für eine politische Ordnung. Sein Glaube an die Notwendigkeit autokratischer Herrschaft sei natürlich veraltet - anders als die diesem zugrundeliegenden Motive: "Die geradezu messianische Hoffnung, die Dante mit Heinrich VII. verband, erscheint uns verrückt, aber die Überlegungen, auf denen diese Hoffnung beruhte, waren höchst vernünftig. Im Grunde waren es die gleichen Überlegungen, die zur Errichtung des Völkerbundes und der Vereinten Nationen führten. Diese Auffassung besagt, dass der Weltfrieden nur durch eine Institution gesichert werden kann, deren Autorität größer und umfassender ist als die der Nationalstaaten. Das Scheitern dieser modernen Institutionen ist genauso tragisch, es ist sogar noch viel tragischer als das Scheitern von Dantes Weltherrscher, dem es nicht gelang, die Wölfin der Habgier in die Hölle zurückzujagen."

FAZ, 14.11.

Kontraproduktive Standortpolitik

Bis vor kurzem hat Stefan Plaggenborg noch Osteuropa-Geschichte in Marburg unterrichtet - jetzt hat er freudig einen Ruf nach Bochum angenommen. In der FAZ erzählt er die traurige hochschulpolitische Groteske der sinnlosen Verlagerung der Osteuropa-Geschichte von Marburg nach Gießen: "Studenten und Dozenten der osteuropäischen Geschichte müssen nach Marburg in die Bibliotheken fahren. Ein DFG-Forschungsprojekt muss in Marburg bleiben. In Gießen könnten die Mitarbeiter nur Däumchen drehen. Die vorzügliche Marburger Bibliothek der slawischen Philologie hat man nach Gießen transportiert. Dort steht sie seit über einem Jahr in Kartons und ist nicht benutzbar. Das Herder-Institut muss nun mit einer Universität kooperieren, mit der es zuvor buchstäblich nichts zu tun hatte. Heute gibt es vier Professoren der osteuropäischen Geschichte in Gießen. Die Zahl der Studenten übersteigt die ihre nicht. Im Vergleich dazu lehrte ich in Marburg ein Massenfach."

Leopoldina als Nationale Akademie

Deutschland hat eine Nationale Wissenschaftsakademie - erwählt wurde, für viele überraschend, die eher naturwissenschaftlich orientierte Leopoldina in Halle. Der Tagesspiegel informiert über mögliche Aufgaben und hat die Generalsekretärin Jutta Schnitzler-Ungefug befragt, die folgende Auskunft gibt: "Dass die Leopoldina die älteste ununterbrochen aktive Akademie der Welt ist, mit starkem naturwissenschaftlich-medizinischem Inhalt, hat ihr jetzt die Möglichkeit eröffnet, auch im internationalen Kontext die deutschen Akademien zu vertreten. Es gibt ein Bedürfnis, dass dort, wo es um konzertierte Aktionen geht, auch Deutschland mit seinem Rat vertreten sein sollte. Deswegen wird die Leopoldina auch künftig nicht alleine auftreten."

In der FAZ kann Jürgen Kaube über den avisierten Politberatungsauftrag nur spotten: "Dem Schicksal ihrer Politisierung wird auch die Leopoldina, sofern sie tatsächlich in erster Linie politikberatend tätig würde, nicht entrinnen. (...) Man wird noch bei jedem Politologen, Maschinenbauer, Biologen oder Astronomen, den man neu in die Nationale Akademie wählt, vorher testen, was er denn über Gentechnik und Atomkraft, den Klimawandel oder Sterbehilfe denkt."


FAZ, 17.11.

Bücher und Rezensionen

In seinem neuen Buch "Denken und Selbstsein" entwickelt Dieter Henrich Gedanken zur Begründung der Subjektivität. Uwe Justus Wenzel ist für die NZZ den nicht immer einfachen Gedanken mit großem Interesse und sogar Genuss gefolgt: "Die 'Unverständlichkeit des Zentrums der Subjektivität' und die daraus erwachsende Irritation des bewussten Lebens, das der Mensch ist und führt, bilden die leitmotivisch wiederkehrende These. Sie wird in einer Exposition und drei Durchführungen variiert und entfaltet. Die Gedankengänge sind komplex und ihrer Umsichtigkeit wegen bisweilen umständlich (wie ihr Urheber nüchtern festhält). Sorgsame Umständlichkeit entwickelt allerdings, so sie sich in einer fließenden Sprache artikuliert, eine eigene Eleganz."

Für so ambitioniert wie überzeugend hält Jürgen Renn in der FAZ den Versuch des Kunsthistorikers Horst Bredekamp, am Beispiel von Galileo Galilei die "Schlüsselrolle visueller Denkformen in der Begründung der modernen Naturwissenschaft" aufzuzeigen: "Das Ziel des Buches besteht offenbar weniger darin, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte einfach in einer übergeordneten Kulturgeschichte aufgehen zu lassen, sondern darin, etablierte Grenzziehungen in Frage zu stellen. (..) Das Buch ist klar, detailreich, umfassend auch in der Auseinandersetzung mit der Literatur zweier Fachwelten, seine Aussagen abgestützt durch ein beeindruckendes Netzwerk von Kooperationen, geradezu betörend illustriert und in jeder Hinsicht auch vom Verlag gut ausgestattet."

FAZ, 16.11.

Konferenzen und Tagungen

Thomas Manns Josephs-Roman und die Theologie

In der Katholischen Akademie in München ging es um Thomas Manns Josephs-Roman - und damit nicht zuletzt um Fragen der Theologie und insbesondere des Monotheismus. Alexander Kissler berichtet in der SZ und referiert den Rat, den der Theologe Klaus Berger Thomas Manns Roman entnimmt: "Manns zukunftsweisendes Projekt, Individualität sei 'ein gehorsamer Wandel in vielfach nachgetretenen mythischen Fußstapfen', übersetzte der vielseitige Theologe ins Praktische: Die christliche Kirche müsse, wolle sie sprachfähig bleiben, wieder reden von den 'großen mythischen Themen Besessenheit, Dämon, Apokalypse'. Sonst drohten Atheismus oder Satanismus. Man sieht: Von Jakob, Joseph und Thomas Mann ist immer noch unendlich viel zu lernen."

SZ, 20.11.

Tagung zum 100. Geburtstag von Thrasybulos Georgiades

In München erinnerte eine Tagung zum 100. Geburtstag von Thrasybulos Georgiades an den Musikwissenschaftler. Klaus Peter Richter stellt in der FAZ Georgiades und Theodor W. Adorno einander gegenüber: "Während Adornos Philosophie Schule machte, blieb die Münchner Schule exotisch, denn sie entsprach weder dem Zeitgeist noch den Deutungstraditionen des Faches. Ihr Kern ist das fundamentale Verhältnis von Rhythmus und Sprache, mit dem Thrasybulos Georgiades die Musikgeschichte neu beleuchtete. Während die antike Musik als untrennbare Einheit von Sprache und Klang durch die starre Quantitätsrhythmik des Altgriechischen geprägt ist, trennen sich später die Ebenen, bis in der Wiener Klassik das musikalische Geschehen gegenüber dem 'leeren Taktmetrum' ganz neue Möglichkeiten quasi sprachlicher Artikulation eröffnet."

FAZ, 14.11.


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