Wissenschaftsjahr 2007 - 11.04. - 17.04.2007

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11.04. - 17.04.2007

Im Blickpunkt

Reaktionen auf den Weltbestseller des Papstes

Das gibt es auch nicht alle Tage: Das mit Abstand meistdiskutierte Thema der Woche war eine nach Ansicht aller Rezensenten inhaltlich komplexe theologische Veröffentlichung. Der Autor hat Rang und Namen: Als Verfasser von "Jesus von Nazareth" zeichnen in Personalunion der Theologe Joseph Ratzinger und Papst Benedikt XVI. Schon vor seiner Veröffentlichung zu Beginn dieser Woche wurde das Werk von allen wichtigen Feuilleton-Institutionen besprochen.

Für die SZ hat Alexander Kissler das Buch gelesen und deutet die darin vorgenommene Rehabilitierung der Pharisäer so: "Die Ehrenrettung der Pharisäer hat eine theologiekritische Spitze. Benedikt stellt sie vor als Menschen, die 'der Anpassung an die hellenistisch-römische Einheitskultur entgehen' wollten. Sein Herz schlägt wohl ein wenig für die Pharisäer, weil diese jenem Geist widerstanden, dem zu widerstehen Benedikt heute aufruft: dem Geist des 'Mitmachens' bei dem, was alle tun, der 'Diktatur der Gewöhnlichkeit', der 'verlogenen Vergöttlichung der Macht und des Wohlstands'."
Recht erstaunlich findet es Paul Badde in der Welt, wie kompromisslos theologisch der designierte Weltbestseller ausgefallen ist: "Leichte Kost kann ein solches Buch nicht sein, in dem Worte wie 'eschaton' oder 'die gelebte Kenose Jesu' keine Fremdworte sind und ein großer Teil einer Auseinandersetzung mit Exegeten gewidmet ist, die außerhalb der entsprechenden Fachseminare kein Mensch in Deutschland oder gar Afrika, Amerika, Asien oder Australien kennt."
In der FAZ sieht Christian Geyer die Rehabilitierung des historischen Jesus als Kernpunkt der Untersuchung: "Die Methoden der modernen Bibelexegese (...) bekräftigt der Autor als 'unverzichtbar', schildert sie im Blick auf eine 'eigentlich theologische Interpretation der Bibel' aber zugleich als ergänzungsbedürftig. Das heißt bei Ratzinger nichts anderes als: Der Christus des Glaubens ist der Jesus der Geschichte - und umgekehrt."

In der NZZ fasst Jan-Heiner Tück das Buch so zusammen: "Man wird Ratzingers Buch insgesamt als eine spirituelle Christologie bezeichnen dürfen, deren Inhalt zu reich ist, als dass er hier wiedergegeben werden könnte. Es handelt sich um eine biblisch inspirierte Theologie der Mysterien des Lebens Jesu, die einen Bogen spannt von dessen Taufe und Versuchung über die Verkündigung des Reiches Gottes und die Bergpredigt bis hin zum Petrus-Bekenntnis und zur Verklärung."

SZ, 14.4.2007

Historiker Wolfgang Benz: Thesen zur Ablehnung der NS-Judenpolitik durch Deutsche absurd

Gar nichts hält der Historiker Wolfgang Benz, wie er im Interview mit der Welt ausführt, von den in der FAZ vorgetragenen Thesen des Politikwissenschaftlers Konrad Löw, dass die Deutschen in der Mehrzahl die NS-Judenpolitik abgelehnt hätten: "Es wirft sich hier einer zum 'Anwalt' der jüdischen Opfer auf, der in Wirklichkeit die Geschäfte jener betreibt, die das deutsche Volk von jedem Wissen um und jeder Verantwortung für den Holocaust reinwaschen wollen. Da kann man als Vertreter der Geschichtswissenschaft eigentlich nur Mitleid haben."

Themen der Woche

Neu entdeckte Umsturzpläne gegen Hitler

Für die SZ referiert Christian Jostmann den Inhalt eines Umsturzplanes des dem Widerstand angehörenden Wehrmachts-Offiziers Henning von Tresckow, den die Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte im Faksimile veröffentlicht haben. Jostmann berichtet: " Man weiß, dass Tresckow und Stauffenberg seit Ende Juli 1943 die Einsatzbefehle des Ersatzheeres, die unter dem Decknamen 'Walküre' bereitlagen, in ihrem Sinne manipulierten. Für das Gelingen des Putsches war zudem entscheidend, die Hauptquartiere der obersten Nazi-Führer zu kontrollieren, namentlich Hitlers 'Wolfschanze' sowie die Himmlers und Görings, die sich allesamt im Umkreis des OKH-Kommandos 'Mauerwald' in Ostpreußen befanden. Genau darum geht es in den wiederentdeckten Plänen, die Tresckow anscheinend im September 1943 ausarbeitete."

SZ, 16.4.2007

Zur Kündigung des Leiters des Hannah-Arendt-Insituts

Im Deutschlandradio informiert Alexandra Gerlach über die Hintergründe der Kündigung des als Scientology-freundlich kritisierten Kirchenhistorikers Gerhard Besier als Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT).

Bedrohte Pfahlbauten im Bodensee

In der Zeit berichtet Karl-Friedrich Gründer, dass die Überreste steinzeitlicher Pfahlbauten im Bodensee durch niedrige Wasserstände bedroht sind: "Seit Jahren sorgen sich die Archäologen um die berühmten etwa hundert Pfahlbausiedlungen aus Jungsteinzeit und Bronzezeit, aus den Jahren 4000 bis 900 vor Christus. Nur etwa ein Hundertstel ihrer vermuteten Siedlungsfläche ist erforscht."

Vorbildlicher Wissenschaftler

Als in jeder Hinsicht vorbildlich für die Sozial-, aber auch die Geisteswissenschaften preist mit für die taz erstaunlicher Kritiklosigkeit Philipp Gessler den Bielefelder Erfolgswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer: " Es ist immer wieder verblüffend, wie er Geld, und zwar gehörige Summen, für seine Forschungen von außen aktivieren kann, sei es durch die Zeit-, die Freudenberg- oder die VW-Stiftung. (...) Das ist umso erstaunlicher, als es Sozial- und Geisteswissenschaften im Vergleich zu den Naturwissenschaften immer schwerer fällt, solche Drittmittel in einem bedeutenden Umfang zu akquirieren - zumal dann, wenn dabei so unbequeme Ergebnisse wie etwa das Einsickern rechtsradikaler oder antisemitischer Ansichten in die Mitte der Gesellschaft herauskommen."

Flaubert, Arachne, Madame Bovary

In der NZZ stellt der Romanist Edi Zollinger in einer Kurzfassung die Thesen eines Buches über Gustave Flauberts vor 150 Jahren veröffentlichten Roman "Madame Bovary" vor: "Gustave Flaubert meldet mit 'Madame Bovary' seinen Anspruch auf die Krone der Dichtkunst an. Wie Arachne, die in Ovids 'Metamorphosen' die Göttin Minerva zum Wettkampf im Weben herausfordert, will auch er sich mit dem Altmeister seines Fachs messen. In einer versteckt erzählten Neuauflage des mythischen Wettstreits zwingt er den Literaturgott Victor Hugo zum Autoren-Duell - und übt späte Rache für Arachne."

Familiendebatten bei Emile Zola

Der Philosoph Dieter Thomä hat, wie er in einem Artikel in der NZZ darlegt, beim französischen Romancier Emile Zola den Vorschein heutiger Bevölkerungs- und Familiendebatten entdeckt: "Emile Zolas heute fast vergessenes Spätwerk 'Fruchtbarkeit', das Relikt einer Zukunft, die nie Gegenwart wurde. Der Roman, ein naiv-bizarrer, polemisch-pathetischer Ausbund an Lebensbejahung, gipfelt in der eisernen Hochzeit seines Heldenpaares, Marianne und Mathieu Froment, das 158 Kinder, Enkel und Urenkel hervorgebracht hat."

Schiller und Benn zu Erziehungsfragen

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ stellt Friederike Reents einen Aufsatz von Jürgen Brokoff und eine Monografie von Antje Büssgen vor, die sich mit den Erziehungsprogrammen von Friedrich Schiller und Gottfried Benn befassen. Was die beiden verband: "Es sollte die Kunst sein - darin stimmen Schiller und Benn überein -, die einen Ausweg ermöglichen und einen Ansatz bieten sollte, um das Problem des im Dilemma von Freiheit und Zwang gefangenen Menschen zu lösen."
FAZ, 11.4.2007

Neue Dürer-Deutung

Ebenfalls auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ präsentiert Friedmar Apel eine neue Deutung von Albrecht Dürers "Melencolia I" durch die Kunsthistorikerin Elfriede Scheil – sie sieht die Darstellung in ihrer ikonologischen Lektüre als verkappte Iustitia-Allegorie. Apel findet diese Neuinterpretation derart perfekt, dass er fast schon an eine "Wissenschaftssatire" glauben mag, die vorführt, dass man "bei entsprechender Belesenheit Beliebiges beweisen kann".

FAZ, 11.4.2007

Grammatik-Schwäche bei Germanisten

Die wenig erfreulichen Ergebnisse einer Untersuchung zu Grammatikkenntnissen von Germanistik-Studenten meldet die FAZ: "77,5 Prozent der bayerischen Teilnehmer in Erlangen erkannten 'käme' nicht als Form des Konjunktivs Imperfekt, 88,2 Prozent bestimmten 'manche' nicht als Pronomen, und 86,6 Prozent konnten 'dort' nicht als Adverb identifizieren."

Bücher und Rezensionen 

Ralf Konersmann bespricht in der SZ das jüngste Werk des Philosophen Günter Figal, das den Titel "Gegenständlichkeit" trägt und eine Theorie des "Hermeneutischen" entwirft: "Für den Freiburger Philosophen Günter Figal, dessen aktuelles Buch den Schnittstellen von Philosophie und Hermeneutik nachspürt, ist es die elementare Geste der Abstandnahme, phänomenologisch gesprochen: die 'Epoché' gegenüber dem vermeintlich Selbstverständlichen und dem Andrang des Modischen, die das philosophische Denken auszeichnet und ihm seine Einsichten überhaupt erst ermöglicht."
SZ, 12.4.2007

So erfreut wie erstaunt nimmt in der FAZ Helmut Meyer bei der Lektüre des von Anselm Haverkamp aus dem Nachlass Hans Blumenbergs herausgegebenen Bandes "Theorie der Unbegrifflichkeit" zur Kenntnis, dass der Philosoph in Vorlesungen ganz anders klingt als in den veröffentlichten Büchern: "Zum ersten Mal kann man hier im Druck einem Blumenberg begegnen, der offenbar durchaus bereit war, die dichte Arbeit seiner sonst so streng verfugten Texte zugunsten des gesprochenen Worts und seiner leichteren Fasslichkeit hintanzustellen."

FAZ, 16.4.2007

Als nützlichen Führer durchs Dickicht der Deutungen des rätselreichen Werks des Malers lobt Bettina Erche in der FAZ Larry Silvers Monografie "Hieronymus Bosch": " Der Auslegungsflut setzt Larry Silver nun in seiner reich bebilderten Monographie eine genaue Bildanalyse des gesamten OEuvres entgegen, die sich auf die Verbindung von Gehalt und Form stützt."

FAZ, 16.4.2007

Konferenzen und Tagungen

Zur - vermeintlichen - Aktualität Friedrichs II.

Von einer Münchner Tagung zum Stauferkaiser Friedrich II. berichtet in der FAZ Oliver Jungen: "Unter dem zeitgemäßen Titel "Herrschaftsräume, Herrschaftspraxis und Kommunikation zur Zeit Kaiser Friedrichs II." (man hört die Drittmittel klimpern) wollte man den Staufer im Kontext der symbolisch-politischen Praktiken seiner Zeit betrachten. Einfacher gesagt: Wenn schon die vielberufene Toleranz des mitunter martialischen Kaisers ein später Mythos ist, wie sieht es dann mit seiner immer wieder beschworenen Modernität aus? Nicht viel besser, muss man sagen."
FAZ, 11.4.2007


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