Wissenschaftsjahr 2007 - 09.05. - 15.05.2007

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09.05. - 15.05.2007

Im Blickpunkt

Podiumsdiskussion zu Feuilleton und Geisteswissenschaften

Nicht nur auf dem Podium, sondern auch im Publikum saßen bei der Großveranstaltung zum Jahr der Geisteswissenschaften im Berliner Maxim-Gorki-Theater Jornalisten. Diskutiert wurde unter anderem über das Verhältnis von Feuilleton und Geisteswissenschaften. Eher kritische Akzente setzte Dirk Knipphals in der taz: "Der Geist weht, wie er will. Vielleicht macht es auch gar nichts, dass bei solchen Veranstaltung oft so wenig herauskommt. Schließlich ist es auch eine Art Feier des Geistes, ihn ab und zu mal aufblitzen zu lassen. Und ausgeschlafene Polemiker wie Jürgen Kaube oder geschickte Popularisierer wie Luca Giulani haben so etwas drauf."

Uwe Justus Wenzel referierte in der NZZ:  Der neue Leiter des Berliner Wissenschaftskollegs Luca Giuliani "hielt immer noch daran fest, dass es in seinem Fachgebiet 'kein einziges Forschungsproblem' gebe, das er einem aufmerksamen und interessierten Zuhörer nicht in kurzer Zeit verständlich machen könne. (...) Auch das erschien Barbara Vinken, Literaturwissenschaftlerin an der Universität München, noch unmöglich - wie sie überhaupt auf dem nicht immer ins Allgemeinverständliche übersetzbaren Eigensinn der geisteswissenschaftlichen Forschung beharrte. Jürgen Kaube ('Frankfurter Allgemeine Zeitung') unterstützte sie, auf allerdings indirekte Weise. Er warf die Frage auf, ob denn die Geisteswissenschaften überhaupt genügend Probleme derjenigen Sorte hätten, die ein allgemeines Publikum interessieren könne - Probleme, die sich in Fragen kleiden ließen, die mit 'Warum', 'Weshalb' oder 'Wie' begännen."

In der Welt informiert Alexander Cammann: "Von der 'Verpoppung' der Geisteswissenschaften hatte der Archäologe und Rektor des Berliner Wissenschaftskollegs Luca Giuliani gesprochen. Giuliani sah vor allem die Forscher in der Vermittlungspflicht... Gustav Seibt (Süddeutsche Zeitung) erinnerte daran, dass das Feuilleton von einer Voraussetzung lebt, die es selbst nicht schaffen kann: der Bildung."

Fund des Herodes-Grabs

Unterschiedlich eingeschätzt in seiner Bedeutung wird der mutmaßliche Fund des Herodes-Grabs nahe Bethlehem, wie der Tagesspiegel berichtet. Aber mancher Experte staunt doch: "'Diese Wut auf Herodes - 70 Jahre nach seiner Bestattung!' Für Linda-Marie Günther, Professorin für Alte Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum, ist die Entdeckung des Grabes von König Herodes durchaus 'sensationell'. Dass der Sarkophag offenbar einige Jahrzehnte nach der Bestattung zertrümmert wurde, passe zu der kontroversen Persönlichkeit des Königs."

Im Deutschlandfunk zeigt sich der Bibel-Archäologe Wolfgang Zwickel optimistisch, dass es sich bei dem bei Bethlehem entdeckten Grab wirklich um das des Herodes handelt: "Es scheint also, im Gegensatz zu vielen anderen Meldungen, die wir in der letzten Zeit hatten - ich denke an das angebliche Jesusgrab, das am Karfreitag im Fernsehen gezeigt wurde - scheint dies doch eine sehr zuverlässige Sache zu sein. Das Grab wurde auch genau da gefunden, wo man es erwartet hat: nämlich in Herodium, das ist eine Anlage, die Herodes gebaut hat in der judäischen Wüste, etwa 15 Kilometer östlich von Bethlehem."

Themen der Woche

Ästhetik des Bösen

In der NZZ denkt der derzeit viel gefeierte, soeben mit dem Heinrich-Mann-Preis (vgl. Newsletter der letzten Woche) ausgezeichnete Literaturwissenschaftler Karl-Heinz Bohrer über eine Ästhetik des Bösen nach und stellt fest: "Das Böse in der Kunst ist keine Frage des Genres, auch wenn eine bestimmte Schule der romantischen Tradition eine spezifische Affinität dazu hatte. Aber darüber hinaus wurde auch klar, dass es die bedeutenden Repräsentanten der Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts sind, die dem Prinzip des ästhetisch Bösen verhaftet waren: nicht als Stoff und Gehalt eines mörderischen Zeitalters, sondern als Spiel und Stimmung, als Medium einer emphatischen künstlerischen Methode der Überbietung des Gewöhnlichen."

Ironische Rückkehr der Sowjet-Ästhetik

Im Interview mit der SZ spricht der Philosoph Boris Groys über neue Tendenzen zum Bildersturz in Osteuropa und über den heutigen Umgang mit der Sowjet-Ästhetik: "Der öffentliche Raum wird entpolitisiert und kommerzialisiert, der Nationalismus ist nur ein Übergang. Nirgends sieht man das so deutlich wie in Moskau. Interessanterweise greift die russische Werbung viele Elemente der Propaganda-Plakate aus der Sowjetzeit wieder auf. Diese typischen weißen Buchstaben auf rotem Hintergrund zum Beispiel. Es ist ein ironisches Spiel."

Glückwünsche für Literaturwissenschaftler Norbert Miller

Der 70. Geburtstag des emeritierten Literaturwissenschaftlers Norbert Miller war zwei Zeitungen einen größeren Glückwunschartikel wert. In der NZZ gratuliert Martin Meyer: "Norbert Miller verfügt hierbei über die Gabe eines großen und glänzenden Erzählers. Zwar beherrscht er, wo es angebracht ist, die kurze Form souverän, und seine philologischen Fußnoten dokumentieren das Wissen, das Grundlage jeder freien Hermeneutik ist. Aber das eigentliche Element des temperamentvollen Könners erweist sich in der Schilderung von weit gespannten Entwicklungsgängen."

Lothar Müller schwärmt in der SZ: "Norbert Millers Schriften bieten dem deutschen Publikum eine Grand Tour, die aus der alteuropäischen Welt bis in die Kunst und Literatur der Gegenwart führt. Und zwar so, dass kein Reisegespräch über die deutsche Literatur möglich ist, das nicht die klassischen Pole der Grand Tour - England und Italien - berührt und Abstecher nach Frankreich macht."

In der FAZ streicht Richard Kämmerlings Millers Interesse auch an der Gegenwartsliteratur heraus: "Als Mitherausgeber von "Sprache im technischen Zeitalter", als Anreger, als Kritiker und Juror (etwa in Klagenfurt) hat Miller nicht zuletzt auch die Gegenwartsliteratur immer wieder von seiner Neugier profitieren lassen, die im Gleichtakt mit dem Alter und dem Wissen zuzunehmen scheint."

SZ, 14.5.2007

FAZ, 14.5.2007

Vor der Kunstwissenschaft

Im Fogg-Museum der Harvard-Universität findet die Ausstellung "The Last Ruskinians: Charles Eliot Norton, Charles Herbert Moore, and Their Circle" statt. Susanne Klingenstein wirft in der FAZ einen Blick auf diese Frühgeschichte der Kunstwissenschaft: "Man kennt die Namen nicht mehr. Doch um sie herum ist in dem von Studenten bevölkerten Fogg Museum das Prinzip lebendig, für das sie lebten: die moralisch-ästhetische Erziehung des Menschen durch die Anschauung großer Kunst.."

FAZ, 8.5.2007

Bücher und Rezensionen

Manfred Koch begeistert sich in der NZZ für Jan Philipp Reemtsmas "brillanten Essay" über Gotthold Ephraim Lessings Hamburger Jahre und resümiert: "In wenigen Strichen skizziert Reemtsma den Beitrag von Lessings eigenen Dramen zu dieser Ethik eines aufmerksamen, verständigungsbereiten Umgangs, die nicht gelehrt, sondern - in einer Art theatralischer éducation sentimentale - dem Gefühlshaushalt direkt eingepflanzt wird."

In der FAZ schwärmt Markus Krajewski von Anke te Heesens kulturgeschichtlicher Studie mit dem sprechenden Titel "Der Zeitungsausschnitt": "Anke te Heesen gelingt es in ihrer luziden Mediengeschichte der zerschnittenen Zeitung nicht nur, mit besonderer Materialzärtlichkeit eine bislang weitestgehend übersehene kulturelle Praktik zu rekonstruieren und analytisch auszudeuten. Vielmehr noch entwickelt sie mit eleganter Beiläufigkeit eine kleine Theorie des Fragments, wenn sie verdeutlicht, welch ungeheurer Akt im 'cut and paste' einer Zeitung besteht."

FAZ, 11.5.2007

In der Welt spricht Eckhard Fuhr mit Micha Aster, der gerade eine Geschichte der Philharmoniker als "Reichsorchester" der Nazis verfasst hat. Aster erläutert: " Die Berliner Philharmoniker waren eine GmbH, an der die Musiker Anteile hatten. 1933 gab es Verhandlungen zwischen dem Goebbels-Ministerium und dem Orchestervorstand, die dazu führten, dass am 15. Januar 1934 das Reich die gesamte GmbH, also auch die Anteile der Musiker, übernahm und die Berliner Philharmoniker so zum Eigentum des Reiches, zum 'Reichsorchester' wurden."

Werner Hofmann zeigt sich in der SZ beeindruckt von Felix Krämers Untersuchung "Das unheimliche Heim. Zur Interieurmalerei um 1900" und lobt: "Felix Krämers Buch ist ein fakten- und ideenreicher, vom Verlag gut ausgestatteter Beitrag zur Kunst- und Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Der Text liest sich gut und enthält eine Fülle von Querverweisen zum gesamten geistesgeschichtlichen Kontext. Krämer ist mit der Genderforschung genauso vertraut wie mit Jacques Lacan und Sarah Kofman."

SZ, 15.5.2007


Konferenzen und Tagungen

Aufgeklärte Natur im Wörlitzer Park

In Wörlitz trafen sich die Mitglieder der deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Park Wörlitz. Burkhard Müller informiert die Leser der SZ: "Diesmal gab es einen besonders engen und fruchtbaren Bezug zwischen Ort und Thema. Man fand sich im Wörlitzer Gartenreich nahe Dessau zusammen, um über 'Aufgeklärte Natur' zu sprechen. Aufgeklärte Natur - das ist eine Formulierung von geradezu ironischer Vieldeutigkeit; und sie entfaltete sich, während draußen die Nachtigallen am hellen Tage sangen, nach und nach in allen ihren Aspekten."

Für die NZZ berichtet Joachim Güntner: "Zum Auftakt der Tagung porträtierte Gustav Seibt den Fürsten Franz als menschenfreundlichen Reformer, der den Bruch mit dem König nicht scheute, mit großer politischer Klugheit seine Chancen nutzte, sich sorgte um Bildung und Auskommen seiner Untertanen, Stalltierhaltung und Fruchtfolge in die Landwirtschaft einführte, die Juden seines Reichs schützte."

Wieland Freud hat die Tagung für die Welt besucht.

SZ, 14.5.2007

Judging Values

In Karlsruhe waren Staatsrechtler, Philosophen und Protagonisten der Integrationsdebatte wie der umstrittene Autor Tariq Ramadan versammelt, um auf einer von der Kulturstiftung des Bundes ausgerichteten Tagung mit dem Titel "Wert Urteile - Judging Values" über Europa als Wertegemeinschaft nachzudenken. Für die Welt hat Mariam Lau die Tagung besucht: " Wie sehr die Postmoderne Vergangenheit ist, merkte man auch daran, dass Ramadan mit seiner Behauptung, Probleme seien nur eine Frage der Wahrnehmung, und die Mehrheit der Muslime käme gut mit der Demokratie zurecht, bei den Teilnehmern nicht landen konnte."

In der NZZ berichtet Uwe Justus Wenzel, dass man die Wertegemeinschaft als Gemeinschaft der Wertedifferenzen begreifen kann: "Jacob Burckhardt, daran hat der Philosoph Ludger Honnefelder bei seiner Bilanz des europäischen Diskurses in Sachen Bioethik erinnert, bestimmte das Proprium Europas als discordia concors, als 'einige Uneinigkeit'; und auch der (einstweilen gescheiterte) Entwurf für einen Verfassungsvertrag sprach von der 'Einheit in Verschiedenheit'."

Wenig zufrieden zeigt sich mit der Veranstaltung Jens-Christian Rabe in der SZ: "Für eine veritable Diskussion aber lagen die Beiträge zu weit auseinander. Und so litt dieses im Grunde großartige Forum westlicher Intelligenz an einem frappanten Gedächtnisverlust, der jedem gemeinsamen Erkenntnisfortschritt im Weg stand. Geredet wurde nicht miteinander, sondern nacheinander."

SZ, 15.5.2007

Das Erbe der Monarchie

In der FAZ berichtet Martin Otto von einer von Medienwissenschaftlern, Historikern und Vertretern anderer Disziplinen ausgerichteten Konferenz zum Thema "Erbe der Monarchie" in Deutschland: "Das Fazit zog Christopher Clark (Cambridge), Autor der gefeierten Geschichte Preußens . Bei aller Sensibilität für Inszenierungen habe Wilhelm II. 'nicht kapiert', dass eine mediale Monarchie nur entpolitisiert hätte überleben können. Der Begriff des Untertanen sei durchaus egalitärer als der einer zwangsläufig elitären Bürgergesellschaft; Clark verwies auf Texte der Aufklärung, in denen der Heldentod für den König als Vehikel ständeübergreifender Gleichheit erscheint."

FAZ, 14.5.2007

Muslimischer Feminismus

Die Frage "Gibt es einen muslimischen Feminismus?" wurde aus theologischer Perspektive auf einer Tagung des Berliner Wissenschaftskollegs verhandelt. Die Antwort lautete, wie Gustav Falke berichtet, ja – aber er sieht durchaus anders aus als westliche Feminismen: "Während bei einer entsprechenden Veranstaltung des westlichen Feminismus unweigerlich über das richtige Leben debattiert worden wäre, galt hier Authentizität als das, was jeder mit sich auszumachen habe. Doch zugleich war deutlich das Gespräch der Seele mit sich selbst, die Vergewisserung des eigenen Selbst- und Gottesverhältnisses, als Quell der Toleranz zu erkennen."

FAZ, 15.5.2007

Strawinsky und Tanz

Ein großes Symposion zum Verhältnis des Komponisten Igor Strawinsky zum Tanz fand in Wien statt. Gerhard R. Koch unterrichtet die Leser der FAZ: "Immerhin lässt sich seit gut zwanzig Jahren wieder offen über die Widersprüche in Sachen Strawinsky diskutieren, das Bollwerkdenken ist längst Historie, die tradierten Muster verfangen nicht mehr."

FAZ, 11.5.2007


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